Umstrittenes China-Engagement: Rudolf Scharping in der Kritik
Vor zwei Wochen fand Rudolf Scharpings deutsch-chinesische Wirtschaftskonferenz zum zehnten Mal statt, dieses Jahr in Darmstadt. Die Veranstaltung ist bekannt dafür, dass dort chinesische und deutsche Vertreter hochrangiger Firmen und namhafte Politiker erscheinen.
Co-Veranstalter der Konferenz war wie auch schon in vorangegangenen Jahren die chinesische Organisation „China Economic Cooperation Center“ (CECC). Das CECC ist eigenen Angaben zufolge der Internationalen Abteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas „direkt unterstellt“. Im Juli hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz einen Sicherheitshinweis für Politik und Verwaltung herausgegeben, in dem die Behörde bei Kontakten zu Mitgliedern der Internationalen Abteilung „besondere Vorsicht und Zurückhaltung“ empfiehlt, da die Abteilung „de facto wie ein Nachrichtendienst“ agiere. Die chinesische Botschaft weist den Vorwurf zurück.
Seit Jahren engagiert sich Scharping für China, setzt sich dafür ein, die Zusammenarbeit mit China zu stärken. Experten kritisieren, er nutze seinen Namen als ehemaliger Politiker, um sein geschäftliches Engagement voranzubringen - verknüpfe das aber mit einer Relativierung der Diktatur.
Text des Beitrags:
Eine kleine Gruppe Demonstranten in Darmstadt vor zwei Wochen. Hier findet heute eine deutsch-chinesische Wirtschaftskonferenz statt. Doch die Kritik der Demonstranten an China - sie bringen einen Teilnehmer in Rage.
Konferenz-Teilnehmer:
„Du kennst gar nicht Tibet. Aber du schreist gegen China. Gegen Tibet. Deswegen bekommst du kein Visum.“
Demonstrantin:
„Keine der Journalisten können nach Tibet.“
Konferenz-Teilnehmer:
„Weil du hast so eine unverschämte...“
Demonstrantin:
„Keine Menschenrechtsaktivisten können nach Tibet.“
Konferenz-Teilnehmer:
„...Meinung an China. Das ist falsch!“
Konferenz-Teilnehmer:
„Ich habe ein Büro in Xinjiang.“
Demonstrantin:
„Es gibt Daten, die geleakt wurden.“
Konferenz-Teilnehmer:
„Ich habe so viele Jahre in Xinjiang gearbeitet. Das ist ganz, ganz friedlich.“
Demonstrantin:
„Es gibt Beweise.“
Zum zehnten Mal findet die Konferenz dieses Jahr statt. Der Gastgeber: Rudolf Scharping. Einst Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. SPD-Bundesvorsitzender. Verteidigungsminister. 2002 endet seine politische Karriere. Und dann?
Gründet Scharping eine Beratungsfirma, spezialisiert sich auf China. Er berät laut seiner Homepage „unter anderem Kunden aus den Bereichen Automobil, Maschinenbau, Chemie, Medizin und Gesundheit“, bringt Leute zusammen, vermittelt Kontakte.
Wir finden zahlreiche Videos mit ihm auf Kanälen des chinesischen Staatsfernsehens. Er ist dort offenbar ein gern gesehener Gast. In verschiedenen Gesprächsformaten äußert er sich immer wieder zu China, bescheinigt dem Land eine positive Entwicklung - bis hin zum Rechtsstaat.
Rudolf Scharping (Quelle: Facebook, Chinesische Volkszeitung Online, 19.11.2021):
„Die Möglichkeiten, die man hat, um Einsprüche einzulegen, der Aufbau eines Rechtsstaats, das alles ist im Gange, ist eine Entwicklung, eine zum Teil sehr dynamische Entwicklung. Und das finde ich, sollten wir in Europa oder andernorts sorgfältig zur Kenntnis nehmen, weil darin stecken Chancen, natürlich wie in jeder Entwicklung auch Risiken, aber insgesamt ist das ein System, das man mit unseren klassischen Vorstellungen von Diktatur nicht vergleichen kann.“
Veröffentlicht hat das Video die „Chinesische Volkszeitung“. Sie gehört zu den offiziellen Medien des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas.
Scharping als einziger Gratulant aus Deutschland
Wir zeigen das Video renommierten China-Experten - bitten um eine Einschätzung.
Prof. Ralph Weber, Politikwissenschaftler, Europainstitut Universität Basel:
„Ob man das jetzt Diktatur nennt oder nicht. Ich weiß nicht, was es anderes wäre. Genau das hat man in der Politikwissenschaft immer damit gemeint.“
Mareike Ohlberg, Sinologin, German Marshall Fund:
„Der Aufbau eines Rechtsstaats… Rechtsstaat ist in dem Fall einfach als Wort, für das, was passiert, unangebracht.“
China steht seit Jahren international in der Kritik.
