Nach Sturz von Assad – Zukunft von Syrern in Deutschland

Mahmoud Ali reist nach 14 Jahren das erste Mal wieder nach Syrien. Er trifft dort nicht nur seine Familie wieder, sondern geht auch in das Gefängnis, in dem er selbst inhaftiert war.  

Odai Bathika spricht über seine Flucht und die Folter, die er in Syrien erlebt hat. Er überlegt, wo er in Zukunft leben möchte. Inzwischen ist er auch deutscher Staatsbürger. 

Familie Alsaleh ist noch nicht eingebürgert. Die Familie hat Angst, dass ihr Aufenthalt nicht verlängert wird. Dabei können die Kinder mittlerweile besser Deutsch als Arabisch.

Text des Beitrags:

Mahmoud Ali packt seine Sachen. Vier Tage vor Weihnachten in Fürth. Nur noch wenige Stunden, bis er versucht nach Syrien zu kommen. Er und seine Frau Bianca können noch immer nicht fassen, dass das Regime gestürzt wurde.

Mahmoud Ali:  
„Also bis jetzt glaube ich wirklich gar nichts. Ich kanns bis jetzt mir nicht vorstellen, dass Assad weg ist.“

2011 muss Mahmoud Ali aus politischen Gründen aus Syrien fliehen, erzählt er. Mittlerweile arbeitet er als Sozialpädagoge und hat den deutschen Pass. Seine Familie aber lebt noch immer in Syrien. Seit damals hat er sie nicht wiedergesehen.

Bianca Fischer:  
„Ich weiß, dass er es jetzt auch tun muss. Und da stehe ich auch total hinter ihm. Und natürlich bin ich deswegen trotzdem traurig und breche ständig in Tränen aus und habe Angst und Sorge, dass irgendetwas passiert.“

Denn die Sicherheitslage in Syrien ist unübersichtlich.

Mahmoud Ali:  
„I come back, ich komme zurück bestimmt.“

Kein leichter Abschied für die Beiden. Sie bleibt mit den zwei kleinen Kindern zuhause in Bayern. Er geht ohne, dass ein Rückflug gebucht ist. Fliegen kann er nur bis ins Nachbarland Jordanien. Von dort will er auf eigene Faust versuchen nach Damaskus zu kommen.

Mahmoud Ali:  
„Gänsehaut kriege ich, jetzt wirklich Gänsehaut. Ich muss gehen, egal welche Risiko, welche Herausforderung auf mich jetzt wartet.“

Mahmoud Ali möchte nicht nur seine Familie wieder sehen, sondern auch an für ihn wichtige Orte gehen.

Mahmoud Ali:  
„Im Gefängnis, wo ich war, wo ich gefoltert wurde - an der Uni wo sie haben mich inhaftiert auch. Krasse Erinnerung, aber ich will einfach schauen. Ich suche auch die Leute, die mit mir im Gefängnis waren, ob sie noch am Leben sind oder nicht.“

Er will versuchen uns Videos von vor Ort zu schicken. Während der brutalen Assad- Diktatur werden Menschen gefoltert und getötet. Rund zwölf Millionen Menschen fliehen im Krieg oder werden vertrieben. In Deutschland leben aktuell mehr als eine Millionen Menschen aus Syrien.

Wie geht es jetzt nach dem Sturz des Regimes für sie weiter?

Nach sieben Tagen: Erste Videos von Mahmoud Ali. Die Zerstörung des Landes nicht zu übersehen.

Eine Aufnahme aus der Wohnung seiner Eltern. Sie möchten nicht gezeigt werden.  Beide hätten geweint, als er vor ihnen stand, könnten noch immer nicht fassen, dass er bei Ihnen ist. 10 Jahre lang war sein Vater in einem Gefängnis Assads - lange glaubte er Mahmoud sei tot. Die vergangenen Jahre - haben die Familie schwer gezeichnet.

Dann zeigt er uns in Damaskus die Straße, an der er damals von einem Geheimdienstmitarbeiter angesprochen worden sei. Als Journalismus-Student habe er Kontakt mit der ausländischen Presse gehabt. Ein Telefonat sei abgehört worden.

Mahmoud Ali:  
„Hier bin ich gelaufen und einer hat mir gesagt, hey, nachdem ich mit der BBC telefoniert habe, hier, hier, genau hier, hat gesagt - hey deine Stimme ist gut - ist schön die Stimme - und nachher wurde ich inhaftiert.“

Und dann schickt er uns ein Video vom Foltergefängnis. Das Geheimdienstgefängnis  227 - inmitten von Damaskus. Hier war er inhaftiert. Ihm gelingt es hineinzukommen. Kein leichter Gang. Weit unter der Erde. Ein grausamer Ort sei das, erzählt er.

