Kritik am Medizinischen Dienst
Pressemeldung, 21.11.2023 | Knapp 30 Prozent der Widerspruchsgutachten müssen korrigiert werden
Knapp 30 Prozent aller Widerspruchsgutachten musste der Medizinische Dienst (MD) 2022 bei gleicher Sachlage korrigieren. Das zeigen Recherchen des ARD-Politikmagazins REPORT MAINZ. In absoluten Zahlen waren es fast 55.000 Fälle. Das hat eine bundesweite Umfrage bei allen Medizinischen Diensten ergeben. 2021 lag die Quote bei 29,6 Prozent. Im ersten Halbjahr 2023 waren es 28,2 Prozent. Pflegebedürftige werden demnach oftmals in zu niedrige Pflegegrade eingestuft und erhalten nicht die ihnen zustehenden finanziellen Leistungen.
Experten sehen Handlungsbedarf
Der emeritierte Sozialrechtler Prof. Ingo Heberlein sieht die Zahlen kritisch. Er war selbst 12 Jahre Geschäftsführer eines Medizinischen Dienstes. „Die 30 Prozent sind einfach zu hoch. Und es muss unbedingt versucht werden, diese Zahl nach unten zu bringen: durch Schulungen, durch genauere Untersuchungen“, so Heberlein im Interview mit REPORT MAINZ. Auch Katharina Lorenz vom Sozialverband Deutschland (SoVD) Niedersachsen hält die 30 Prozent für einen unhaltbaren Zustand. Pflegebedürftige würden „im Regen stehen gelassen, weil Pflegebegutachtungen nicht korrekt durchgeführt werden.“
Hohe Dunkelziffer an falschen Pflegegutachten
Die bundesweite Umfrage von REPORT MAINZ ergab weiter: 2022 wurden insgesamt 2,5 Millionen Pflegegutachten erstellt. Nur in über 185.000 Fällen wurde Widerspruch dagegen eingelegt. Viele Betroffene aber würden gar keinen Widerspruch einlegen, sagt Katharina Lorenz vom Sozialverband Deutschland (SoVD) Niedersachsen. Der Bescheid würde meistens hingenommen, weil man einfach nicht mehr die Kraft habe, sich auch in ein Widerspruchsverfahren zu begeben.
Konkreter Widerspruchsfall zeigt Erfolgschancen
Dass Widersprüche Erfolg haben können, zeigt auch der Fall einer Frau aus Niedersachsen. Sie wurde vom medizinischen Dienst telefonisch interviewt. Ihr Antrag auf einen Pflegegrad wurde umgehend abgelehnt. Da es sich aber um eine Erstbegutachtung handelte, ist diese Form der Einstufung gesetzlich untersagt. Die Betroffene legte Widerspruch den Bescheid ein. Danach erfolgte eine persönliche Begutachtung. Erst danach wurden ihr Pflegegrad 2 und rückwirkend Gelder aus der Pflegekasse bewilligt.