Rechtsextreme und rassistische Vorfälle: Tabuthema an Schulen

Verbotene Nazisymbole, Judenwitze, rassistische Beleidigungen: Sicherheitsbehörden und Beratungsstellen beobachten eine Zunahme an rechtsextremistischen Vorfällen an Schulen - wie Recherchen des ARD-Politikmagazins REPORT MAINZ ergeben.

Mara (Name von der Redaktion geändert) ist sieben und Grundschülerin, das einzige schwarze Mädchen in der Klasse, sagt sie. Dass sie anders aussieht, bekomme sie von ihren Mitschülern durch rassistische Beleidigungen immer wieder zu spüren. Rechtsextremistische Vorfälle an Schulen werden von den Bundesländern nicht einheitlich erfasst. Vier Bundesländer berichten REPORT MAINZ von einem Anstieg der Fälle.

Beratungsstellen für Schulen sowie der hessische Verfassungsschutz sehen eine Ursache in den sozialen Medien. Viele Lehrer und Lehrerinnen berichten REPORT MAINZ von einer Unsicherheit im Umgang mit rechtsextremistischen Vorfällen. Experten sehen eine Lösung: mehr verpflichtende Demokratiebildung im Lehramtsstudium.

Text des Beitrags:

Mara. Der Name ist geändert, auch ihr Gesicht sollen wir nicht zeigen. Die Siebenjährige ist Grundschülerin, das einzige schwarze Mädchen in der Klasse, sagt sie. Und das ließen sie ihre Mitschüler spüren. Immer wieder, erzählt sie. 

Mara, Betroffene
Mara | Bild: SWR

Mara: 
„Die sagen manchmal Loser zu mir, Neger, Negerschlampe und Schwächling.“ 

Frage:
„Und was sagst du dann zurück?“ 

Mara: 
„Gar nix.“ 

Frage:
„Und was hat die Schuldirektorin zu dir gesagt?“ 

Mara: 
„Als ich gesagt habe, da hat jemand zu mir Neger gesagt, da hat sie gesagt: Neger ist kein Schimpfwort.“

Seit einem halben Jahr gehe das so. Und Mara nimmt das alles ganz schön mit.  

Mara: 
„Einmal habe ich angefangen zu weinen. Einmal hatte ich Albträume. Und einmal hatte ich Angst, dass ich noch mal in den Schwitzkasten genommen werde.“ 

Frage:
„Das heißt, es ist jetzt schon öfter passiert?“ 

Mara: 
„Ja.“  

Und das nur wegen ihrer Hautfarbe. Maras Mutter erzählt uns von weiteren Angriffen, Bedrohungen. Auch sie will ihr Gesicht nicht zeigen - aus Angst vor Konsequenzen für ihre Tochter.  

Maras Mutter
Maras Mutter | Bild: SWR

Maras Mutter: 
„Die Kinder haben so massiv an ihren Haaren gezogen, dass sie ihr sogar die Haare rausgerissen haben (…) Ich bin dann regelmäßig in der Schule gewesen. Und das wurde immer so abgetan, als wenn das nicht der Wahrheit entspricht: ‚Wir sind keine rassistische Schule. Sowas gibt es bei uns nicht. Sowas ist bei uns niemals passiert‘.“

Die Schule will sich auf REPORT MAINZ-Anfrage nicht äußern, verweist auf das Ministerium. Auch das schweigt. Maras Mutter fühlt sich allein gelassen.

Maras Mutter: 
„…weil es ist ja so: Man gibt sein Kind in die Obhut von anderen. Und sie ist einfach nicht behütet. Das ist ein ganz schlimmes Gefühl. Also als Mutter ist das echt schlimm. Ja.“ 

Zum Teil überforderte Lehrer 

Für diesen Film haben wir mit vielen Lehrern, Schülern, Elternvertretern gesprochen. Ein Thema mit Tabupotenzial. Offen vor der Kamera will kaum jemand sprechen. Und doch deuten allein die Zahlen auf ein immer stärker werdendes Problem hin - zumindest da, wo rassistische und rechtsextremistische Vorfälle erfasst werden.   

