So., 16.03.25 | 23:35 Uhr
Das Erste
Liebe zu den Dingen
Wolfgang Tillmans zeigt seinen fotografischen "Weltraum"
Wolfgang Tillmans hat die Antennen für das Besondere im Gewöhnlichen: Er fotografiert seine Freunde oder Kartoffeln und eine Rosenkohlpflanze, macht beiläufige Porträts von Prominenten und experimentiert mit Licht, Papier und Chemie. Seine Erforschung der Möglichkeiten des Sehens setzt er kontinuierlich fort und kombiniert die entstandenen Werke zu seinem eigenen Bilderkosmos. Mit der Ausstellung "Wolfgang Tillmans. Weltraum" präsentiert das Dresdner Albertinum einen Querschnitt durch das vielfältige Schaffen des Künstlers. ttt hat Wolfgang Tillmans in Dresden bei den Ausstellungsvorbereitungen getroffen.
Ähnlichkeit rund um die Welt
"Weltraum" heißt die Dresdner Ausstellung. Gemeint ist die Welt als Raum, in dem wir leben. Den wir gemeinsam bewohnen. Die meisten Fotos hat Wolfgang Tillmans auf Reisen rund um den Globus gemacht, in San Francisco oder Lagos oder Hongkong. "Auch wenn die Bilder in der Ausstellung aus fünf Kontinenten kommen, geht es eigentlich nicht um das Trennende, das Exotische, sondern eher um das, was universell fast austauschbar wäre, was man wiedererkennen kann. Und so habe ich immer wieder erlebt, dass Menschen sich viel ähnlicher sind, als es auf den ersten Blick erscheint", berichtet Wolfgang Tillmans .
Die Schönheit des Alltäglichen

Der Fotograf schaut genau hin. Er will verstehen, was er sieht. Menschen in alltäglichen Lebenssituationen, Dinge, Pflanzen. Verschüttete Farbe auf einem Zweig oder ein löchriges T-Shirt entwickeln in seinen Augen eine besondere Schönheit. Die eigentliche Arbeit sei nicht der Druck auf den Auslöser, meint Tillmans: "Das Bildermachen mit der Kamera dauert eine Sekunde, aber gedanklich ist die Arbeit, die da reingeht, auch eine, die über Wochen oder Monate oder auch Jahre läuft. Und die wird manchmal aktiv um die Ecke, und manchmal aktiv in Abidjan in der Elfenbeinküste." Wie das Bild "Rain Splashed Painted Life". Nur auf den ersten Blick sieht es aus wie eine malerische Tropenlandschaft. "Das ist eigentlich eine mit Wandfarbe abgesetzte Häuserwand, die nur im unteren Teil ursprünglich mal grün gemalt wurde. Aber dann – durch Starkregen – hat sich die rote Erde von Abidjan da abgesetzt und diesen Farbverlauf von der Natur gemalt", erklärt der Fotograf.
Gefährliche Migrationsdebatte
Beinahe zärtlich betrachtet Tillmans eine Rosenkohl-Staude oder ein vertrocknetes Blatt. Mit Neugier verfolgt er technologische Entwicklungen. Zeigt Bilder von Server-Parks im Silicon-Valley, seine jüngsten Aufnahmen. Das Große und das Kleine, nebeneinandergestellt ohne erkennbare Hierarchie. Vielleicht sind es die Menschen, für die er sich am meisten interessiert. Auf seinen Bildern strahlen sie Freiheit und Selbstbewusstsein aus. Sie feiern, suchen nach Nähe und Begegnungen.
Ausgrenzung ist Tillmans fremd, die Migrationsdebatte in Deutschland hält er für gefährlich: "Dieses abfällig reden über Migranten, das sät eine Unsicherheit unter immerhin dreißig Prozent der deutschen Bevölkerung, die Migrationshintergrund haben, und die alle zentralen Anteil am Erfolg der letzten Jahrzehnte der Bundesrepublik Deutschland haben."
Privatmensch mit Haltung
Porträts machen einen großen Teil der Ausstellung aus. Ihnen ist eine ganze Wand gewidmet. Man spürt das Wohlwollen und die Wärme im Blick des Fotografen, der die Menschen so aufnimmt, wie sie sind. "Porträts bleiben für mich immer von zentralem Interesse. Und ich glaube, wenn ich das aufhören würde, dann hätte ich ein Problem", sagt Tillmans. Nach klaren Botschaften sucht man in den Fotos vergeblich. Doch persönlich hat Tillmans immer wieder Haltung gezeigt. Er, der eine Zeitlang in London lebte, hat sich laut gegen den Brexit ausgesprochen, gegen Grenzkontrollen. Demnächst stellt er im ukrainischen Charkiw aus. Nennt sich selbst einen leidenschaftlichen Europäer: "Es ist viel von Weckruf gesprochen worden in den letzten Wochen, und seit diesen Wochen hoffe ich, dass die Europäer merken, dass wir in Europa ganz anders verstehen müssen, zusammenzuhalten und über mikro-regionale Unterschiede wegsehen sollten, liegt für mich auf der Hand." Der Fotograf als Weltversteher: Wolfgang Tillmans' großartige Ausstellung im Albertinum öffnet auch unseren Blick.
Autorin: Hilka Sinning
Stand: 16.03.2025 17:18 Uhr
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