Schwangere Ärztinnen: Häufig gemobbt und benachteiligt
Marburger Bund: „Degradierung von Fachkräften, die dringend gebraucht werden“ / Antidiskriminierungsbeauftragte fordert „leichter anwendbares Gesetz zum […] Schwangerenschutz“
Ärztinnen werden in deutschen Kliniken häufig benachteiligt, das zeigen Recherchen von REPORT MAINZ. Sie erhalten unter anderem weniger Festanstellungen wie eine Umfrage des ARD-Politikmagazins unter allen Uniklinken ergeben hat.
Des Weiteren werden Ärztinnen und Medizinstudentinnen wegen einer möglichen oder bestehenden Mutterschaft diskriminiert, so das Ergebnis einer Studie der Uni Göttingen. An der Studie hatten sich mehrere hundert Ärztinnen und Medizinstudentinnen von Unikliniken beteiligt. Fast ein Drittel (28,57 Prozent) der Ärztinnen haben diese Erfahrungen gemacht und mehr als jede zehnte Medizinstudentin (13,76 Prozent).
Pauschales Beschäftigungsverbot
Ein betriebliches Beschäftigungsverbot bei einer Schwangerschaft versuchen viele Ärztinnen zu vermeiden, denn dies erweist sich allzu oft als Problem für die Karriere. Laut einer Studie des Marburger Bundes haben dennoch 46 Prozent aller Ärztinnen ein betriebliches Beschäftigungsverbot erhalten, als sie schwanger wurden. Das heißt für diese Frauen, die häufig noch in der Phase der Weiterbildung sind, sie können keine weiteren Qualifikationen für Ihren Facharzt sammeln, verlieren den Anschluss bei Operationsfertigkeiten und werden zu Schreibarbeiten degradiert.
Individuelle Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes für schwangere Ärztinnen gesetzlich vorgeschrieben
Auch die Reform des Mutterschutzgesetzes 2018 hat dies nicht geändert. Obwohl Arbeitgeber laut diesem Gesetz verpflichtet sind, nach Bekanntgabe der Schwangerschaft eine Gefährdungsbeurteilung des individuellen Arbeitsplatzes vorzunehmen und "nach Maßgabe der Gefährdungsbeurteilung erforderliche Schutzmaßnahmen festzulegen". Dann sollten, laut Gesetz, "Anpassungen der Arbeitsbedingungen" angeboten werden. Doch bei knapp der Hälfte aller schwangeren Ärztinnen im Klinikbetrieb wird das gar nicht oder ohne Erfolg umgesetzt, so das Ergebnis einer Befragung des Marburger Bundes unter rund 4800 Ärztinnen und Medizinstudentinnen.
Marburger Bund: „Degradierung von Fachkräften, die dringend gebraucht werden“
Die Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna spricht von einer „Verschwendung ärztlicher Arbeitskraft.“ „Ärztinnen, die bei einer Schwangerschaft kürzertreten wollen, muss natürlich die Möglichkeit dazu eingeräumt werden. Aber die, die weiterarbeiten wollen, die eine völlig unkomplizierte Schwangerschaft haben, einfach ins Beschäftigungsverbot zu schicken, ist eine Degradierung von Fachkräften, die dringend gebraucht werden. Das ist schlecht für die Patientenversorgung und auch schlecht für die Karrierewege der Ärztinnen. Insofern ist es durch nichts zu rechtfertigen.“
Dass Kliniken wegen der möglichen Haftung bei Komplikationen oder Fehlgeburten Ärztinnen in pauschale Beschäftigungsverbote schicken, dafür gebe es keine rechtliche Grundlage, so Arbeitsrechtlerin Prof. Katja Nebe: „Im Arbeitsverhältnis haftet jede Seite nur, wenn eine vorwerfbare Pflichtverletzung vorliegt. Wer die Gefährdungsbeurteilung unternimmt und die Schutzmaßnahmen ergreift, hat für sich sozusagen das Recht auf seiner Seite und kann sagen, ich habe mich pflichtgemäß verhalten. Und dann stellt sich die Haftungsfrage nicht.“