Menschen seien hier unten teils Jahre lang eingesperrt gewesen. Seien gefoltert und getötet worden.  

Ein Blick in seine Zelle:

Mahmoud Ali:  
„Ich wurde inhaftiert 2011. Hier Nummer vier - hier war ich drinnen. Ohh.“

Wenige Tage später in einem Videoanruf.

Mahmoud Ali:  
„Was schlimm bei mir ist, in dieser Abteilung da waren Frauen und Kinder. Das war richtig. Puhh. War nicht einfach. Du weißt viele sind jetzt an diesem Ort ums Leben gekommen. Die wurden getötet, umgebracht.“

Glück sei es gewesen, dass er wieder rauskam, erzählt er. Ein höherer Angestellter des Gefängnisses sei der Vater seines Nachhilfeschülers gewesen.

Mahmoud Ali:  
„Und dann habe ich ihn erkannt. Ich hab seinen Sohn geholfen bei dem Abitur, ich hab ihn richtig so unterrichtet zu Hause bei ihm. Sein Gesicht hat in meinem Kopf geblieben, weil war so gebrannt überall von hier.“

Er habe ihn frei gelassen mit der Bedingung aus Syrien zu verschwinden, erzählt er. Von seinen Mitinsassen fehle bis jetzt jede Spur. In ein paar Tagen will er sich wieder melden. 

Auch er kenne die Gefängnisse Assads von Innen, sagt er. Odai Batikha musste vor 10 Jahren fliehen, lebt jetzt in Ludwigsburg. Er zeigt uns ein YouTube Video aus dem Jahr 2014. Damals demonstrierte er als 18-Jähriger - hier ganz vorne mit dabei - gegen das Regime. Nach seiner Festnahme sieht er Menschen in seiner Zelle sterben und wird selbst gefoltert, erzählt er.

Odai Batikha: 
„Der hatte so ein rundes Stück vom Plastik, wo der damit mich geschlagen hat. Ich hab gefragt, warum schlägst du mich - und der meinte - Willst du Freiheit? Das ist für Freiheit. Willst du Demokratie - das ist für Demokratie - du willst das System ändern - das ist, dass du das System änderst. Das Krasse ist, dass du merkst, dass er Spaß daran hat.“

Über all das jetzt öffentlich zu sprechen, bedeute ihm viel. Jahrelang habe er geschwiegen aus Sorge seine Familie in Syrien zu gefährden.

Odai Batikha: 
„Die werden meine Eltern verhaften! Das ist also die Angst, die wir, hatten - du lebst hier, du darfst deine Geschichte nicht sagen, weil du Angst hast, die werden deiner Familie was antun, obwohl du hier lebst!“

Diese Angst scheint nicht unbegründet. Immer wieder wurden in Deutschland syrische Agenten enttarnt. Wir haben bei Report Mainz schon 2012 darüber berichtet.

Zitat aus Sendung von REPORT MAINZ 2012: 
„Wie aber funktioniert das Agentennetz? Wir sind auf einer Demo der Assad-Gegner in Berlin Uns fällt dieser Mann auf. Er fotografiert ununterbrochen. Ein Spitzel des syrischen Geheimdienstes, um die Assad-Gegner zu identifizieren?“

Die Agenten berichteten dem Regime, wer hierzulande demonstrierte, um ihre Angehörigen in Syrien zu misshandeln und zu verhören.

Wenige Tage später. Wir bekommen eine brisante Nachricht von Mahmoud Ali. In diesem Raum in einem Geheimdienstgebäude in Damaskus habe er Unterlagen über Deutschland gesehen. Aufzeichnungen über deutsche Journalisten, die sich mit Syrien beschäftigten und Syrern, die mit Deutschen verheiratet seien.

Er schildert uns seine Eindrücke:

Mahmoud Ali:  
„Es gibt viele Akten dort. Deutsche Journalisten, die beim Thema Syrien aktiv sind. Syrischer Mann, der mit deutscher Frau verheiratet sind. Die haben nur die Leute beobachtet. Die haben richtig viele Akten nur über die Leute, die in Deutschland sind.“

Unabhängig überprüfen lassen sich seine Aussagen nicht. Wir bekommen sie aber von einem weiteren Augenzeugen bestätigt.

Aus dem Bundesinnenministerium heißt es: Deutschland habe im Fokus des Nachrichtendienstes von Assad gestanden, weil es vielen syrischen Flüchtlingen Schutz bietet.

Die Zukunft der Syrer in Deutschland ist auch Thema im aktuellen Wahlkampf. Die Debatte um Rückführungen hat bereits begonnen.

