Hungern trotz Arbeit: Ausgebeutet im Glasfaserausbau
Das Ziel der Bundesregierung ist klar, formuliert in der sogenannten Gigabitstrategie: Bis zum Jahre 2025 soll jeder zweite Haushalt in Deutschland über einen schnellen Glasfaseranschluss verfügen. Der Ausbau des schnellen Internets nimmt inzwischen Fahrt auf. Doch die Schattenseiten zeigen sich auf etlichen Baustellen: Arbeiter, zum Beispiel aus Osteuropa oder Syrien, werden um ihren Lohn gebracht, müssen teilweise sogar hungern.
REPORT MAINZ hat dutzende Fälle von Arbeitsausbeutung aus verschiedenen Regionen Deutschlands dokumentiert. In einem Fall wurde ein Arbeiter aus Ungarn von seinem Arbeitgeber sogar geschlagen. Gewerkschaftsvertreter sprechen von flächendeckenden, strukturellen Problemen in der Glasfaserbranche und fordern ein Ende der Arbeitsausbeutung. Aus der Ampel-Koalition gibt es die ersten Rufe nach gesetzlichen Verschärfungen.
Text des Beitrags:
Anfahrt auf ein kleines Dorf in Ungarn, knapp drei Stunden von der Hauptstadt Budapest entfernt. Hier treffen wir Gyula Molnár und seine Familie. Viel mehr als dieses eine Zimmer haben die vier derzeit nicht.
Er erzählt uns von seinen Erlebnissen als Bauarbeiter in Deutschland, eingesetzt im Glasfaser-Ausbau in der Nähe von Bielefeld - von Erniedrigung, körperlicher Gewalt und Ausbeutung.
Gyula Molnár:
„Morgens gegen Viertel vor sieben oder sieben sind wir los und es kam oft vor, dass ich erst gegen 21:30 Uhr wieder in der Unterkunft war. (…) Ich war vieles, nur kein Mensch mehr.“
Bekommen habe er damals 670 Euro netto für knapp zwei Monate. Vereinbart gewesen seien mehrere tausend Euro. Seine Familie kam mit nach Deutschland, habe hungern und Pfandflaschen sammeln müssen. Molnár schrieb seinem Arbeitsvermittler: „Bald ist es Mittag, wir haben noch nichts gegessen. Weil es nichts zu Essen gibt. (…) Was sind wir, Hunde?“
Körperliche Gewalt gegen Bauarbeiter aus Ungarn
Doch sein Chef habe ihn hingehalten. Hinzu seien die Schmerzen gekommen. Er leide an Bluthochdruck und einer Augenentzündung. In Deutschland habe er die Medikamente nicht bekommen, sein Arbeitgeber habe ihm eine Krankenversicherung verwehrt. Schließlich wird er mit seiner Familie vor die Tür gesetzt, erzählt er.
Gyula Molnár:
„Er spuckte in unsere Richtung, stieß uns, ich bekam Ohrfeigen, so ungefähr fünf, sechs Mal. Er setzt uns mit einem damals eineinhalb Jahre alten Kind raus auf die Straße, nachts, in den Regen.“
Schwere Vorwürfe. Wie ist so etwas möglich, mitten in Deutschland? Wir fahren nach Werther in Nordrhein-Westfalen, wo Gyula Molnár im Herbst 2022 Glasfaserkabel verlegt hatte. Sabine Runde und Reinhardt Kreft können sich noch gut an den Bautrupp von damals erinnern.
Sabine Runde:
„Also es kam oft vor, dass sie zu uns kamen und sagten: ‚Wasser, bitte. Wasser, bitte. Weil sie nichts zu trinken hatten.“
Reinhard Kreft:
„Und das bei, ja, heißen Temperaturen. Die hatten nichts zu essen, nichts zu trinken. Ausbeutung nenne ich sowas.“
Im Internet finden wir den Chef der Arbeiter. Auf seiner Facebook-Seite posiert er vor teuren Autos - Porsche, Maserati, Hummer-Geländewagen. Seine Arbeiter quartierte er in mehreren Häusern ein. Eine Gemeinde beklagte eine, Zitat, „menschenunwürdige und lagerhaft anmutende Unterbringung“.
