Extremistische Vereine erhalten Steuervorteile

Pressemeldung vom 30.07.2024 | Lückenhafte Prüfung der Gemeinnützigkeit

Einige Vereine in Deutschland sind als gemeinnützig anerkannt, obwohl Verfassungsschutzämter sie als extremistisch oder verfassungsfeindlich einstufen. Das zeigt eine Recherche des ARD-Politikmagazins REPORT MAINZ, für die unter anderem die Berichte des Bundesamts für Verfassungsschutz und der Landesämter für Verfassungsschutz (Jahre 2022 und 2023) ausgewertet und mit Steuerdaten abgeglichen wurden.

Demnach genießen selbst solche Organisationen Steuervorteile, die zum Beispiel aus dem kremlfreundlichen, islamistischen, links- und rechtsextremistischen oder dem christlich-fundamentalistischen Spektrum stammen. Nach Ansicht der Deutschen Steuergewerkschaft können die Finanzämter viele Vereine nicht so gründlich prüfen, wie es das Gesetz vorschreibt - aufgrund Personalmangels.

Putin-Fans und antisemitische Hetzer als gemeinnützig anerkannt

Ordner mit der Schrift "Gemeinnützigkeit"
Ordner mit der Schrift "Gemeinnützigkeit" | Bild: IMAGO / Steinach

Rund 560 000 Vereine sind von ihren örtlichen Finanzämtern als gemeinnützig anerkannt und genießen dadurch Steuervorteile. Zum Beispiel der Verein „Aufbruch Leverkusen“. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen stuft die Organisation in seinem jüngsten Jahresbericht 2023 als ein Sammelbecken von Reichsbürgern, Rechtsextremisten und prorussischen Propagandisten ein. Die Führungsfigur verbreite „Narrative der russischen Regierung“. Der Verein weist diese Einstufung durch den Verfassungsschutz auf Anfrage von REPORT MAINZ zurück.

Ebenfalls als gemeinnützig anerkannt ist der Trägerverein der „Baptistenkirche Zuverlässiges Wort“ aus Pforzheim. Deren Gründer hetzt in Predigten unter anderem gegen queere Menschen. Im Januar 2023 hatte ihn das Amtsgericht Görlitz unter anderem wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt, das Urteil ist inzwischen rechtskräftig. Der Trägerverein der Kirche genießt bis heute Steuervorteile, obwohl der Verfassungsschutz Baden-Württemberg von einer „demokratiefeindlichen Grundhaltung“ der Baptisten spricht. Manche Predigten enthielten „antisemitische und verschwörungsideologische Elemente“. Eine Anfrage von REPORT MAINZ dazu ließ die Kirche unbeantwortet.

Selbstloses Engagement für die Allgemeinheit

Laut Gesetz ist eine Körperschaft wie ein Verein dann vom jeweiligen Finanzamt als gemeinnützig anzuerkennen, „wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern“ (§ 52 Abgabenordnung). Ein Katalog im Gesetz präzisiert, dass zum Beispiel klassische Sportvereine förderwürdig sind, Kunst- und Kulturvereine, Organisationen, die Wissenschaft und Forschung fördern oder sich für kranke Menschen einsetzen.

Dann müssen sie zum Beispiel keine Körperschafts- und Gewerbesteuer zahlen. Vereinsvorstände können zudem Ehrenamts- und Übungsleiterpauschalen steuermindernd nutzen und sie dürfen offiziell Spendenquittungen ausstellen, Spender können geleistete Geldzahlungen also von der Steuer absetzen.

Laut Gesetz keine Gemeinnützigkeit für Extremisten

Auf Anfrage bestätigt das Bundesfinanzministerium die rechtliche Regelung, wonach verfassungsfeindliche Vereine keinen Anspruch auf Steuervorteile hätten. „Werden Organisationen in einem Verfassungsschutzbericht (…) ausdrücklich als extremistisch eingestuft, dann ist die Steuerverwaltung (…) gesetzlich angehalten, den Entzug der Gemeinnützigkeit zu veranlassen“, so das Ministerium.

Doch neben dem „Aufbruch Leverkusen“ und der „Baptistenkirche Zuverlässiges Wort“ genießen weitere umstrittene Vereine Steuervorteile, wie die Recherche zeigt. Dazu zählt der „Verein für Dialog und Völkerverständigung in Karlsruhe“, der laut Verfassungsschutz der islamistischen Muslimbruderschaft nahestehe. Oder das Hans-Litten-Archiv in Göttingen, das der linksextremen „Roten Hilfe“ angeschlossen ist und bei dem es sich um eine „extremistische Struktur“ handele, die „verfassungsfeindliche Ziele“ verfolge. Genauso der Bilal-Verein aus Heilbronn, in dem laut Verfassungsschutz seit Jahren „salafistische Agitation“ stattfinde. Alle drei Vereine bestreiten auf Nachfrage, extremistisch zu sein. Die Liste lässt sich noch verlängern.

Steuergewerkschaft appelliert an Sicherheitsbehörden

Die Finanzbehörden dürfen sich aufgrund des Steuergeheimnisses nicht zu konkreten Einzelfällen äußern. Im Interview mit REPORT MAINZ spricht Florian Köbler, Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, von einem „eklatanten Vollzugsproblem“. Er sagt: „Wir können nicht alle Fälle bis ins kleinste Detail prüfen. Hintergrund: zu wenig Personal.“ Er hofft auf einen besseren Informationsaustausch mit den Sicherheitsbehörden. „Die Kommunikation zwischen Verfassungsschutz und Steuerverwaltung muss besser funktionieren. Wir müssen zukünftig hier besser vernetzt werden, und der Verfassungsschutz muss uns da auch besser abdecken“, so Köbler.