Gespräch mit Drehbuchautor Christian Schnalke, Regisseurin Aelrun Goette und den Redakteuren Jan Berning (SWR) und Melanie Brozeit (MDR)
Das Thema von "Atempause" ist ein schweres. Welche erzählerischen Möglichkeiten bietet so ein Stoff über eine Ausnahmesituation?
Melanie Brozeit: Der Stoff bietet alle Möglichkeiten, die Gefühle der Protagonisten mit allen Höhen und Tiefen zu erzählen. Trauer, Freude und Hoffnung. Die Figuren sind uns bei der Entwicklungsarbeit zum Drehbuch sehr ans Herz gewachsen. Man hat mit ihnen gelitten und sie begleitet. Man fühlte sich diesen Figuren immer sehr nah. Es war daher auch ein besonderer Moment, als wir erstmals das gedrehte Material gesehen haben.
Wie haben Sie sich dem Thema genähert?
Christian Schnalke: Ich habe mich dem Thema auf sehr persönliche Weise genähert. Deshalb war es mir auch besonders wichtig, dass sich bei aller Tragik und bei aller Unumkehrbarkeit der Ereignisse am Ende ein Gefühl der Hoffnung einstellt. Dass es neben der äußeren Geschichte eine innere gibt, die nicht auswegslos ist. Das haben wir wohl alle schon erlebt: Diese kann sich loslösen und ganz eigene, überraschende Wege gehen.
Was war Ihnen wichtig?
Christian Schnalke: Mein wichtigstes Anliegen beim Erzählen der Geschichte war, das Schicksal des Jungen nicht "vorzuführen" und durch die Zurschaustellung eines toten Kindes einen vorhersehbaren Effekt zu erzielen. Weder dem Jungen noch seiner Familie sollte die Würde genommen werden. Beim Schreiben hatte ich oft im Hinterkopf, dass Menschen, die ein ähnliches Schicksal erlebt haben, den Film sehen und sich ernst genommen fühlen. Ich hoffe sehr, das ist gelungen.
Was hat Sie an dem Buch gereizt?
Aelrun Goette: Mich hat die emotionale Wucht des Stoffes gepackt: Die Figuren werden in eine Katastrophe geworfen, der sie nicht entkommen können. Um sie zu überstehen, müssen sie loslassen, was sie am meisten lieben. Trennung, Verlust, Abschied, wir fürchten uns davor und legen uns im Laufe des Lebens einen Panzer zu, um so wenig wie möglich verletzt zu werden. Mehr noch, wir laufen weg oder schlagen um uns, wenn Verletzung droht. Und während wir fest davon überzeugt sind, uns zu schützen, werden wir unempfindlich und hart. Godard hat diesen schönen Satz gesagt: "Mit Filmen muss man sprechen können", was ein anderer Ausdruck für "Unterhaltung" ist. Wenn wir uns mit einem Film unterhalten, vergessen wir den Alltag, das Umfeld und öffnen unsere Seele für subkutane Botschaften. Diese Botschaften beinhalten, was eine Gesellschaft wertschätzt und liefern Modelle, an denen wir uns orientieren und nach denen wir uns verhalten. Je weniger uns diese Botschaften bewusst sind, umso mächtiger werden sie, weil sie ins Unterbewusstsein eindringen, dort verankert und dann als Werte verkörpert werden. Ich glaube, dass Katastrophen auch die Chance zur Veränderung in sich tragen und dazu gehört Schmerz. Sich darauf einzulassen, ist der Weg zu wirklicher Stärke.
Haben Sie sich bei dieser Thematik auch einmal kurz gefragt, wie das für einen Fernsehfilm umsetzbar ist?
Jan Berning: Diese Extremsituation, am Krankenbett um das Leben einer nahestehenden Person fürchten zu müssen, ist leider eine Erfahrung, die viele Menschen in ihrem Leben machen. Die Idee von "Atempause" ist nun, diese existenzielle Situation maximal ernst zu nehmen, die Emotionen, die an diesem Nullpunkt, in dieser Zwischenwelt erlebt werden, ganz pur und ohne dramaturgische Schnörkel in den Mittelpunkt zu stellen. Entsprechend beantworte ich Ihre Frage so: Für einen Fernsehfilm ist der Themenkomplex vor allem dann erfolgreich umsetzbar, wenn es wie hier gelingt, dass sich die am Film Beteiligten, vor allem Schauspielerinnen und Schauspieler, Regisseurin und Autoren der Situation des Filmes emotional ausliefern, sie ertragen und transformieren, damit der Zuschauer sie ertragen und der schicksalhaften, sinnlos erscheinenden Situation einen Sinn und eine Bedeutung für sich geben kann.
Sie schicken Ihre Schauspieler auf eine emotionale Reise, wie fühlt sich das den Tag über an?
Aelrun Goette: Im Casting habe ich nach Schauspielern gesucht, die ‚loslassen’ können und eine große emotionale Kraft mitbringen. Ich will mit ihnen in eine Tiefe vordringen, in der sie nicht mehr spielen, sondern ‚sind’. Denn der Zustand, den der Film beschreibt, ist nicht mehr erspielbar. Er muss durchlebt werden. Jeden einzelnen Drehtag aufs Neue. Darauf müssen sich die Schauspieler einlassen, und das ist anstrengend. Dabei geht es um die Frage: Was will ich in mir und für andere entdecken und wie weit bin ich bereit, dafür zu gehen? Also im Kern: Warum mache ich Filme? Für mich beginnt dieser Weg schon weit vor dem Dreh, geht über die Zeit am Set, muss im Schneideraum wieder und wieder durchlebt werden und endet erst, wenn der Film fertig ist. Aber wie sagt Ai Weiwei so schön: "Das Leben macht einfach mehr Spaß, wenn man sich ein bisschen anstrengt."
