Geldautomatensprengungen: Täter und Hintergründe

Die Zahl der Geldautomatensprengungen in Deutschland bleibt auch in diesem Jahr auf hohem Niveau. Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins REPORT MAINZ gab es bis Ende September 334 Angriffe auf deutsche Geldautomaten - etwa genauso viele wie im Vergleichszeitraum vergangenes Jahr. Wer sind die Täter? Und woher kommen die Tatfahrzeuge?

REPORT MAINZ begibt sich in Deutschland und den Niederlanden auf Spurensuche, spricht mit Ermittlern, Staatsanwälten und Strafverteidigern. Sie alle sind sich einig: Die meist sehr jungen Täter hier in Deutschland seien lediglich der ausführende Teil einer ganzen Geldautomatensprenger-Maschinerie. Im Hintergrund agiere die organisierte Kriminalität. Mit dem Geld aus deutschen Geldautomaten würden andere Straftaten finanziert.

Text des Beitrags:


Sie sind jung. Kommen in den Morgenstunden. Hinterlassen größte Schäden. Für das, was sie tun, haben sie sogar eine eigene Hymne. 

Ausschnitt aus Musikvideo (YouTube: Djezja & Rockywhereyoubeen - Semtex):
„Deutsche Bundesbank – Boom! Deutsche Postbank – Boom! DZ Bank – Boom!“ 

Marc Schwalbe, Bundeskriminalamt: 
„Die sammeln sich alle so in dem Bereich Utrecht und Amsterdam. Und ja, die haben, leider Gottes, sehr viel Nachwuchs.“ 

Bernard Südbeck, Leitender Oberstaatsanwalt Osnabrück:
Bernard Südbeck, Leitender Oberstaatsanwalt Osnabrück:  | Bild: SWR

Bernard Südbeck, Leitender Oberstaatsanwalt Osnabrück: 
„Die eigentlichen Täter vor Ort sind oft kleine Lichter, oft junge Leute zwischen 18 und 21. Dahinter stehen sicherlich Leute, die auch in anderen Deliktsfeldern aktiv sind. Also, wir gehen ganz klar davon aus, dass es sich um organisierte Kriminalität handelt.“ 

Laut Ermittlern soll hinter den Geldautomatensprengungen ein ausgeklügeltes System stecken. Wir wollen herausfinden: Wer sind die Täter? Und warum bekommt Deutschland das Problem nicht in den Griff? 

Unsere Spurensuche beginnt im niedersächsischen Schüttorf. Hier flog 2020 in diesem Haus ein Geldautomat in die Luft. Der Hausbesitzer erzählte REPORT MAINZ im Februar:   

Holger Zwafing, Hausbesitzer
Holger Zwafing, Hausbesitzer | Bild: SWR

Holger Zwafing, Hausbesitzer (REPORT MAINZ, 14.2.2023): 
„Das nimmt einen einfach nach wie vor total mit. Jedes Mal liest man wieder: Nächste Sprengung. Nächste Sprengung.“ 

Heute sitzen die Täter von damals im Gefängnis - verurteilt zu mehrjährigen Haftstrafen. Wir sehen uns das Urteil zu dem Fall an. Das Tatfahrzeug: ein weißer Golf mit Dinslakener Kennzeichen - über Umwege offenbar angemietet in Essen. 

Chats mit Auftraggebern 

Wir fahren zu der Adresse. Der Geschäftsführer, den wir suchen, habe hier vor einiger Zeit zwar mal Räume angemietet, dort aber wohl nur Fahrzeugteile verkauft. Wurde das Tatfahrzeug unter der Hand vermietet? 

Unsere Recherchen zeigen: Der Kopf hinter der vermeintlichen Autovermietung ist Mohammed Mandalawi, Chef von Al Salam 313 - eine irakische Rockergruppe aus Essen, gegen die Behörden schon wegen Drogenhandel und Schleuserkriminalität ermittelten. Bei ihm haben die Geldautomatensprenger aus den Niederlanden also ein Fluchtfahrzeug gemietet? 

Für Ermittler und Polizeigewerkschafter Oliver Huth ist dieser Schulterschluss fast schon logisch: 

Oliver Huth, Bund Deutscher Kriminalbeamter NRW: 
„Die Straftäter aus Holland brauchen aus ihrer Sicht integre Autovermieter, wo Strafverfolgungsbehörden sich eine blutige Nase holen, wenn sie da nachfragen und die Tür zu ist, die Informationstür. Darauf setzen sie und das bekommen sie auch bei dieser Tätergruppierung, nämlich das Prinzip des Schweigens.“ 

Wir versuchen mehrfach Kontakt zu Mandalawi aufzunehmen. Er reagiert nicht. Aktuell sitzt er in niederländischer Haft - wegen Mordversuchs. 