Ein AfD Politiker fordert: „Jubelnde Syrer können allesamt nach Hause“. Jens „Spahn will Syrer mit 1000 Euro Handgeld zurückschicken“. Und Nancy „Faeser: Werden Schutzstatus von Syrern „überprüfen“ lassen“. Auch von Robert Habeck heißt es: „Wer nicht arbeitet, wird gehen müssen“. Christian Linder äußert Rückkehr müsse die Regel sein.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge setzt vorerst alle Asylentscheidungen von Syrern aus. All das sorge für große Verunsicherung. Sie erleben dies täglich. Die beiden Integrationsbeauftragen der Stadt Bad Rappenau. Wir sind unterwegs mit Ihnen zu einer syrischen Familie.

Dolama Tlass Farzat ist selbst vor 9 Jahre aus Syrien geflohen, hat mittlerweile den deutschen Pass. Sie kann die Ängste der Menschen gut nachvollziehen, denn sogar sie als - jetzt Deutsche - sei verunsichert.

Dolama Tlass Farzat:  
„Ja, es ist voll schade, dass ich am Anfang sehr dankbar und stolz und glücklich war. Und jetzt muss ich eigentlich auch Sorgen haben, also wie, wie die Situation sich weiterentwickelt, die politische Situation.“

Immer wieder hätten sich in den vergangenen Wochen Menschen mit Fragen bei Ihnen gemeldet.

Dolama Tlass Farzat:  
„Dürfen wir dann in Deutschland bleiben? Oder müssen wir nach Syrien zurückkehren. Die haben, die haben echt Sorgen.“

Jaenett Renk-Mulder:  
„Also die Menschen selber haben Angst, aber auch die Arbeitgeber haben Sorgen und sagen ah wir können doch nicht auf einmal ohne unsere Syrer. Sehr viele Menschen haben Arbeit gefunden und die sind in der Pflege, sind in Kliniken, sind in Kindergärten, sind in der Logistik, die sind überall, wo auch Arbeit und Fachkräfte dringend gebraucht werden.“

Ein Blick auf die Zahlen bundesweit zeigt: Rund 240.000 syrische Staatsangehörige sind in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Und: Mehr als 160.000 Menschen tauchen in dieser Statistik gar nicht auf, denn sie haben mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft.

Familie Alsaleh ist noch nicht eingebürgert. Die achtköpfige Familie lebt seit sieben Jahren in Baden-Württemberg. Heute haben sie Nachbarn und Freunde zum Essen eingeladen.  Groß aufgetischt - Gastfreundschaft ist Ihnen sehr wichtig. Der Vater arbeitet als Küchenhilfe in einem Krankenhaus. Doch die Familie hat nur einen subsidiären Schutz, dieser muss immer wieder verlängert werden - genau davor hat die Familie nun Angst.

Yahya Alsaleh:  
„Mein Aufenthalt läuft ab im November aber wie geht weiter? Wir hören in Nachricht: Syrien frei, muss alle zurück. Ich will hierbleiben. Ich arbeite hier. Ganz Syrien kaputt - meine Eltern und mein Haus auch kaputt.“

Ebtisam Alahmad:  
„Meine größte Sorge ist, dass wir nach Syrien abgeschoben werden. Meine Kinder haben ihre Zukunft hier in Deutschland.“

Die Kinder seien hier angekommen. Könnten mittlerweile besser Deutsch als Arabisch. Alle hier schätzen die Familie sehr.  

Liane Pressly:
„Also ich hab den Herr Alsaleh das erst Mal gesehen, da ist er draußen gestanden, hats Auto ausgeladen und ich hab gesagt: Hallo, ziehen sie hier ein - Ja – Dann hab ich gesagt, haben sie auch Kinder? - Ja, sechs Stück - Da hab ich gesagt: Oh! Aber ich muss sagen, es gibt keine positivere Überraschung wie die Kinder!“

Annerose Zeiser:
„Das ist schon eindrucksvoll, wenn man so viele Jahre die Familie kennt und auch sieht. wie sich alle entwickeln. Wie die Kinder in der Schule Erfolg haben.“

Faten, die älteste Tochter, macht eine Ausbildung beim Kieferorthopäden. Ihre Brüder engagieren sich in der freiwilligen Feuerwehr. Nasser hat bald seinen Schulabschluss.

Nasser Alsaleh:
„Ich wünsche mir, dass wir in Deutschland bleiben und nicht nach Syrien abgeschoben werden.“

- Woher kommt diese Angst abgeschoben zu werden?

