Neue Grundsteuer – Ärger um Bodenrichtwert
Petra Kern aus Karlsruhe hat vor kurzem ihren Grundsteuerbescheid bekommen. Fast 1400 Euro muss sie jetzt pro Jahr zahlen – doppelt so viel wie vorher.
Die Rentnerin hat ein langgezogenes Mischgrundstück, das heißt: Der vordere Teil ist bebaut, der hintere Teil, ihr Garten, darf nicht bebaut werden. Der ist deshalb eigentlich weniger wert. Doch für das gesamte Grundstück gilt ein hoher, einheitlicher Bodenrichtwert. Ein Problem für die Berechnung der Grundsteuer, sagt Steuerexperte Gregor Kirchhof: “Die Bodenrichtwerte sind reine Durchschnitts-, reine Richtwerte, wie es der Name schon sagt, und eine Besteuerung auf reinen Richtwerten auszurichten, das ist gleichheitswidrig. Wir haben ein Problem der Gesetzgebung, weil sie ungenaue Werte für das Steuerrecht nutzt und das hätte der Gesetzgeber nicht tun sollen”. Das Problem betrifft nicht nur Eigentümer in Deutschland, denn die Grundsteuer kann auch auf Mieter umgelegt werden. Petra Kern ist es erst mit einem Sachverständigen-Gutachten gelungen, die zu hohe Bewertung Ihres Grundstücks nachzuweisen. Für viele Hausbesitzer der letzte, aber teure Ausweg.
Text des Beitrags:
Vor Kurzem hat Petra Kern aus Karlsruhe ihren Grundsteuerbescheid bekommen. Sie muss jetzt doppelt so viel zahlen wie vorher - fast 1.400 Euro pro Jahr.
Petra Kern:
„Diese Erhöhung macht mich wütend und ich muss mir auch kräftig überlegen, wo ich das Geld hernehme. Wir sind Rentner, wir könnend das nicht einfach aus der Portokasse bezahlen. Wir müssen jetzt an Reparaturen einsparen, die eigentlich nötig wären. Aber ich kann sie mir einfach nicht mehr leisten.“
Petra Kern besitzt ein rechteckig geschnittenes Grundstück. 63 Meter lang, 17 Meter breit. Darauf steht ein Zweifamilienhaus und es gibt einen Garten, der nicht bebaut werden darf. Das Grundstück besteht also aus zwei Teilen, die unterschiedlich viel wert sind. Es ist ein sogenanntes Mischgrundstück.
Petra Kern:
„Diese Stelle markiert die Grenze zwischen dem Teil, den ich bebauen darf und dem Teil, den ich nicht bebauen darf. - Und warum ist diese Unterscheidung für die Grundsteuer wichtig? - Weil das Finanzamt dann die gesamte Fläche als Bauland berechnet, auch den Teil, den ich nicht bebauen darf. Und das Problem haben alle Nachbarn hier, denn alle Grundstücke sind so lang.“
Diskussion um Bodenrichtwerte
Seither beschäftigt sich Petra Kern intensiv mit dem sogenannten Bodenrichtwert. Dieser ist ein Durchschnittswert. Er soll angeben, wie viel Grundstücke jeweils wert sind, zum Beispiel in einem Wohngebiet. Vom tatsächlichen Wert eines einzelnen Grundstücks aber darf der Bodenrichtwert laut Gesetz um bis zu 30 Prozent abweichen. Das Mischgrundstück von Petra Kern liegt in einer Zone, für die ein einheitlicher Bodenrichtwert gilt: 510 Euro pro Quadratmeter, sowohl für den Garten als auch für das Bauland.
Ermittelt werden die Bodenrichtwerte in Deutschland von den örtlichen Gutachterausschüssen, das sind unabhängige Gremien, in denen zahlreiche Immobilien-Experten sitzen. Dietmar Weigt ist Professor für Landmanagement an der Hochschule Bochum und sitzt selbst in einem Gutachterausschuss. Er erklärt, dass man im Baurecht sehr wohl verschiedene Bodenrichtwerte für ein Mischgrundstück ermitteln - dieses also individuell anpassen kann.