Doch es gibt in Deutschland weitere dubiose Vermietungen, die ihre Autos Geldautomatensprengern bereitstellen. Das zeigen Urteile. Sie zeigen auch: In den Niederlanden werden die Autos oft noch professionell für die Taten präpariert - die Fahrleistung erhöht, Ortungssysteme ausgebaut. 

Marc Schwalbe, Bundeskriminalamt:
Marc Schwalbe, Bundeskriminalamt:  | Bild: SWR

Marc Schwalbe, Bundeskriminalamt: 
„Es gibt definitiv weitere Menschen, die das Ganze organisieren, im Hintergrund quasi. Sogenannte Hintermänner, die selbst gar nicht mehr bei der Sprengung selbst aktiv werden, sondern im Heimatland, beispielsweise den Niederlanden, verbleiben und die ganze Tatausführung von dort aus steuern.“  

Wie das geschieht, erfahren wir vor kurzem in Koblenz vor Gericht. Die zwei Angeklagten kommen aus Utrecht, machten sich Ende Januar auf den Weg nach Koblenz. 

Abfahrt um 21:44 Uhr. Fünf Minuten später erhalten sie die Adresse des Geldautomaten. Von da an stehen sie in dauerhaftem Kontakt mit ihrem Auftraggeber. Uns ist es gelungen, an ihren Chatverlauf zu kommen.  

22.28 Uhr:
„Wo befindet er sich im Laden?“ 

„Rechts.“  

„Du musst ihn eigentlich direkt sehen.“ 

Dann die Ansage: 

1.54 Uhr:
„Gas anschalten.“ 

Einsammeln, einpacken und weg - das alles in etwa fünf Minuten. 

2.10 Uhr:
„Alles gut gegangen?“ 

Doch sie werden da schon von der Polizei verfolgt. Ihr Fahrzeug: beladen mit Benzinkanistern und Sprengstoff. Ein Kreisverkehr wird ihnen zum Verhängnis. 


"Wir sind umzingelt.“ 

Täter schützen Hintermänner 

Fast 30 Millionen Euro erbeuteten die Täter auf diese Weise im vergangenen Jahr. 

Oliver Huth, Bund Deutscher Kriminalbeamter NRW:
Oliver Huth, Bund Deutscher Kriminalbeamter NRW:  | Bild: SWR

Oliver Huth, Bund Deutscher Kriminalbeamter NRW: 
„Die Täter nutzen das Geld für andere Assets, für andere Investitionen, in andere Straftaten, insbesondere den Rauschgifthandel. Und brauchen natürlich, auch um sich selbst zu verteidigen, eine Schutzbewaffnung und brauchen natürlich weitere Tatmittel. Auch hier fließt das Geld rein. Das heißt, das Geld aus unseren Geldautomaten wird für weitere Straftaten genutzt, insbesondere für die Vorbereitung.“ 

Viele Geldautomatensprenger kommen aus Utrecht - aus Stadtvierteln, wie hier in Overvecht. Mit hohem Migrationsanteil und hoher Kriminalitätsrate. Viele Täter sollen einen marokkanischen Hintergrund haben. 

Wir gehen in ein angrenzendes Industriegebiet. Vor einigen Jahren wurden an diese Adresse gebrauchte Geldautomaten aus Niedersachsen geliefert. Die Osnabrücker Staatsanwaltschaft wurde damals auf die Bestellung aufmerksam - und verwanzte die Geräte. 

Bernard Südbeck, Leitender Oberstaatsanwalt Osnabrück:
Bernard Südbeck, Leitender Oberstaatsanwalt Osnabrück:  | Bild: SWR

Bernard Südbeck, Leitender Oberstaatsanwalt Osnabrück: 
„Während unserer laufenden Maßnahmen ist es in Utrecht zu einer Explosion gekommen. Man konnte dort feststellen, dass es sich um ein Trainingszentrum dieser Täter-Gruppierung handelte. Bei diesen Trainingsmaßnahmen, bei denen auch zum Beispiel Lehrvideos erstellt wurden für Automatensprengung, hat sich der Kopf dieser Gruppierung versehentlich in die Luft gesprengt.“ 

Wir hören uns auf der Straße um. Ob die Szene der Geldautomatensprenger hier noch aktiv ist, verrät uns niemand. Die am Übungszentrum beteiligten Personen sitzen mittlerweile im Gefängnis.   

