Kernkraftwerk Saporischschja: Ehemaliger Chef-Techniker warnt vor drohendem atomarem Unfall durch russische Besatzung
Forderungen nach Sanktionen gegen russischen Staatskonzern Rosatom
Der ehemalige Chef-Techniker im ukrainischen Kernkraftwerk Saporischschja, Oleg Dudar, erhebt schwere Vorwürfe gegen den russischen Staatskonzern Rosatom. Ukrainische Mitarbeiter des Kraftwerks sollen mit Folter zur Zusammenarbeit mit den russischen Besatzern gezwungen worden sein. Zudem sei das Kraftwerks-Gelände vermint worden. Angesichts von fehlendem qualifizierten Personal steige das Risiko eines atomaren Unfalls. Der im Exil lebende Dudar äußert sich im ARD-Politikmagazin REPORT MAINZ im Ersten zum ersten Mal vor laufender Kamera.
Der frühere Chef-Techniker zeigt sich sehr besorgt über die Sicherheitslage in dem Kernkraftwerk. Nach der Übernahme des Kraftwerks durch die russische Armee seien viele ukrainische Mitarbeiter geflohen. Das Kommando hätten mittlerweile das russische Militär und der russische Staatskonzern Rosatom übernommen. „Nur sehr wenige qualifizierte Mitarbeiter, zumindest in meiner Abteilung, haben einen Vertrag mit Rosatom unterschrieben und sind im Kraftwerk geblieben. Ich schätze, dass es etwa 10 Prozent der Belegschaft sind, die vor der Besetzung in meiner Abteilung gearbeitet haben. Das sind etwa 60 bis 70 Leute“, erzählt Dudar im Interview mit dem SWR.
Die Mitarbeiter aus Russland, mit der Rosatom die Stellen nachbesetze verfügen laut Dudar nicht über das notwendige Knowhow, um die Reaktorblöcke sicher zu betreiben. Dadurch steige die Gefahr eines atomaren Unfalls. „Die Russen kennen unsere Abläufe in dem Kraftwerk nicht. Wenn etwas passiert, werden sie überhaupt nicht wissen, was zu tun ist.“ Dem widerspricht Rosatom. Gegenüber REPORT MAINZ erklärt der russische Staatskonzern schriftlich: „Derzeit ist das KKW mit dem notwendigen Personal ausgestattet, um den sicheren Betrieb des Kraftwerks zu gewährleisten.“ Mehr als 4.500 Personen seien aktuell in der Anlage beschäftigt. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, Grossi, zeigte sich zuletzt besorgt über den niedrigen Personalstand im ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja. Vor der Invasion arbeiteten dort etwa 11.000 Menschen.
Oleg Dudar war, als das Kraftwerk im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Anfang März 2022 vom russischen Militär übernommen wurde, im Dienst. An der Aktion seien auch hochrangige Vertreter von Rosatom beteiligt gewesen, erinnert sich Dudar und nennt Namen. Später sollen zahlreiche Mitarbeiter mit brutaler Folter gezwungen worden sein, Verträge mit dem russischen Staatskonzern zu unterschreiben. Seinem Kollegen, dem Schichtleiter des Blocks, hätten die Besatzer „die Sehnen an Armen und Beinen durchgeschnitten, weil die Russen von ihm verlangten, einen Vertrag zu unterschreiben.“ Konfrontiert mit den Foltervorwürfen, bestreitet Rosatom diese als „unbegründet“.
Oleg Dudar schildert auch, dass das russische Militär das Kraftwerksgelände vermint hätte. Vor den angekündigten Besuchen der Kontrolleure der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA wären diese kurzzeitig teilweise entfernt und danach gleich wieder angebracht worden. Gegenüber REPORT MAINZ hat nun Rosatom auf Anfrage die Minen auf dem Kraftwerksgelände schriftlich bestätigt. „Der Einsatz von Minen in der geschlossenen Pufferzone ist durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, potenzielle ukrainische Saboteure abzuschrecken.“
Oleg Dudar hält Rosatom für einen der gefährlichsten Konzerne der Welt. Wenn Europa weiterhin Uran aus Russland kaufe, finanziere man damit Putins Krieg, erklärt Oleg im Gespräch mit REPORT MAINZ. Bisher gibt es keine Sanktionen gegen Rosatom oder Uran aus Russland. Rosatom macht weiter Geschäfte mit russischem Uran in der EU und auch in Deutschland. Schon jetzt liefert Rosatom regelmäßig russisches Uran an die Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen. Nach Recherchen von REPORT MAINZ sind in den nächsten Monaten 70 weitere Uran-Transporte geplant. Die Fabrik in Lingen gehört dem französischen Atomkonzern 'Framatome', der eng mit Rosatom kooperiert. Aktuell läuft ein Genehmigungsverfahren, um die Produktion für russische Brennelemente auszuweiten. Erst vor wenigen Tagen fand der jüngste Transport statt.
Bisher sind Urantransporte aus Russland nicht durch die EU sanktioniert. Auf Sanktionen gegen Rosatom angesprochen erklärt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes gegenüber dem SWR: „Die Bundesregierung setzt sich im EU-Rahmen weiterhin für Sanktionen gegen den zivil-nuklearen Sektor in Russland ein, auch um russische Staatseinnahmen zu mindern.“ Neue Sanktionen können jedoch nur auf europäischer Ebene verhandelt und müssen einstimmig durch die EU-Mitgliedsstaaten beschlossen werden.
Gegenüber REPORT MAINZ forderten mehrere EU-Abgeordnete sofortige Sanktionen gegenüber Rosatom und deren Uran-Transporte. Diese würden bisher allerdings durch Ungarn blockiert. Ungarn baut derzeit ein Kernkraftwerk mit finanzieller Unterstützung durch Russland. Laut den EU-Abgeordneten sei das der Grund, warum Ungarn die geforderten Sanktionen gegenüber Russland verhindere.