Gespräch mit Özgür Yildirim

Regie

Lara (Emilia Schüle) hilft Sam (David Kross) die Tauchprüfung zu überstehen.
Lara hilft Sam die Tauchprüfung zu überstehen. | Bild: NDR/Hamster Film GmbH

Kannten Sie den Roman von Mirjam Mous?

Nein, ich hörte erst von "Boy 7", als mir die Produzenten von dem Projekt erzählten. Als Genre nannten sie "Jugendthriller". Da wurde ich sofort hellhörig und las daraufhin schnell den Roman. Diese spannende, komplexe Geschichte in 90 Minuten zu erzählen und dabei zudem zwei Zeit-und Handlungsebenen zu verknüpfen – darin lagen für mich der Reiz und die Herausforderung, diesen Film zu machen.

War es anders, für ein vorrangig jugendliches Publikum zu drehen?

Schon meine ersten Filme "Chiko" und "Blutzbrüdaz" richteten sich eher an ein jüngeres Publikum. Ich finde nichts schlimmer, als wenn man Filmen anmerkt, dass die Macher deutlich älter sind und krampfhaft versuchen, die junge Zielgruppe anzusprechen – mit einer Ausdrucksweise, die gar nicht die Sprache der Jugend ist. Der besondere Reiz – der Luxus! – war für mich bei "Boy 7" aber in erster Linie die Möglichkeit, erneut einen Genrefilm drehen zu können.

Wie haben Sie sich dem Stoff genähert?

Zunächst musste ich mir selbst klar machen, was ich eigentlich erzählen will. "Boy 7" bietet Science-Fiction- wie auch Thriller-Elemente. Wie bringe ich diesen originellen Stoff in 90 Minuten unter? Was greife ich auf, wovon muss ich mich trennen? Und vor allem: Wie kann ich das visuell umsetzen? Film ist konkreter, direkter als Literatur. Es geht immer darum, auch ohne große Worte eine gewisse Wirkung zu erzeugen. "Boy 7" ist meine erste Literaturverfilmung, und ich musste mich immer wieder ermahnen, mich nicht zu stark der Vorlage unterzuordnen. Der Film verträgt und braucht gewisse Änderungen. Ich muss die Geschichte ja auch einem Zuschauer vermitteln, der die Vorlage nicht kennt. In "Boy 7" geht es um einen jungen Mann, der nichts über sich weiß – genau wie der Zuschauer, er ist also in der gleichen Situation wie der Protagonist. Dadurch entsteht sofort Sympathie. Aber wie bringe ich das Publikum dazu, am Ball zu bleiben? Ein Thriller funktioniert da ganz anders als ein Drama oder eine Komödie, die einen bestimmten Rhythmus hat. Alle paar Minuten sollte möglichst ein Lacher kommen. Ein Thriller hingegen muss nicht nur logisch erzählt werden, sondern unkonventionelle, überraschende Elemente bieten. Der Roman brachte alle diese Voraussetzungen mit.

Sie haben auch am Drehbuch mitgearbeitet. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Ich höre auf mein Bauchgefühl: Wenn es sich gut anfühlt, muss es richtig für den Film sein. Du kannst nie etwas machen, was für jeden einzelnen funktioniert. Aber ich weiß, ob es für viele funktioniert! So bin ich auch beim Schreiben vorgegangen. Ich frage mich immer selbst: Was würde mich interessieren, was langweilen? Und ich behalte die deutsche Filmgeschichte im Hinterkopf. Viele – gerade Jugendliche – wissen gar nicht, dass der Genrefilm in Deutschland geprägt wurde. In "Boy  7" finden sich einige Anleihen aus expressionistischen Meisterwerken der 1920er Jahre. Damit verneige ich mich vor den Urgroßvätern des deutschen Films. Der Name Fredersen zum Beispiel – der Leiter der Kooperation X, gespielt von Jörg Hartmann – stammt aus Fritz Langs "Metropolis". Die Figur Fredersen ist der Antagonist, der Herrscher der Unterwelt, in der eine neue Gesellschaft herangezüchtet wird. Oder nehmen Sie die Bar "Caligari", in der sich Sam und Lara verstecken: Der Name spielt natürlich auf "Das Cabinet des Dr.Caligari" an. Wenn Sie sich diesen Klassiker ansehen: Das ist im Grunde "Boy 7"! Da werden Menschen mittels Hypnose dazu gebracht, Morde zu begehen. Ich habe großen Respekt vor den Filmen jener Ära. Gerade bei der jüngeren Generation der Filmemacher gibt es ein starkes Verlangen, Genre-Kino zu machen. Das möchte ich unterstützen, und "Boy 7" ist die perfekte Gelegenheit dazu.

Wie haben Sie Ihre Darsteller ausgewählt?

