Demos gegen Rechtsextremismus: Anmelder angefeindet und bedroht
Sie demonstrieren für die Demokratie und werden angefeindet: Betroffene berichten von Beschimpfungen, schweren Bedrohungen. Beratungsstellen beobachten eine Zunahme.
Mal werden sie mit Gewalt bedroht, manchmal sogar mit Tod. Demo-Organisatoren und -Teilnehmer berichten von schweren Attacken. Im Osten des Landes ist die Situation nach Recherchen von REPORT MAINZ zum Teil so dramatisch, dass Teilnehmer und Redner nur schwer zu gewinnen sind, an Demonstrationen gegen Rechtsextremismus teilzunehmen. Experten warnen vor einer Gefahr für die Demokratie.
Text des Beitrags:
Die Hassnachrichten, sie machen Kazim Abaci immer noch fassungslos.
Zitat aus dem Internet (nachgesprochen):
„Arabische Schweine reden über Demokratie. Ziehen Sie dorthin, wo Sie hingehören. Es lebe die AfD.“
Kazim Abaci, SPD, Demo-Organisator:
„Was habe ich denn gemacht überhaupt? Ich habe mit Menschen zusammen mich hingesetzt und gesagt: Lasst uns doch mal für unsere Demokratie auf die Straße gehen. Und das ist kein Verbrechen.“
Seit 44 Jahren lebt er in Deutschland, sitzt für die SPD in der Hamburger Bürgerschaft.
Anfeindungen gegenüber Demo-Organisator
Vor fast einem Monat. Kazim Abaci ist Mitorganisator der Demo gegen Rechtsextremismus in Hamburg - mit, laut Polizei, 180.000 Teilnehmern - wird kurz darauf im Netz angefeindet. Vor allem ein Kommentar ging unter die Haut. Es ging um seine Nichte: Gülhan. Vor sechs Jahren starb sie bei einem Verkehrsunfall.
Kazim Abaci, SPD, Demo-Organisator:
„Schöne Sache mit Gülhan. Hahahahaha. Denk dran, deine Strafe.“
David Meiländer, Autor:
„Das schreiben die ihnen.“
Kazim Abaci, SPD, Demo-Organisator:
„Das schreiben die, ja. Und das hat mich natürlich sehr betroffen gemacht und ich habe gesagt: Was ist das denn? Was hat das damit zu tun?“
Wer schreibt so etwas?
Es gelingt uns, den Verfasser des Kommentars ausfindig zu machen. In diesem Viertel wohnt er. Irgendwo in Deutschland, nicht mal in Hamburg. Auf Facebook teilt er gerne aus - etwa gegen den sogenannten Impfzwang. Doch kaum stehen wir vor der Tür, macht er sich rar. Lässt uns am Telefon ausrichten: Er könne gerade nicht. Gesundheitliche Gründe.
Und auf der anderen Seite stehen Menschen wie Pippa Schneider. Für die Grünen sitzt sie im niedersächsischen Landtag. Sie demonstrierte unter anderem gegen extrem Rechte in Göttingen - und postete ein Foto von sich im Netz. Die Folge: Hunderte Hasskommentare - tagelang, beinahe im Minutentakt, sagt sie.
Zitat aus dem Internet (nachgesprochen):
„Mit der Mütze, Pippa, haue ich dir im Vorbeigehen dein behindertes Lächeln aus deinem Lügenmaul. Foto gespeichert.“
Pippa Schneider, B‘90/Grüne, Landtagsabgeordnete:
„Am meisten haben mich die Morddrohungen getroffen und Vergewaltigungsdrohungen und auch Drohungen in dem einen Kommentar gegenüber meiner Familie. Ich habe zwei kleine Kinder. Wie ich dafür sorge, dass jemand irgendwann mal vor meinem Haus steht und da irgendwas anstellt, wie ich meine Familie schütze. Es macht auch was, dass ich vorsichtiger werde - ob ich vielleicht lieber dazu nichts auf Social Media schreibe.“
Das Ziel sei, sie zum Schweigen zu bringen
Die bundesweiten Demos - sie haben im Moment großen Zulauf. Und genau das führt zu immer mehr Anfeindungen, sagt Professorin Beate Küpper. Seit rund 20 Jahren forscht sie zu Rechtsextremismus. Eine gezielte Strategie, sagt sie.
Prof. Beate Küpper, Sozialpsychologin:
„Das Ziel ist es, sie zum Schweigen zu bringen. Das ist fatal für die Demokratie. Und das zeigt auch schon, wie normal der Rechtsruck inzwischen geworden ist. Dass wir uns daran gewöhnt haben, dass Menschen, die für die Demokratie einstehen, bedroht werden.“
Auch Beratungsstellen berichten REPORT MAINZ von einer Zunahme der Anfeindungen.
Farbe bekennen für die Demokratie - hier ist das noch schwieriger. Waldheim in Sachsen. Die Rechtsextremen beherrschen seit Jahren das Stadtbild, besonders an Montagen. Ihre sogenannten Spaziergänge und Demos - sie wirken fast wie Aufmärsche. Man präsentiert sich als Mehrheit, als die Guten.
Dagegen will sie ankämpfen: die Kirchenmalerin Cindy Reimer. Wir treffen sie bei der Vorbereitung für die nächste Kundgebung - in wenigen Stunden, ebenfalls an einem Montag.
Cindy Reimer, Demo-Organisatorin:
„Unsere Aufgabe ist grad, uns die Straße so ein bisschen zurückzuholen und die Sichtbarkeit zurückzuholen, um zu zeigen: Wir sind auch hier. Und deswegen ist es auch so wichtig, dass wir das an einem Montag machen.“
Ihr Ziel heute: Möglichst viele Leute nach Waldheim holen. Sogar bekannte Musiker haben Werbung gemacht, darunter der Sänger der bekannten Pop-Band Bosse. Damit auch aus den umliegenden Großstädten, wie Leipzig, Unterstützung kommt. Denn viele Waldheimer hätten Angst, an der Demo teilzunehmen.