Wir finden heraus: Der Mann ist schon mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung. Aktuell sitzt er im Gefängnis. Zu Vorwürfen, er habe Arbeiter ausgebeutet, geben seine Anwälte auf mehrfache Anfrage von REPORT MAINZ keine Auskunft.
Dutzende Fälle von Arbeitsausbeutung bundesweit
Ein extremes Beispiel, aber kein Einzelfall im Glasfaser-Ausbau. Bei unseren Recherchen stoßen wir auf viele andere Fälle in Deutschland.
Mössingen in Baden-Württemberg: 25 Arbeiter berichten von nicht gezahlten Löhnen. Selbst organisierte Kriminalität gibt es im Glasfaser-Ausbau. Rund um Breidenbach in Hessen werden Subunternehmer festgenommen. Tetenhusen in Schleswig-Holstein: Arbeiter ziehen vors Arbeitsgericht wegen Lohnprellerei.
Können die Kommunen Hilfe leisten? Einer, der das versucht hat, ist Marc-Guido Ebert, Ortsbürgermeister der kleinen Gemeinde Rittersheim in Rheinland-Pfalz. Vor ein paar Monaten erzählte ihm ein Anwohner, die Glasfaser-Arbeiter im Dorf bekämen keinen Lohn und würden hungern.
Marc-Guido Ebert, parteilos, Ortsbürgermeister Rittersheim:
„Einer der Arbeiter konnte Deutsch und mit dem hatte ich auch schon einen ganz guten Draht aufgebaut. Dann bin ich zu dem hin, hab zu dem gesagt, hier vorm Bürgerhaus war das: Sag mal, stimmt das, ihr habt nichts gegessen? Und da hat der fast angefangen zu heulen. Hat dann auch gesagt, dass er drei Monate ohne Lohn gearbeitet hat wie seine Kollegen auch. (…) Also wenn ich jemandem drei Monate keinen Lohn zahle, der im Ausland ist, und keine Möglichkeit hat, sich Hilfe zu suchen, weil er die Sprache nicht kann und keine Kontakte hat - was ist das? Nichts anderes als Ausbeutung der übelsten Art.“
Er hat viele Stellen, wie Zoll und Gewerkschaft, eingeschaltet. Danach hätten die Arbeiter wohl einen Teil ihres Lohns erhalten.
Der ehrenamtliche Bürgermeister steckt, wie viele seiner Kollegen, in einem Dilemma: Wer sich für ausgebeutete Arbeiter einsetzt, riskiert womöglich, den einzigen Glasfaser-Anbieter im Ort zu vertreiben.
Marc-Guido Ebert, parteilos, Ortsbürgermeister Rittersheim:
„Dann ist die Frage: Wo kommen denn Arbeiter her, die es dann besser machen oder die es dann weitermachen? Und ich glaube, dass da der eine oder andere Ortsbürgermeister gesagt hat: ‚Hopp, ich lasse laufen. Hauptsache, mein Ort wird fertig.‘“
System von Sub-Subunternehmern im Glasfaserausbau
Viele Kommunen drücken also offenbar gerne mal ein Auge zu. Die Hauptverantwortung tragen die Glasfaser-Anbieter, die sich unterschiedlicher Dienstleister bedienen.
Am Ende der Kette stehen die Bauarbeiter. Für sie verantwortlich ist der Subunternehmer. Zahlt der keinen Lohn, soll der nächste in der Kette einspringen: der Generalunternehmer. Der wiederum wurde vom Glasfaser-Anbieter für den Ausbau beauftragt - also zum Beispiel von der Deutschen Telekom, Vodafone, Deutsche Glasfaser oder Partnern von o2.