Ich suche Schauspieler danach aus, ob sie gut zusammenpassen – nicht optisch, sondern in der Art, wie sie spielen und sich ihren Figuren nähern. Das ist in meinen Augen eine der wichtigsten Aufgaben des Regisseurs: Die richtigen Leute zu finden – vor wie hinter der Kamera. David Kross war meine erste Wahl. Er zählt zu den wenigen deutschen Schauspielern, die auch international bekannt sind. Aber vor allem bringt er große Erfahrung mit. Die Figur des Sam stellt hohe Anforderungen: Verwirrung, Angst, Panik – all diese Emotionen auch ohne Worte auszudrücken ist tatsächlich oft schwieriger, als einen großen Monolog zu halten. David Kross ist dazu in der Lage. Bei der Besetzung von Lara war mein Hauptfokus, dass Sam und sie ein starkes Paar abgeben. Das war bei Emilia Schüle und David Kross der Fall, die beiden harmonieren vor der Kamera perfekt.

Und ihre Gegenspieler im Institut X, Direktor Fredersen und seine rechte Hand Isaak?

Jörg Hartmann ist als Dortmunder "Tatort"-Kommissar bekannt und verkörpert eigentlich Moral und Anstand. Diesen Kontrast fand ich spannend: Er ist zwar der Antagonist, aber mit einer sehr menschlichen Seite – was ihm schließlich zum Verhängnis wird. Das Wichtigste bei der Besetzung dieser Rolle war für mich, dass er vertrauenswürdig wirkt. Wenn Sam in Fredersens Büro sitzt und der Direktor ihm freundlich und verständnisvoll erklärt, welchen Sinn das alles hat – das ist eine Schlüsselszene. Er versucht nicht, Sam ein Konzept zu verkaufen wie ein Versicherungsvertreter, sondern baut echtes Vertrauen auf. Ich habe Jörg Hartmann schon beim Casting jedes Wort geglaubt! Die Figur Isaak habe ich entwickelt, sie existiert im Roman nicht. Beim Schreiben hatte ich kein klares Bild vor Augen, aber einen bestimmten Ton im Ohr – durchaus mit einer gewissen Komik, zugleich aber subtil und bedrohlich. Ich wusste genau, wie Isaak klingen muss. Meine Casterin Mai Seck hat mir daraufhin sofort Jens Harzer vorge - schlagen. Er war der Einzige, der für diese Rolle vorgesprochen hat. Jens ist vor allem Theaterschauspieler und hat noch nicht allzu viele Filme gedreht. Das war für mich wertvoll, weil ihm vor der Kamera die Routine fehlt, die klassische Filmschauspieler mitbringen. Umso origineller und echter wirkt sein Isaak.

Die Besetzung hatte sogar Einfluss auf das Drehbuch, richtig?

Stimmt. Liv Lisa Fries fand ich so spannend, dass ich sie ein zweites Mal zum Casting einlud. Ursprünglich war Safira im Film wesentlich älter als Sam. Aber ich wollte Liv unbedingt dabeihaben. Also entschied ich, Safira jünger zu machen. So entstand zwischen ihr und Sam eine fast geschwisterliche Beziehung. Ben Münchow kenne ich seit meinem Hamburger "Tatort: Feuerteufel", und ich bin immer wieder aufs Neue von ihm begeis- tert. Ich arbeite sehr gern mit Ben zusammen. Als ich die Figur Louis geschrieben habe – Sams Zimmergenosse im Institut X –, hatte ich von Anfang an Ben im Kopf und habe versucht, die Dialoge auf ihn zuzuschneiden und seiner persönlichen Sprache anzupassen. Natürlich hat Ben sie später am Set abgeändert und ausgebaut. Das kann, darf und soll er! Außerdem waren David Kross und Ben Münchow ein gutes Team. Schon das erste Casting mit den beiden hat viel Spaß gemacht.

Wie würden Sie den visuellen Stil von "Boy 7" beschreiben?

Sams Welt sollte eher düster und ungemütlich wirken. Erst als er eine neue Welt betritt –nämlich das Institut X – wird alles heller und freundlicher. Das Böse empfängt uns also mit offenen Armen. Da die Geschichte futuristisch angelegt ist, hatte ich die Freiheit, unsere Welt leicht überzeichnet darzustellen, ohne dass sie unglaubwürdig wirkt. Zudem hat der Film viele Actionszenen und Stunts, aber ich legte großen Wert auf eine naturalistische Darstellung. Je authentischer die Wirkung, desto höher die Identifikation beim Zuschauer. Ich habe immer versucht, mit minimalistischen Mitteln ein Maximum an Spannung zu erzeugen.

Wo standen Sie bei den Dreharbeiten vor besonderen Herausforderungen?

Die aufwendigsten und anstrengendsten Szenen waren tatsächlich der Showdown und die im Schwimmbad, wenn David und Emilia gemeinsam tauchen und sich unter Wasser näherkommen. Es war meine erste Unterwasseraufnahme. Man hat keine Kontrolle mehr – das ist wie im Weltall: Alles driftet in sämtliche Richtungen und hält sich nicht an den vorgegebenen Bild-Rahmen. Dazu die vielen Nachtdrehs … Bei den relativ kurzen Nächten im April saß uns stets die Zeit im Nacken. Aber ich hatte ein tolles Team. Wir waren sehr gut vorbereitet und alles hat so geklappt, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich bin jeden Tag gern zum Set gekommen, ganz ehrlich!

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