Cindy Reimer, Demo-Organisatorin:
„Viele Leute trauen sich auch nichts zu sagen. Also es ist auch immer wirklich schwierig, Redner:innen zu finden. Es ist noch nicht lange her, vor einer Woche oder anderthalb Wochen, wurden wir erst mit einem Auto verfolgt. Wirklich auffällig. Der hat sich auch richtig bemerkbar gemacht, dass er hinter uns ist.“
„Das ist eine eindeutige Nachricht: Passt auf, was ihr macht.“
Einschüchterungsversuche gegen Menschen, die gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen. Nicht nur in Sachsen.
Herzberg in Brandenburg. Ende Januar fand hier eine Demo gegen Rassismus statt. Doch vermeintliche Teilnehmer entpuppten sich als Störenfriede: die Traktoren. Sie hupten so laut, dass die Demo beendet werden musste.
Organisator Christian Nürbchen und andere Teilnehmer erinnern sich noch gut. Er ist Vizelandeschef der Satirepartei Die Partei. Auch ein LKW sei zwischenzeitlich auf das Demo-Gelände gerollt. Dieser Poller muss zuvor absichtlich entfernt worden sein.
Christian Nürbchen, Die Partei, Demo-Organisator:
„Da kommen natürlich ganz negative Gefühle wieder hoch. So Sachen wie Breitscheidplatz flogen mir durch den Kopf in dem Moment. Das macht dann sehr großes Unbehagen.“
Die Polizei bestätigt den LKW-Vorfall nicht, obwohl sie vor Ort war. Merkwürdig. Denn auf Facebook finden wir Aufnahmen, teils wahllose Kameraschwenks. Und doch belegen die Bilder klar und deutlich: Der LKW steht vor der Absperrung, hinter den Pollern. Eine bedrohlich wirkende Szene.
Doch damit war es noch lange nicht vorbei, erzählt Christian Nürbchen. Wenige Tage später habe ein Auto vor seinem Haus gehalten, der Fahrer spielte Musik der verbotenen Rechtsrock-Band Landser, erzählt er uns.
Christian Nürbchen, Die Partei, Demo-Organisator:
„Es wurde ganz eindeutig der Text mitgegröhlt. ‚Berlin bleibt deutsch, Berlin bleibt deutsch. Euch Parasiten werden wir schon zeigen…‘ Das ist eine eindeutige Nachricht: ‚Passt auf, was ihr macht. Wir wissen genau, wo ihr wohnt. Und im Zweifelsfall kommen wir noch mal wieder.‘“
Angst, auf eine Demo für Vielfalt und Demokratie zu gehen
Zurück bei Cindy Reimer in Waldheim.
Cindy Reimer, Demo-Organisatorin:
„Polizei ist auch schon da.“
Die Gegenseite ebenfalls. Die Freien Sachsen - eine laut Verfassungsschutz gesichert rechtsextremistische Kleinstpartei. Sie demonstrieren heute zusammen mit der AfD.
Ein paar Stunden später. Beide Seiten stehen sich gegenüber.
Demonstranten:
„Nazis raus, Nazis raus.“
Cindy Reimer und ihre Mitstreiter geben sich alle Mühe.
Immerhin: Am Ende sind es laut Polizei etwas mehr Demonstranten als bei den Freien Sachsen und der AfD. Und doch: Die große Masse ist zuhause geblieben. Enttäuschung.
Rednerin auf Demonstration:
„Und wenn wir hören, dass es Menschen gibt, die aus Angst nicht herkommen, weil sie sagen ‚Mensch, meine Nachbar:innen, die stehen auf der anderen Seite und ich trau mich hier nicht her.‘, ich finde das ist ein Warnsignal.“
Auch der Bürgermeister ist nicht gekommen.
Wir erreichen ihn Tage später. Steffen Ernst von der FDP. Er spricht von einem möglichen erhöhten Risiko durch seine Anwesenheit - und negativen Rückmeldungen nach einer vorherigen Demo, wo er sogar eine Rede gehalten hat.
Steffen Ernst, FDP, Bürgermeister Waldheim:
„Verbale Anfeindungen, die hat es gegeben. Da muss ich auch ein bisschen aufpassen.“
Die ganze Situation in Waldheim - sie mache ihm ziemlich zu schaffen.
Steffen Ernst, FDP, Bürgermeister Waldheim:
„Das berührt mich als Bürgermeister schon. Ja, das kann man schon so sagen: Das bringt mir auch die eine oder andere schlaflose Nacht. Angst, dass es irgendwo in eine Richtung gehen kann, die wir eigentlich alle nicht wollen.“
Weitermachen trotz Anfeindungen
Wir fassen das nochmal zusammen: Anfeindungen gegenüber Leuten, nur weil sie für die Demokratie, gegen Rechtsextremismus, auf die Straße gehen. Ein Alarmsignal, meint Beate Küpper.
Prof. Beate Küpper, Sozialpsychologin:
„In einigen Wochen, wenn die Demonstration abgeebbt sind, sind diejenigen, die sich jetzt mit ihrem Gesicht für die Demokratie engagieren, zunächst erstmal scheinbar wieder alleine. Das Signal jetzt auf der Straße muss genutzt werden, hier zu sagen: Wir stehen hinter euch und lassen euch gerade auch in einigen Wochen und Monaten nicht alleine.“
Die Personen, die wir begleitet haben, jedenfalls wollen sich nicht einschüchtern lassen. Trotz der vielen Anfeindungen.
Stand: 14.02.2024 12:19 Uhr