Ein seltener Ermittlungserfolg. Denn Informationen über die Hintermänner sind rar, sagt Rechtsanwalt Christoph Pawlowski, der seit Jahren Geldautomatensprenger verteidigt. Die Täter gestehen, aber kein Wort zu den Hintermännern.  

Christoph Pawlowski, Strafverteidiger
Christoph Pawlowski, Strafverteidiger | Bild: SWR

Christoph Pawlowski, Strafverteidiger:
„Da höre ich unisono: Ich werde hier nur über mich sprechen, denn wenn ich über andere Leute spreche, dann könnte es mir schlecht gehen. Ich habe inzwischen auch Kenntnis davon, dass es in den Niederlanden durchaus den einen oder anderen Fall gegeben hat, wo Menschen erschossen worden sind.“ 

Mit dem Taxi fahren wir in einen anderen Stadtteil, der ebenfalls für soziale Probleme und Geldautomatensprenger bekannt ist: Kanaleneiland. 

Auf dem Weg dorthin erzählt unser Taxifahrer stolz:  

Taxifahrer (nachgesprochen): 
„Die Geldautomatensprenger kommen alle aus Utrecht. Alle 500 Geldautomatensprenger kommen hier aus Utrecht.“ 

Vor Ort bekommen wir einen Tipp: Hier an einer Ecke sollen sich die Täter treffen, von dort aus sogar nach Deutschland losfahren. Und tatsächlich: Als es dunkel wird, versammelt sich eine Gruppe junger Männer auf einem Parkplatz. Wir versuchen mit ihnen ins Gespräch zu kommen. 

Junge Männer (übersetzt): 

„Hier arbeitet jeder ganz normal. Wir arbeiten alle hart. Niemand ist hier kriminell.“ 

Während sie das erzählen, lachen sie. Und als wir gehen, rufen sie uns Ausschnitte von einem Lied hinterher, das wir schon kennen: 

Ausschnitt aus Musikvideo (YouTube: Djezja & Rockywhereyoubeen - Semtex):
„Deutsche Bundesbank – Boom! Deutsche Postbank – Boom! DZ Bank – Boom!“ 

Ermittler: „Banken einen Riegel vorschieben“ 

334 mal haben Täter in Deutschland in diesem Jahr schon Geldautomaten angegriffen - in etwa genauso oft, wie in diesem Zeitraum vergangenes Jahr. Die Verlaufskurven der beiden Jahre ähneln sich. Bleibt das so, würde die Zahl in den nächsten drei Monaten weiter rapide steigen. 

Warum bekommt Deutschland das Problem nicht in den Griff? Das Bundesinnenministerium setzt nach wie vor auf freiwillige Maßnahmen, die Banken auf Zeit - so scheint es. Denn bei einem Runden Tisch vergangenen November versprachen sie, ihre Geldautomaten besser zu schützen - bis Juni. 

Marc Schwalbe, Bundeskriminalamt: 
„Die Fallzahlen-Entwicklung weist jetzt nicht darauf hin, dass die Geldautomaten-Betreiber flächendeckend Präventionsmaßnahmen an den Geldautomaten umsetzen würden.“ 

Auf Nachfrage teilt uns das Bundesinnenministerium mit, ein erster Austausch habe deutlich gemacht, dass „Fortschritte […] eines Mindestschutzniveaus an Risikostandorten […] festzustellen sind.“ Es bedürfe jedoch „weiterer substantieller Anstrengungen der Geldautomatenbetreiber, die teils auch noch intensiviert werden müssen“. „Nötigenfalls“ werde man nach einem nächsten Treffen „gesetzliche Regelungen auf den Weg bringen.“ 

Allerdings droht das Ministerium mit gesetzlichen Regelungen schon seit fast einem Jahr – bislang ohne durchschlagenden Erfolg. 

Oliver Huth, Bund Deutscher Kriminalbeamter NRW: 
„Wir müssen immer auf das Goodwill der Banken hoffen, dass sie Farbpatronen einsetzen, technische Prävention einsetzen. Die kostet Geld. Und dieses Kostenrisiko scheuen die Banken. Aber es ist gesetzlich notwendig, hier einen Riegel vorzuschieben und die Banken wirklich entsprechend auf die Seite zu bringen, dass sie investieren müssen, weil das Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung ist viel zu hoch.“ 

Stand: 16.10.2023 13:38 Uhr