Welche ethischen oder religiösen Motive werden im Fernsehfilm "Atempause" angesprochen oder wurde darauf bewusst verzichtet?
Melanie Brozeit: Wir haben immer die einzelnen Schicksale und Menschen dargestellt und nicht die Zugehörigkeit zu einer Religion. Besonders schön sind im Film aber die Momente, wenn die Mütter beider Familien sich annähern und gegenseitig Kraft geben. Vater Frank sucht Trost im Raum der Stille im Krankenhaus. Das hilft ihm in diesen schweren Stunden. Ansonsten wird er nicht als religiöser Mensch erzählt.
Warum dieses Thema ? Worauf lag der Fokus Ihres Interesses?
Melanie Brozeit: Es ist ein Film, der keine Gefühlslage auslässt. Das hat sich durch die ganze Bucharbeit gezogen. Wir wussten daher sehr schnell, dass dieser Stoff genau die Gedanken der Themenwoche aufgreift. Woran glaubst Du? Woran glauben wir. Der Fokus lag immer darauf, die Geschichte von einer ganz normalen Familie zu erzählen, deren Leben sich innerhalb von Sekunden durch einen schweren Schicksalsschlag verändert.
"Atempause" ist ja fast ein Kammerspiel im eigentlichen Sinn, es spielen viele Szenen am Krankenbett der Intensivstation. Worauf muss man da dramaturgisch besonders achten?
Jan Berning: Ich würde "Atempause" genauso bezeichnen, als Kammerspiel. Die Figuren sind ganz auf sich und ihre emotionale Verfassung zurückgeworfen und mit ihnen die Zuschauer. Es gibt zwar Momente um Luft zu holen, Begegnungen mit der türkischen Familie etwa, mit deren Sohn sich Hannes das Krankenzimmer teilt. Aber dem Sog, der durch die intensive körperliche Begegnung mit den Hauptdarstellern, die emotionale Dichte der Erzählung und die kluge Dramaturgie entsteht, kann man sich kaum entziehen. Es ist in meinen Augen, weil Sie nach Dramaturgie fragen, vor allem eine Dramaturgie des Inneren. Es geht hier um eine stimmige Anordnung der emotionalen Momente.
Wie sind Sie mit der Situation umgegangen, fast nur in geschlossenen Räumen zu erzählen?
Christian Schnalke: Die Geschlossenheit der Spielräume bringt mit sich, dass man sehr nah an den Menschen ist. Plötzlich werden die kleinen Bilder bedeutsam. Motive, die im Alltag nichtig und unbedeutend waren, erhalten überraschende Größe und Wucht. Kleinigkeiten, über die wir oft hinwegsehen, werden zu Trägern von großen Emotionen. Das mitzuerleben, kann sehr berührend sein. Es verlangt allerdings große Sorgfalt, das zu bewirken, und ich freue mich sehr, dass wir dabei mit allen Beteiligten Hand in Hand gearbeitet haben.
Hat Ihnen der chronologische Dreh die Arbeit erleichtert?
Aelrun Goette: Ich gehe mit den Schauspielern auf eine Reise, die sie an unterschiedliche Orte des Abschieds in ihrem Inneren führt, von denen aus sie weiter und weiter gehen. Um an den nächsten Ort zu kommen, müssen wir den davor kennengelernt haben. Chronologisch zu drehen ist kostenintensiv und es ist deshalb nicht selbstverständlich, dass eine Produktionsfirma da mitgeht. Hinzu kommt, dass unser Film im Wesentlichen an einem Ort spielt. Dieser Ort, das Krankenhaus, muss eine filmische Dimension entfalten: Er muss atmen, damit wir beim Zuschauen nicht in der Klaustrophobie ersticken. Das stellt konkrete Ansprüche.
Welche Anregungen eröffnet dieser Stoff dem Zuschauer? Welche Reaktionen auf den Film erhoffen Sie sich?
Jan Berning: Dem Film geht es, denke ich, auf keinen Fall um einen drastischen Effekt auf den Zuschauer. Es ist eine sehr sensible und behutsame Annäherung an die Situation der Familie. Im besten Sinne könnte man – auch wenn das ein strapazierter Begriff ist – von Katharsis sprechen: "Atempause" ermöglicht dem Zuschauer, die emotionale Extremsituation mit den Hauptfiguren Esther, Frank und Tina durchzustehen und dabei auch tröstliche Begegnungen zu erfahren.
Wer sind wir, was glauben wir, wie gehen wir mit unseren Nächsten um, wenn es um Leben oder Tod geht? Die Hauptfiguren verändern sich durch die gemeinsame Zeit an Hannes‘ Bett, werden sich der Beziehungsdynamiken bewusst, die die Ehe zwischen Esther und Frank zerstört haben oder die Beziehung zwischen Esther und Tina im Alltag belasten. Die Zeit scheint in diesem Leid stillzustehen, aber das tut sie nicht. Obwohl sich am Zustand Hannes‘ zunächst nichts verändert, verändert sich um ihn herum die Familie. Er ist – das ist mir besonders wichtig – obwohl er sich weder bewegt noch spricht, trotzdem ein Katalysator. "Atempause" wird in diesen Momenten universell verständlich, bekommt eine tröstliche, spirituelle Dimension. Ich erhoffe mir also durchaus, dass die Zuschauer von dem Film berührt sind.
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