Das Erste, Tagesschau, 1.9.2022:
„Die Vereinten Nationen werfen der chinesischen Regierung im Umgang mit den Uiguren Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. In einem neuen Bericht ist von glaubhaften Vorwürfen von Folter, Misshandlung und unrechtmäßiger Inhaftierung die Rede.“
Das Erste, Tagesschau, 19.8.2023:
„Chinesische Luft- und Seestreitkräfte proben heute die Einkreisung von Taiwan - eine erneute Drohung gegen den benachbarten Inselstaat.“
Scharping zeigt sich von Nachrichten, wie diesen, offenbar wenig beeindruckt. Die Zeitung China Daily druckte vergangenes Jahr eine ganze Seite mit Gratulanten zur Eröffnung des 20. Parteitags des Zentralkomitees der KP Chinas. Der Parteitag ermöglichte Xi Jinping Macht auf Lebenszeit. Scharping wird als einziger Gratulant aus Deutschland genannt. Wie ist das einzuschätzen?
Prof. Andreas Fulda, Politikwissenschaftler, Universität Nottingham:
„Es ist ganz offenkundig, dass er ein kommerzielles Interesse an dem Land hat. Das wäre auch weniger problematisch, wenn er das nicht eben als ehemaliger deutscher Spitzenpolitiker täte.“
Auf der Seite seiner Beratungsfirma wirbt Scharping selbst mit seinen früheren politischen Ämtern.
Lässt er sich damit zum Werkzeug der KP Chinas machen? Gerne hätten wir ihn das selbst gefragt. Im Januar fragten wir ihn das erste Mal für ein Interview an. Absage. Unsere umfassenden Fragenkataloge ließ er unbeantwortet. Ließ uns über einen Anwalt mitteilen:
Rudolf Scharping:
„Ich adressiere in diversen Medien und auf diversen Foren immer wieder kritische Themen wie Menschenrechte und zu kritisierende Punkte zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in China. Ich bin auch der Auffassung, dass trotz fundamentaler Gegensätze gemeinsame weltweite Herausforderungen wie Frieden, Klimawandel und andere nur gemeinsam im Dialog gelöst werden können.“
Organisation zur politischen Beeinflussung
Sind diese „kritischen Themen“ auf der deutsch-chinesischen Wirtschaftskonferenz zu hören? Wir hätten uns gerne ein Bild davon gemacht. Doch wir dürfen nicht rein - auch diese Anfrage ließ Scharping seit August unbeantwortet.
Trotzdem hat für REPORT MAINZ jemand die Veranstaltung beobachtet. Er schildert uns seinen persönlichen Eindruck. Um die Person zu schützen, stellen wir das Gespräch nach:
Teilnehmer (Szene nachgestellt):
„Menschenrechtsverletzungen oder die Probleme in und mit China waren aus meiner Sicht kein Thema. Als großes Problem wurde dort nach meinem Eindruck eigentlich eher die aktuell kritische Haltung von Politik und Gesellschaft gegenüber China gesehen.“
Neben Scharpings Beratungsfirma wird die Konferenz seit Jahren von einer Organisation aus China mit veranstaltet: dem China Economic Cooperation Center. Das Center ist der Internationalen Abteilung des Zentralkomitees der KP China direkt unterstellt - eine Abteilung, deren Aufgabe auch die politische Beeinflussung im Ausland ist.
Mareike Ohlberg, Sinologin, German Marshall Fund:
„Wenn es eine rein wirtschaftliche Geschichte wäre, dann könnte man das anderswo ansiedeln. Das ist ganz klar Teil von der eigenen politischen Einflussarbeit und der Außendarstellung tatsächlich auch, also wie man im Ausland wahrgenommen wird und wie man im Ausland Kontakte knüpfen kann zur politischen Beeinflussung.“
Im Juli gab das Bundesamt für Verfassungsschutz einen Sicherheitshinweis heraus. Die Internationale Abteilung, abgekürzt IDCPC, arbeite wie ein Nachrichtendienst. Ein Vorwurf, den die chinesische Botschaft zurückweist. Dennoch empfiehlt der Verfassungsschutz „besondere Vorsicht und Zurückhaltung“ beim Kontakt zu Mitgliedern.
Zusammen mit einer Organisation dieser chinesischen Abteilung also veranstaltet Rudolf Scharping jedes Jahr eine Konferenz, die auch mit prominenten Politikern besetzt ist. Scharping tut viel dafür, die Zusammenarbeit mit den Chinesen zu stärken, das vermeintlich falsche Chinabild in Deutschland zu korrigieren. Und das mit seinem Namen als ehemaliger Politiker.
Prof. Andreas Fulda, Politikwissenschaftler, Universität Nottingham:
„Dass er das quasi nutzt, um sein geschäftliches Engagement in China voranzubringen, halte ich grundsätzlich für problematisch. Und besonders problematisch finde ich, dass er das verknüpft mit einer Relativierung der Diktatur.“
Zehn Monate nach unserer ersten Anfrage an Scharping treffen wir ihn dann doch, wenigstens kurz, vor der Kamera:
Rudolf Scharping:
„Guten Abend. Wenn Sie das nächste Mal vorbeikommen, dann haben wir sicher Zeit.“
Stand: 22.11.2023 16:59 Uhr