Flutkatastrophe im Ahrtal: Wiederaufbau stockt weiter
15 Milliarden sind im staatlichen Hilfsfonds für den Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe im Ahrtal vorgesehen, aber nur ein Bruchteil wurde bisher abgerufen. Dabei hat sich an vielen Orten entlang der Ahr noch nichts getan. REPORT MAINZ-Reporter waren auf Spurensuche und haben mit traumatisierten Flutopfern, Geschäftsleuten und Ortsbürgermeistern gesprochen. Viele sind mit den Hürden der Bürokratie überfordert. Deswegen wollen manche eine Sonderregelung für das Ahrtal, um Verwaltungsverfahren zu beschleunigen. Doch die Landesregierung wiegelt ab.
Wir fahren ins Ahrtal, wollen sehen: Wie läuft der Wiederaufbau nach eineinhalb Jahren? Wie wohnen die Menschen jetzt? Viele Häuser entlang der Ahr sind noch immer unbewohnt, zugenagelt oder im Rohbau. Doch wie kann das sein?
In Dernau stoßen wir auf zwei verlassene Häuser.
Manuela Dursun, Autorin:
„Da ist gar nix, keine Bauarbeiten, nix.“
Warum ist hier nichts passiert? Wer hat hier gewohnt?
Wir fragen die Nachbarn - und finden so Familie Nelles, die jetzt ein paar Straßen weiter wohnt. Rita Nelles erzählt uns, dass sie und ihr Mann es einfach nicht schaffen, die leerstehenden Häuser wieder aufzubauen:
Rita Nelles, Anwohnerin:
„Mein Mann ist 82, wir sind alt, und er hat immer versucht, Handwerker zu bekommen. Das ging nicht.“
Drei Häuser gehören ihnen in Dernau, alle waren überflutet, das Ehepaar obdachlos. In diesem leben sie nun seit ein paar Wochen endlich wieder - die Einrichtung komplett gespendet. Von ihrem Leben ist ihnen nichts geblieben, außer diesen Fotos. Jetzt nach eineinhalb Jahren können die beiden einfach nicht mehr:
Rita Nelles, Anwohnerin:
„Wir sind seit zwei Jahren hoher Blutdruck, alles Mögliche. Mein Mann war krank, ich war krank. Meinem Sohn ist das auch zu viel. Wir schlafen keine Nacht mein Mann und ich.“
Wie es weitergehen soll, weiß sie nicht. Sie leben von kleinen Renten. Ihr Mann war immer selbstständig. Die Mietshäuser waren ihre Altersvorsorge.
Wir fahren noch einmal zurück zu den beiden verlassenen Häusern: Versichert waren sie nicht. Deshalb hatte das Ehepaar Nelles Geld von dem staatlichen Wiederaufbaufonds beantragt. Die erste Abschlagszahlung sei fürs Entrümpeln draufgegangen, sagt uns Rita Nelles. Mehr Geld gebe es nur, wenn man Handwerker-Rechnungen einreiche. Aber man müsse alles erstmal vorlegen - Geld, das das Ehepaar nicht mehr habe. Und so wird hier erstmal gar nichts passieren, wie in vielen Häusern an der Ahr.
Nach der Flut wurde viel versprochen. Was ist angekommen?
9.000 Häuser, viele Straßen und Brücken hat die Flut zerstört. 15 Milliarden Euro hat der Bund für den Wiederaufbau in Rheinland-Pfalz zur Verfügung gestellt. Doch jetzt, nach eineinhalb Jahren, muss das Land zugeben: Gerade mal fünf Prozent sind ausgezahlt.
Dabei hatte die Politik große Versprechen gemacht.
Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident:
„Wir vergessen euch nicht.“
Olaf Scholz, Bundeskanzler, SPD:
„Die Hilfen mit Geld, die sollen natürlich auch schnell kommen und das werden die Länder vor Ort unbürokratisch machen.“
Malu Dreyer, Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz, SPD:
„Schnelle, passgenaue Hilfen stehen an allererster Stelle.“
Die Landesregierung spricht davon, dass 90 Prozent der eingegangenen Anträge bewilligt seien. Doch warum wurde so wenig ausgezahlt, läuft der Wiederaufbau so schleppend?