Faten Alsaleh:
„Es wird darüber ja sehr viel geredet in der Politik, dass die wieder abschieben wollen und das bekommen wir auch mit. Ich will auf jeden Fall hierbleiben. Deutschland ist jetzt meine Heimat geworden, meine Zukunft auch.“

Die politische Debatte um Rückführungen sei zu früh, kritisiert der Islam- und Rechtswissenschaftler Prof. Matthias Rohe. Denn bisher könne niemand sagen, wie sich die Lage in Syrien entwickle.

Prof. Mathias Rohe, Islam- und Rechtswissenschaftler, Uni Erlangen-Nürnberg:
„Es bringt überhaupt nichts, Menschen zusätzlich zu verunsichern. Gerade diejenigen, die dabei sind, sich zu integrieren oder die schon bestens integriert sind, die jetzt aber auch nicht mehr wissen ja, können wir denn bleiben oder wollen die uns alle rauswerfen? Das hat sozialpsychologisch verheerende Folgen. Und das ist unfair gegenüber den beteiligten Menschen.“

Am Ende müsse jeder Fall einzeln betrachtet werden. Gerade Minderheiten wie Christen oder Kurden hätten große Ängste. Denn die neue Übergangsregierung wird von der Miliz HTS gebildet und ist von der UN als Terrororganisation gelistet.

Prof. Mathias Rohe, Islam- und Rechtswissenschaftler, Uni Erlangen-Nürnberg:
„In der Tat fällt auf, dass diese Bewegung, die jetzt im Moment vor allem das Sagen hat, HTS, aus einem ziemlich brutalen islamistischen Spektrum herkommt und deswegen viele Leute natürlich Angst haben. Wo geht es hin mit denen? Allerdings muss man auch feststellen im Moment haben sie vieles richtig gemacht. Also sie scheinen sich schon deutlich gewandelt zu haben, wie stark dieser Wandel ist und wie dauerhaft dieser Wandel ist, das können wir noch nicht beurteilen.“

Mahmoud Ali schickt uns ein weiteres Video. Er habe den höheren Angestellten des Geheimdienstgefängnisses auf der Straße getroffen, zufällig. Ihn sofort an seinen Brandflecken im Gesicht erkannt und heimlich gefilmt. Der Mann, der ihn damals entlassen habe, aber für Folter verantwortlich sein soll. Spazierengehend - mitten in Damaskus.

Fürth vor wenigen Tagen. Mahmoud Ali ist zurückgekehrt. Der Gefängnisangestellte beschäftigt ihn noch immer. Dass in Syrien regimetreue Mitarbeiter mitten unter den Menschen leben sei schwer zu begreifen.

Mahmoud Ali:
„Ich habe den Verbrecher auf der Straße gesehen, der läuft entspannt auf der Straße mit seinen Kollegen. Der hat in Geheimdienstabteilung 227 gearbeitet damals. Der hat die Leute gefoltert. Der hat die Frauen und Kinder auch gefoltert.“

Er hat Sorge vor Racheakten - hofft aber, dass die Verbrecher des Regimes vor Gericht gestellt werden.

Die Möglichkeit, eine solche Reise zu machen, sollten auch Syrer ohne deutschen Pass haben, wünscht sich seine Frau:

Bianca Fischer:
„Wie soll das sein, nach 14 Jahren, nach zehn Jahren? Wie soll das funktionieren? Nicht dort gewesen zu sein und dann von jetzt auf gleich zu entscheiden? Ich breche mein Leben hier jetzt wieder ab, meine Wurzeln, die ich so mühsam mir erarbeitet habe. Um in einem Land zu gehen, indem natürlich noch riesengroß Unsicherheit herrscht.“

Bleiben oder gehen - Wo möchte er in Zukunft leben? Diese Frage stellt er sich schon jetzt. Odai Bathika will helfen, Syrien wiederaufzubauen. Seine Familie ist dort. In Deutschland aber arbeitet er als selbständiger Finanzberater und ist eingebürgert.

Odai Bathika:
„Ich kam nach Deutschland, konnte gar kein Wort Deutsch. Also, das heißt für mich war es halt nicht, dass ich mit Null angefangen habe, sondern bei Minus. Ich habe richtig hart gearbeitet, um diese Nationalität zu haben. Ich bin schon sehr stolz drauf, Deutsch zu sein. Jetzt stehe ich halt so zwischen, zwischen zwei Sachen und es ist halt für mich eine krasse Entscheidung.“

Er hat die Wahl, will seine Familie bald wieder sehen und wie Mahmoud Ali dorthin reisen, um sich ein Bild vor Ort zu machen.

Viele Syrer ohne deutschen Pass können das aktuell nicht.

Mahmoud Ali und seine Frau werden mit ihren Kindern in Deutschland bleiben.

Familie Alsaleh muss abwarten: Über ihr Schicksal entscheidet auch die neue Bundesregierung.

Stand: 13.02.2025 08:57 Uhr