Die Probleme solch einer Kettenstruktur kennt er aus seiner täglichen Arbeit: Benjamin Luig von der Fairen Mobilität, ein Beratungsnetzwerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Benjamin Luig, Koordinator Faire Mobilität:
„Hier haben wir Fälle, wo wir auch das Generalunternehmen nicht klar zu fassen bekommen, wo das Generalunternehmen zunächst mal abstreitet, direkt zuständig zu sein oder überhaupt Geschäftsbeziehungen zu dem befragten Unternehmen gehabt zu haben.“
Beispiel Gyula Molnár, der von der Fairen Mobilität beraten wird. Weil sein Arbeitgeber nicht zahlt, soll das Unternehmen Greenfiber als Generalunternehmer einspringen. Doch das fühlt sich nicht verantwortlich. Auf Anfrage von REPORT MAINZ teilt es mit:
Greenfiber:
„Eine Ausbeutung von Arbeitnehmern (...) ist uns nicht bekannt. (...) Herr Gyula Molnár ist bei Greenfiber nicht bekannt. Vorwürfe von Ihm sind somit ebenfalls nicht bekannt.“
Seltsam: Denn REPORT MAINZ hat Einblick in Unterlagen, die das widerlegen. Laut Faire Mobilität wollte Greenfiber Gyula Molnar schon vor einem Jahr auszahlen.
Arbeiter beklagen Intransparenz in Auftragskette
Für ihn sind die Verantwortlichen noch schwerer zu fassen: Mustafa al Rshid Abazed stammt aus Syrien und wohnt in Völklingen im Saarland. Er kennt nur seinen direkten Arbeitgeber. Der schulde ihm rund 10.000 Euro, sei aber verschwunden.
Mustafa al Rshid Abazed:
„Wir wissen nur, dass er ein Auto mit holländischem Kennzeichen hat. Niemand kennt seine Wohnung in den Niederlanden, wir haben nur die Firmenadresse, die in den Arbeitsverträgen steht.“
Er klagt derzeit gegen seinen Arbeitgeber. Doch die Klage ist nicht zustellbar, die Anschrift ungültig. Die Folgen für die Familie noch immer drastisch: offene Mietzahlungen und Schulden bei der Krankenkasse.
Intransparente Strukturen, ausgebeutete Arbeiter und Unternehmen, die sich aus der Verantwortung ziehen: Was sagt die Bundesregierung dazu? Schließlich fördert der Bund den Glasfaser-Ausbau massiv, allein im vergangenen Jahr mit 3,6 Milliarden Euro.
Bundesregierung sieht kein strukturelles Problem
Das Bundesarbeitsministerium von Hubertus Heil äußert sich zur Situation der Arbeiter auf Glasfaser-Baustellen gegenüber REPORT MAINZ nur schriftlich. Handlungsbedarf sieht man nicht. Denn:
Bundesministerium für Arbeit und Soziales:
„Konkrete Informationen zu Verstößen bzw. Erkenntnisse, die darauf schließen lassen, dass es im Glasfaser-Ausbau strukturell bedingt und flächendeckend zur Umgehung von zwingend einzuhaltenden Arbeitsbedingungen kommt, liegen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales nicht vor.“
Erstaunlich: Denn selbst Politiker der Ampel-Koalition drängen zu schärferen Regeln. Etwa Frank Bsirske, langjähriger Verdi-Chef, heute grüner Bundestagsabgeordneter. Für die Glasfaserbranche fordert er eine Sonderregelung zur Auftragsvergabe.
Frank Bsirske, B’90/Grüne, Bundestagsabgeordneter:
„Das wäre ohne Weiteres auf dem Verordnungsweg, meines Erachtens, möglich, wenn Aufträge an Generalunternehmer und Subunternehmen nur vergeben werden dürfen, wenn sie sich haben registrieren lassen und das nachweisen bei der SOKA-Bau, also der Sozialkasse der Bauwirtschaft. Das sind Verhältnisse nackter Ausbeutung. Das ist Kriminalität, das ist organisierter Lohnbetrug. Und das schreit danach, zu handeln.“
Gyula Molnár hofft noch immer auf eine Zahlung aus Deutschland. Rund 3.600 Euro brutto fehlten, in Ungarn sind das fast drei durchschnittliche Monatsgehälter.
Gyula Molnár:
„Das Beste, was nun passieren könnte? Wenn wir das wenige, was uns zusteht, erhalten würden natürlich. Und auch, dass die vielen aufrichtigen Menschen in Deutschland damit konfrontiert werden, was alles passiert.“
Stand: 14.02.2024 12:15 Uhr