Beispiel Sachsen: 73 gemeldete Fälle waren es laut Landesregierung im Jahr 2019. Vier Jahre später 149. Auch in Sachsen-Anhalt, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern gab es Anstiege im fast gleichen Zeitraum. In einer bisher unveröffentlichten Umfrage des thüringischen Lehrerverbands berichten Mitglieder von extremen Aussagen ihrer Schüler: 

„Früher hätte man sowas wie dich vergast.“ 
„Siehst aus wie braune Scheiße.“ 

Unvorstellbare Aussagen. Und doch bekommt Lena Lehmann ähnliches immer wieder mit. Wir sind in Halle in Sachsen-Anhalt bei Miteinander e.V. Die Beratungsstelle hilft Lehrern im Umgang mit rechtsextremen Vorfällen. Lehrer, die zum Teil überfordert seien. Die Anfragen gingen regelrecht durch die Decke.

Lena Lehmann, Miteinander e.V.
Lena Lehmann | Bild: SWR

 Lena Lehmann, Miteinander e.V.: 
„Also was für uns wirklich absolut neu ist, dass es Vorfälle gibt von Grundschüler:innen, die sich sowohl rassistisch äußern, aber die auch Hakenkreuze nutzen als Symbole. (…) Ich setze das tatsächlich in den Zusammenhang der Zugang zu sozialen Medien, der Zugang zu Bildern, zu Inhalten, auf die so junge Menschen eigentlich sonst gar keinen Zugriff haben.“ 

Social Media als Rekrutierungsfeld für Rechtsextremisten

Beispiel TikTok: voll von rechtsextremen Inhalten. Die junge Alternative: pathetische Bilder. Es geht um Abschieben - nur auf jung gemacht.  

Beispiel Telegram: Die jungen Nationalisten sprechen Schüler direkt an. Aufkleber werden angeboten. Die Jugend wird aufgestachelt zum rechtsextremen Rebellentum. 

Auch ein Thema für Sicherheitsbehörden. Der hessische Verfassungsschutz schreibt REPORT MAINZ von mehreren Social-Media-Kanälen

Verfassungsschutz Hessen: 
„In denen Jugendliche und junge Erwachsene gezielt mit vermeintlich unverfänglichen Inhalten angelockt werden (…) Ziel ist es, eine junge, aktionsorientierte Zielgruppe (…) zu rekrutieren.“ 

Und die Folge: vermehrt rechtsextremistische Vorfälle in Schulen - bestätigen uns der hessische Verfassungsschutz und auch bundesweit viele Lehrer, die uns anonym auch von Einschüchterungsversuchen berichten.

Lehrer (anonym): 
„Was will ich denn machen, wenn schon der Vater mit dem Reichsbürger-Hütchen kommt. Mit solchen Eltern traut man sich nicht mehr zu reden.“ 

Lehrerin (anonym): 
„Was ist, wenn die dann morgen vor meiner Haustür stehen? Da habe ich schon darüber nachgedacht: Was sage ich jetzt in Zukunft?“ 

Große Verunsicherung, die bei einigen zu Schweigen führt, wo doch so viel zu sagen wäre. 

Wir sind unterwegs zu einer jungen Frau, die an all dem zerbrochen ist. Wir nennen sie Lisa. Auch sie will aus Angst vor ihren ehemaligen Mitschülern nicht erkannt werden. Anfang 2020 war sie Teil einer normalen Chatgruppe ihrer Jahrgangsstufe, als dort plötzlich erschreckende Nachrichten aufgetaucht seien, erzählt sie.

Lisa, Betroffene
Lisa | Bild: SWR

Lisa: 
„Hakenkreuze waren oft zu sehen, eine SS-Uniform, Hitler-Bilder, mit Sätzen wie: ‚Du bist lustig. Dich vergase ich zuletzt.‘ Ich war geschockt.“

Es ging nicht um sie persönlich - und doch meldete Lisa die rechtsextremen Aussagen der Schulleitung. Und das habe für Unmut bei ihren Mitschülern gesorgt - die sie bedrängt hätten, umringt, immer wieder, über Tage, erzählt sie. Der Vorwurf: Lisa sei eine Verräterin.