Prof. Dietmar Weigt, Hochschule Bochum:
„Wir haben jetzt aber in der Grundsteuer das Problem, dass diese notwendigen Anpassungen nicht vorgesehen sind und damit es eben dazu kommt, dass die Bodenrichtwerte nicht sachgemäß verwendet werden, sie werden an der Stelle zweckentfremdet. Und das führt natürlich zu dem Frust, den ich absolut nachvollziehen kann bei den Bürgern.“
Unzufriedene Bürger - und Gutachterausschüsse, die in einer Zwickmühle stecken. Denn Mischgrundstücke müssten sie eigentlich unterschiedlich bewerten, nach dem bebaubaren und dem nicht-bebaubaren Teil. Das Landesgrundsteuergesetz in Baden-Württemberg zum Beispiel sieht solch eine Differenzierung aber nicht vor.
Und genau das sehen wir im Fall von Petra Kern. Ihn nimmt der Bund der Steuerzahler zum Anlass für eine Musterklage. Der Landesvorsitzende Eike Möller zeigt uns Erläuterungen des Karlsruher Gutachterausschusses, wie mit langen Mischgrundstücken umgegangen werden sollte. Für die ersten 40 Meter soll der volle Bodenrichtwert gelten, danach nur ein Drittel. Umgesetzt wurde das im Fall Kern aber nicht.
Eike Möller, Bund der Steuerzahler Baden-Württemberg:
„Der Gutachterausschuss in Karlsruhe hat natürlich insofern alles richtig gemacht, weil er in den Erläuterungen klarstellt, dass besonders lange Grundstücke niedriger bewertet werden müssen. Das Problem ist, dass der Landesgesetzgeber diese Erläuterungen ignoriert, der Landesgesetzgeber schaut nur auf die großen Zonen, die gebildet wurden mit dem hohen Bodenrichtwert. Und das führt dann zu einer Überbewertung der Grundstücke und damit zu einer Überbezahlung oder Überbelastung der betroffenen Steuerzahler.“
Dieses Problem taucht zwar besonders häufig in Baden-Württemberg, aber auch in anderen Bundesländern auf. Zum Beispiel bei Torsten Küllig aus dem sächsischen Moritzburg. Auf seinem Grundstück: zwei Garagen, ein Gartenhäuschen, ansonsten viel Wiese. Statt vorher 40 Euro muss er jetzt 1.300 Euro zahlen.
Wolfgang Gleich aus Waiblingen: Ein Teil seines Grundstücks liegt in einer hochwassergefährdeten Zone, hier gilt ein Bauverbot. Die Grundsteuer berücksichtigt das nicht, ist auf mehr als 2.300 Euro pro Jahr gestiegen.
Gutachter in Calw dringen auf mehr Gerechtigkeit
Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Calw im nördlichen Schwarzwald. Einige Grundstücke liegen hier an steilen Hängen, die Gärten deshalb unbebaubar. Der örtliche Gutachterausschuss wollte eine möglichst gerechte Grundsteuer-Berechnung.
Tobias Volle, inzwischen Bürgermeister von Pforzheim, leitete bis vor kurzem den Gutachterausschuss. Der habe schon 2023 beschlossen, zusammenhängende Mischgrundstücke in zwei Hälften zu zerteilen - mit einem höheren und einem niedrigeren Bodenrichtwert.
Tobias Volle, parteilos, Bürgermeister Pforzheim:
„Hier sieht man jetzt die Veränderungen, die wir dann gemacht haben. Durch dieses Zerschneiden, wo jetzt plötzlich dieser rote Strich eben durch das Flurstück verläuft und dadurch dann die Grundstückseigentümer zu einem korrekten Wert kommen, weil jetzt gibt es hier einen bebauten Bereich und der rückwärtige Bereich ist jetzt eben diese private Grünfläche.“
Für ihn und seine Kollegen eine Frage der Gerechtigkeit. Denn hätte der Gutachterausschuss die Mischgrundstücke in Calw nicht unterteilt, hätte jeder betroffene Eigentümer selbst Geld in die Hand nehmen und mit einem eigenen Gutachten belegen müssen, dass das Grundstück eigentlich viel weniger wert ist.