„Nachts sieht es aus wie in einer Geisterstadt“
Wir fahren weiter: In Altenahr bietet sich uns ein gespenstisches Bild. Mehrere Hotels sind völlig verwüstet.
Woran hängt es? Petra Lang gehört das 'Hotel zur Post'. Sie ist von der Politik enttäuscht:
Petra Lang, Hotel zur Post, Altenahr:
„Also wie man uns versprochen hat: schnell und unbürokratisch. Das ist einfach nicht. Es ist schwierig, es ist sehr zäh und langwierig. Und man wartet sehr viel auf Genehmigungen.“
Jede Kleinigkeit müsse neu beantragt werden - von der Zimmeraufteilung bis hin zur Parkplatz-Abmessung, obwohl das alles ja vorher schon da war. Und das kostet viel Zeit und Geld. Sie verzweifelt an Bürokratie und Vorschriften.
Auch in diesem Sommer werden sie vermutlich nicht eröffnen können. Und wann wieder Touristen an die Ahr kämen, sei ohnehin fraglich.
Petra Lang, Hotel zur Post, Altenahr:
„Wenn Sie hier abends, wenn’s dunkel wird, durchfahren, dann ist es oft wie eine Geisterstadt, weil es gibt kaum Licht.“
Ortsbürgermeister kritisieren langsame und bürokratische Verfahren
Zerstörte Straßenbeleuchtung, Radwege, Brücken: Dafür sind hauptsächlich die Ortsbürgermeister zuständig.
Einer von ihnen: Udo Adriany aus Müsch. Was vor der Flut noch ein überschaubares Ehrenamt war, ist nun ein ehrenamtlicher Fulltimejob - neben seiner Arbeit als Bauingenieur. Von seinem Privathaus aus organisiert er jetzt den Wiederaufbau von Müsch: Schäden in Höhe von 12 Millionen Euro muss er managen. Dutzende Anträge hat er schon gestellt für Spielplätze, Brücken bis hin zum Bushaltehäuschen. Doch Bürokratie und Verwaltungen lassen ihn verzweifeln.
Udo Adriany, Ortsbürgermeister Müsch:
„Der Hauptgrund ist einfach, dass man zu jeder Maßnahme einen Einzelantrag stellt. Zu jedem Antrag gehört eine fachliche Stellungnahme eines Ingenieurbüros mit Kostenaufstellung, Plänchen am besten dabei. Dann wird der Antrag ausgefüllt. Der geht dann entsprechend an die Stellen.“
Und trotzdem geht es oft nicht voran. Beim Spielplatz beispielsweise wartet er inzwischen seit mehr als einem Jahr auf den Bewilligungsbescheid.
Udo Adriany, Ortsbügermeister Müsch:
„Wir hören immer nur, was nicht geht. Und das ist sehr, sehr frustrierend für uns. Wir wollen einfach nur das Dorf wieder möglichst schnell so aufgebaut haben, wie das vorher war.“
Wie Udo Adriany geht es vielen anderen ehrenamtlichen Ortsbürgermeistern im Ahrtal. Mit einigen trifft er sich regelmäßig - Leidensgenossen. Viele fühlen sich überfordert:
Helmut Lussi, Ortsbürgermeister Schuld:
„Der Situation, muss man ganz ehrlich sagen, bist du als kleiner Ortsbürgermeister gar nicht gewachsen, weil da stehen so viele juristische Fragen drin. Wenn du eine verkehrt beantwortest, da haben sie dich nachher am Schlawiner und sagen: 'Ja, was hast du da für einen Scheiß gemacht'.“
Jürgen Schwarzmann, Ortsbürgermeister Hönningen:
„Geld ist ja nicht unser Problem: Geld ist ja genug da. Wir kriegen es nur nicht ausgegeben.“
Zudem müssen viele Bauvorhaben sogar europaweit ausgeschrieben werden. Die Lösung könnten weitreichende Ausnahmeregelungen für das Ahrtal sein.
Jürgen Schwarzmann, Ortsbürgermeister Hönningen:
„Wir brauchen eigentlich eine Sonderzone mit ausgehebelten Gesetzen, nicht Freier Fall oder Bananenrepublik, aber wir müssen Erleichterungen bekommen. So kommen wir niemals weiter.“
Gerade mal 20 Prozent der notwendigen Anträge sind bisher überhaupt schon gestellt worden. Und die landen unter anderem hier: in der Verbandsgemeinde Altenahr. Sie ist, selbst flutbetroffen, in ein Hotel ausgelagert. Hier in der Bauabteilung wird jeder Bauantrag bearbeitet - egal ob Privathäuser, Hotels oder Brücken. Und hier stauen sich die Anträge, bis sie genehmigt oder weitergeleitet werden können. Denn es fehlt vor allem Personal: Von den 10 Stellen der Abteilung sind vier nicht besetzt.
Verbandsgemeindechef Dominik Gieler ist verzweifelt. Er kann kaum neue Mitarbeiter finden - zu hoch ist die Belastung:
Dominik Gieler, Bürgermeister Verbandsgemeinde Altenahr, CDU:
„Eine Kollegin hier, die in der Stadtplanung ist, die hat 1.300 ungelesene E-Mails, weil sie der E-Mail-Flut nicht mehr hinterherkommt.“
Dominik Gieler glaubt, dass die Politik mehr helfen könnte:
Dominik Gieler, Bürgermeister Verbandsgemeinde Altenahr, CDU:
„Was mir so ein bisschen fehlt, auf Bundes- und auch auf Landesebene, ist, dass man uns hier als Flut-Region Sonderregelungen aufstellt. Sonderzone Ahrtal ist nach wie vor ein großes Bedürfnis, weil die Baustelle, die wir hier abzuhandeln haben, aufgrund der Schadenssumme, der Schadenshöhe, die wird man mit dem Personal hier nicht stemmen können.“
Zu wenig Personal, zu viel Bürokratie, das Geld kommt nicht an - das war anders versprochen:
Olaf Scholz, Bundeskanzler, SPD:
„Die Hilfen mit Geld, die sollen natürlich auch schnell kommen.“
Auf unsere Anfrage erklärt Bundeskanzler Olaf Scholz, für die Umsetzung der Hilfen seien die betroffenen Länder zuständig. Auch die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz hatte nach der Flut Versprechungen gemacht:
Malu Dreyer, Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz, SPD:
„Schnelle, passgenaue Hilfen stehen an allererster Stelle.“
Unsere Interviewanfrage leitet Malu Dreyer an ihren Innenminister weiter. Kann Michael Ebling sich eine Sonderzone im Ahrtal vorstellen?
Michael Ebling, Innenminister Rheinland-Pfalz, SPD:
„Also das Stichwort 'Sonderzone' ist etwas, was in der Diskussion immer mal war. Selbstverständlich ist es uns auch nicht gegeben, weder als Landesgesetzgeber alleine, noch gegenüber dem EU-Recht, bestimmte Regelungen, die europaweit gelten oder die bundesweit gelten, außer Kraft zu setzen.”
Und was sagt er den betroffenen Menschen im Ahrtal?
Michael Ebling, Innenminister Rheinland-Pfalz, SPD:
„Also ich verstehe jede Ungeduld vor Ort, erst recht von den unmittelbaren Betroffenen. Und deshalb, glaube ich, geht es darum, jetzt in den bestehenden Regularien, bei aller Anstrengung, die das bedeutet, die schlanken Verfahrenswege zu finden, die erkennbar den Wiederaufbau stärken, also die uns vor Ort voranbringen.“
Keine gute Nachricht für Flutopfer, Geschäftsleute und Ortsbürgermeister im Ahrtal. Für schnelle und unbürokratische Lösungen sind die Menschen hier also auf sich allein gestellt.
Stand: 23.04.2024 15:29 Uhr