 Lisa: 
„Mir wurde gesagt: ‚Ich will meine Kippe an dir ausdrücken.‘ bis hin zu ‚Komm mal lieber nicht hierhin, ich bring dich um.‘ Ich habe mich zum Teil in den Schultoiletten eingeschlossen.“ 

Lisa ging nicht mehr zur Schule - hatte so viel Angst, dass sie Hilfe brauchte. Ihre Therapeutin von damals erinnert sich. Sie sei selbst bei einem Gespräch in der Schule dabei gewesen, spricht von einer merkwürdigen Stimmung.   

Brigitte Zemke, Psychotherapeutin
Brigitte Zemke | Bild: SWR

Brigitte Zemke, Psychotherapeutin: 
„Wir waren nicht willkommen. Wir waren Störenfriede. Der Schule war es wichtig, das alles nicht offen zu legen, was da passiert war. Die Täter wurden auch nicht konfrontiert. Die müssen grundweg den Eindruck gehabt haben, die dürfen das. Das war schädigend.“ 

Kritik an Lehrerausbildung 

Die Schule äußert sich nicht gegenüber REPORT MAINZ. Dafür erklärt die zuständige Schulaufsicht: „Die derzeitige Schulleitung (…) hat den Vorgang recherchiert und aus den uns vorliegenden Unterlagen können wir kein Fehlverhalten der Schule feststellen.“ 

Zivilcourage, die zum Verhängnis wird. Lehrer, die hilflos wirken - angesichts von zum Teil immer mehr Vorfällen mit rechtsextremistischem Hintergrund. Auch bei den Berufsvertretern ist das alles schon angekommen, die eigentlich etwas ganz anderes wollen. Wir sind beim bayerischen Lehrerverband. Ein Treffen von Funktionären, die Klartext sprechen wollen über den Schulalltag. 

Bernd Wahl, Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverband
Bernd Wahl | Bild: SWR

Bernd Wahl, Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverband: 
„Dass es Entwicklungen gibt, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind und die wir lange nicht sehen wollten.“ 

Henrik Schödel, Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband
Henrik Schödel (rechts) | Bild: SWR

Henrik Schödel, Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband: 
„Wir haben natürlich, muss man auch sagen, viele Lehrkräfte, die in dem Bereich gar nicht ausgebildet sind.“ 

Forderung nach verpflichtendem Lernmodul für Demokratiebildung

Kann das sein? Welche Rolle spielt Demokratiebildung bei der Lehrerausbildung? Es ist gar nicht so leicht, darauf eindeutige Antworten zu bekommen. Die Bundesländer verweisen seitenlang auf Studienordnungen, Standards, Broschüren. 

Doch gibt es auch ein verpflichtendes Lernmodul für Demokratiebildung? Nur fünf Bundesländer von 16 antworten auf diese Frage mit einem klaren ja. Dabei müsste es überall so sein - die Meinung der Präsidentin des bayerischen Lehrerverbandes. Denn es gehe um viel.  

Simone Fleischmann, Präsidentin Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband
Simone Fleischmann | Bild: SWR

Simone Fleischmann, Präsidentin Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband: 
„Eins darf nicht passieren: Dass wir stumm werden. (…) Die Gesellschaft kann sich das nicht leisten, dass die Institutionen, wo alle Menschen sind, nämlich in der Schule, bei diesem Thema eine Nullnummer wäre. Wenn das passiert, das hat es in der Geschichte schon mal gegeben, dann haben wir verloren.”

Mara und ihre Mutter jedenfalls sehen nach all den rassistischen Anfeindungen nur eine Möglichkeit - wegziehen.  

Maras Mutter: 
„Damit es ihr gut geht. Damit sie wieder Kind sein kann.“ 

Frage:
„Was wünschst du dir denn?“ 

Mara: 
„Also auf der neuen Schule, will ich, das wäre schöner, wenn nicht so viele mich prügeln würden und rassistisch beleidigen.“

Stand: 06.03.2024 15:12 Uhr