Tobias Volle, parteilos, Bürgermeister Pforzheim:
„Also wir für uns haben entschieden, wir investieren die Zeit und die Arbeit, weil wir dadurch viele Bürgerinnen und Bürgern von dem einzelnen Gutachten, wie gesagt, für einen horrenden Preis letztendlich, bewahren konnten, weil sie durch unsere Maßnahme einen richtigen, einen nahezu passenden Bodenwert für ihr Grundstück erhalten haben. Und das war uns die Mühe wert. Und wir finden, dass der Weg richtig war.“
Niedrigere Grundsteuer dank neuer Bewertung
Mehr als 11.000 Grundstücke hätte sein Gutachterausschuss damals neu bewertet, ein riesiger Aufwand. In Calw hat davon zum Beispiel Karl Baumkötter profitiert. Er zeigt uns sein Grundstück, Höhenunterschied: rund 18 Meter.
Karl Baumkötter:
„Unten könnte man sicher bebauen, aber hier hinter der Garage, ist praktisch unmöglich und hinter dem Wohnhaus auch, weil es da zu steil ist.“
Für sein Grundstück gelten jetzt zwei unterschiedliche Bodenrichtwerte. 150 Euro pro Quadratmeter für den unteren, bebauten Teil, aber nur 28 Euro für einen Teil des Steilhangs. Seine Grundsteuer ist nun gerechter.
Karl Baumkötter:
„Ich habe ja gesagt: Ich war erleichtert.“
Doch das Beispiel Calw kann für den Steuerexperten Gregor Kirchhof von der Universität Augsburg nicht die Gesamtlösung für alle Regionen sein. Fast überall in Deutschland, außer in Hamburg und Bayern, fließen die Bodenrichtwerte in die Berechnung der Grundsteuer mit ein.
Prof. Gregor Kirchhof, Universität Augsburg:
„Das Grundproblem würde auch durch die neuen Bodenrichtwert-Zonen nicht gelöst. Die Bodenrichtwerte sind reine Durchschnitts-, reine Richtwerte, wie es der Name schon sagt, und eine Besteuerung auf reinen Richtwerten auszurichten, das ist gleichheitswidrig. Wir haben ein Problem der Gesetzgebung, weil sie ungenaue Werte für das Steuerrecht nutzt und das hätte der Gesetzgeber nicht tun sollen.“
Finanzministerien sehen keinen Handlungsbedarf
Ein Problem der Gesetzgebung? Im Hinblick auf Bodenrichtwerte und Mischgrundstücke sieht das Finanzministerium Baden-Württemberg, „insgesamt keinen Veränderungsbedarf”. Auch das Bundesfinanzministerium schreibt, dass es, „aktuell nicht beabsichtigt”, das Grundsteuer-Gesetz zu ändern.
Und was heißt das jetzt für Petra Kern? Die Rentnerin aus Karlsruhe hat bei einem Sachverständigen ein Gutachten in Auftrag gegeben. Ergebnis: Der tatsächliche Wert ihres Grundstücks ist rund 36 Prozent niedriger als der örtliche Bodenrichtwert. Also mehr als die vom Gesetz geforderte Hürde von mindestens 30 Prozent. Sie kann jetzt auf eine geringere Grundsteuer hoffen.
Petra Kern:
„Ich war erleichtert und habe mich schon sehr gefreut, nur das Finanzamt prüft das Gutachten erst und muss es erst noch genehmigen, diese Unsicherheit bleibt mir noch. Insofern kann ich mich noch nicht endgültig freuen.“
Am Ende könnte das ihre Grundsteuer deutlich reduzieren. Aber für das Gutachten musste sie fast 1.800 Euro zahlen.
Stand: 13.02.2025 11:34 Uhr