Doch der Vollzug des Mutterschutzgesetzes wird nicht kontrolliert, das ergeben die Recherchen des ARD-Politikmagazins. Das zuständige Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schreibt auf REPORT MAINZ-Anfrage: „Wer der Ansicht ist, wegen eines in § 1 Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) genannten Grundes benachteiligt worden zu sein, kann sich an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden (§ 27 Abs. 1 AGG) und wird dort entsprechend beraten. Zur Beratung gehört auch eine Information über Ansprüche und die Möglichkeiten des rechtlichen Vorgehens im Rahmen gesetzlicher Regelungen zum Schutz vor Diskriminierung. Zu den in § 1 AGG genannten Gründen gehört auch eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts.“
Antidiskriminierungsbeauftragte fordert „leichter anwendbares Gesetz zum […] Schwangerenschutz“
Der Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes, Ferda Ataman, geht das nicht weit genug, im REPORT MAINZ-Interview kritisiert sie: „Wenn man pauschal ein betriebsbedingtes Arbeitsverbot verhängt, weil jemand schwanger wird, dann kann das eine Diskriminierung sein. Das Gesetz verbietet diese Form von Diskriminierung. Aber es ist so, dass die Frauen sich allein dagegen wehren müssen. Ob eine schwangere Frau gegen ihren Arbeitgeber allein vor Gericht ziehen würde, um ihr Recht durchzusetzen, ist aber nicht wahrscheinlich. Das heißt, wir brauchen ein Gesetz, das leichter anwendbar ist für Frauen und das den Mutterschutz, den Schwangerenschutz und den Diskriminierungsschutz durchsetzt.“
Prekäre Situation durch andauernde Befristungen von Ärztinnen
Für Ärztinnen und Medizinstudentinnen im Klinikbetrieb kommt noch ein weiteres Problem hinzu: die dauerhafte Befristung ihrer Arbeitsverträge. Eine REPORT MAINZ-Umfrage unter allen deutschen Unikliniken ergibt: Von insgesamt 6118 Festanstellungen gehen 3549 an männliche Ärzte - knapp eintausend weniger, nämlich 2568 gehen an Ärztinnen. Die befristeten Stellen gingen in der Mehrheit hingegen an Frauen. Dabei ist die Anzahl der Beschäftigten bei beiden Geschlechtern annährend gleich.
Knapp 65% aller Studenten der Humanmedizin im Jahr 22/23 sind weiblich
Die Mehrheit der Studenten der Humanmedizin sind Frauen, doch der Frauenanteil in der Medizin sinke mit jeder Karrierestufe, so das unabhängige Wirtschaftsinstituts Wifor. Liegt der Frauenanteil bei den Medizinstudentinnen noch bei 65 Prozent und in der chirurgischen Weiterbildung bei 58 Prozent, sinkt er im ambulanten und stationären Sektor in der Chirurgie auf 26 Prozent. Direktorinnen in der Chirurgie gibt es nur zu fünf Prozent. Schon heute fehlen auf dem Arbeitsmarkt nach Berechnungen des Instituts 5000 Chirurginnen und Chirurgen. Bis 2035 prognostizieren die Forscher eine Lücke von 15.000 Personen.
Das Bundesministerium für Gesundheit schreibt auf REPORT MAINZ-Anfrage: „Die Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen gilt es weiter auszubauen, auch in Krankenhäusern. So gibt es bereits verschiedene Förderprogramme für Ärztinnen unterschiedlicher Träger und Institutionen, wie Mentorinnenprogramme einzelner Universitätsklinika oder des deutschen Ärztinnenbundes (DÄB).“ Es liege „im eigenen Interesse der Krankenhäuser das Arbeitspotential von qualifizierten Frauen zu nutzen, sie bei anstehenden Karriereschritten zu fördern und Arbeitsbedingungen so auszugestalten, dass sie auch mit familiären Verpflichtungen in Einklang gebracht werden können, auch in der Chirurgie“, so eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministers.