Mallorca: Protest im Urlaubsparadies
Die Balearische Insel ist für viele Deutsche ein Sehnsuchtsort, entwickelt sich für viele Einheimische aber zu einem Albtraum. Wohnungsnot, Wasserknappheit, Armut und Überfüllung: REPORT MAINZ hat sich auf die Spuren der negativen Folgen des sogenannten Overtourism gemacht.
Über 20.000 Menschen gingen vor einigen Tagen auf die Straße, um auf die Folgen des Massentourismus aufmerksam zu machen. Denn die Probleme sind vielfältig: Wohnungsnot, Wasserknappheit, Armut und Überfüllung - selbst in Umweltschutzgebieten.
REPORT MAINZ hat sich auf die Spuren des sogenannten Overtourism gemacht. Wir haben mit Menschen gesprochen, die sich trotz guten Einkommens keine Wohnung mehr leisten können und stattdessen in heruntergekommenen Wohnwagen oder im Auto schlafen müssen. Einheimische erheben den Vorwurf, aus ihrer eigenen Heimat vertrieben zu werden. Hat Massentourismus insgesamt angesichts immer weiter steigender Urlauber-Zahlen noch eine Zukunft?
Text des Beitrags:
Wir sind unterwegs – zu einem der angeblich schönsten Strände Mallorcas. Gar nicht so einfach. Das Gebiet heißt Es Trenc - eigentlich ein Naturschutzgebiet. Gedacht als Lebensraum für 44 geschützte Vogelarten. Doch wir finden hier vor allem Badegäste, die Fotos machen. Ziemlich viele. Überall. Massentourismus - und seine Folgen. Die im Moment ganze Regionen auf die Straße treiben, überall in Europa. Wie groß ist das Problem und muss ich sich der Tourismus verändern?
Rekordzahlen im Tourismus
Inca, im Herzen von Mallorca. Hier scheint die Welt noch in Ordnung. Die Vorstellung des alljährlichen Festprogramms, zu Ehren der Stadtheiligen. Und sie hat das mitorganisiert: Alice Weber. Die Deutsche ist hier stellvertretende Bürgermeisterin. Seit neun Jahren ist sie im Stadtrat, seit über 30 Jahren auf der Insel. Eigentlich geht es heute nicht um Tourismus. Und trotzdem ist es immer wieder Thema.
Alice Weber, Partei Més, Stellv. Bürgermeisterin Inca:
„Es ist überall Thema, weil, egal wer auf Mallorca wohnt, ist direkt oder indirekt davon betroffen, weil die Preise gehen ganz stark in die Luft, immer höher, wir werden immer mehr Leute, jedes Jahr haben wir Rekordzahlen von Flügen, die ankommen.“
Die Insel ist gefragt als Ferienparadies - mit seinem kristallklaren Wasser, den Traumstränden. Fast so schön wie in der Karibik. Die Überfüllung ist bei unseren Recherchen überall zu sehen. Und auch messbar: Vergangenes besuchten mehr als 14 Millionen Menschen die Balearischen Inseln - ein Rekord. In diesem Jahr wird es wohl noch mehr. Und das soll ohne Folgen bleiben?
Folgen für die Umwelt?
Immer wieder begegnen uns diese Tanklastwagen: Trinkwassertransporter. Wohin fahren sie? Der Fahrer ist freundlich, erzählt, er versorge mit seinem LKW ein ganzes Viertel. Es herrsche Wasserknappheit, das Netz sei überlastet, in manchen Orten werde das Wasser sogar zeitweise abgestellt. Auch durch die vielen Menschen auf der Insel. Tourismus - ein Umweltproblem?
Portocolom im Osten der Insel - noch ein Naturschutzgebiet. Die Jachten, vor allem von Urlaubern, so der Vorwurf von Umweltverbänden, ankerten immer wieder auf den geschützten Seegraswiesen. Wertvoller Naturraum werde zerstört, wichtige Kontrollen nicht gemacht.
Margalida Ramis ist die Vorsitzende des größten mallorquinischen Umweltverbandes. Wir treffen sie zusammen mit Alice Weber. Die Insel werde immer weiter kaputt gemacht, sagt sie - durch die vielen Urlauber.
Margalida Ramis, Umweltverband GOB:
„Es gibt ständig Warnsignale, auf die wir nicht achten. Und das ist eine allmähliche Verschlechterung unserer Lebensgrundlage. Es ist eine Art langsamer Selbstmord. Und deshalb: Wie lange können wir das durchhalten? Vielleicht lange, aber unter immer schlechteren Bedingungen.“
Wir wenden uns an die Hafenbehörde von Portocolom und die Balearische Regierung. Beide antworten nicht. Der Tourismus ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Über 17 Milliarden Euro Umsatz sind es auf den Balearen, fast die Hälfte der gesamten Wirtschaftsleistung. Und doch fühlen sich viele auf der Insel abgehängt.
Tausende Menschen gehen auf die Straße
Vor gut einer Woche: die Demonstration in Palma, der Hauptstadt. Auch Alice Weber ist mit dabei. Selbst ein bisschen überrascht von den vielen Menschen, die heute gekommen sind: 20.000. Es geht heute immer wieder um den Wohlstand. Menschen, die trotz der vielen Milliarden das Gefühl haben, an den Rand gedrängt zu werden. Der Vorwurf: Alles werde so teuer, dass sich die Einheimischen nicht mal ihre Wohnung leisten können.
Francisco Fernández Hurtado, Demonstrant:
„Es ist sehr unfair, dass wir aus Mallorca kommen und wir nicht mehr hier wohnen können. Eine Freundin von mir, ich demonstriere jetzt mit ihr, sie wohnt in einer Garage.“
Es ist nicht schwer, solche Beispiele zu finden. Mitten in Palma. Die Wohnwagensiedlungen sind unübersehbar. Menschen, die sich im Urlaubsparadies Mallorca ihr Leben nicht mehr leisten können.
Schwierige Wohnverhältnisse
In diesem Wagen lebt eine dreiköpfige Familie auf engstem Raum in glühender Hitze. Sie bitten uns, ihre Gesichter nicht zu zeigen. Der Vater arbeitet als Autowäscher für Mietwagen - für 1.200 Euro im Monat.
Mallorquinische Einwohnerin:
„Mein Mann hat im Winter seine Arbeit verloren. Die Vermieterin hat uns rausgeworfen. Und wir finden einfach nichts in Palma. Für eine kleine Wohnung verlangen sie jetzt 800 Euro, aber da dürfen nur zwei Leute rein. Wir sind aber zu dritt. Und meine Tochter ist behindert.“
Alle paar Tage komme hier die Polizei vorbei, erfahren wir. Man werde weggescheucht. Der Mann in diesem Wohnwagen erzählt, er habe sogar einen Strafzettel bekommen, aber bezahlen werde er nicht. Wovon auch? Absolute Armut.
Während in anderen Teilen der Insel kräftig gebaut wird. Luxushäuser und -wohnungen zu immer weiter steigenden Preisen. Mittlerweile sind es laut offiziellen Zahlen über 3.000 Euro pro Quadratmeter. So viel wie fast nirgendwo in Spanien.
Versäumnisse beim sozialen Wohnungsbau
Wir sind im Jachtclub in Palma, treffen Hans Lenz, Makler und Chef eines großen Immobilienverbands auf der Insel. Vor allem Deutsche kauften wie verrückt, auch Feriendomizile, Zweitwohnsitze. Und das habe den Preis an vielen Stellen in die Höhe getrieben.
David Meiländer, Autor:
„Hat nicht dieser Wettbewerb, auch geprägt durch Ausländer, dazu beigetragen, dass diese Situation so dramatisch ist, wie sie ist?“
Hans Lenz, Präsident Maklerverband Abini:
„Ja, zum Teil. Wir sind innerhalb der EU und die Gehälter innerhalb der EU sind völlig anders. Die Kaufkraft ist eine andere. Und das führt dazu, dass, ich glaube, am schnellsten spürt man das im Mietmarkt, dass dann eine Miete, die entsprechend steigt, weil es auch keinen Nachschub gibt an neuem Wohnraum, dann auch nicht mehr den lokalen Gehältern entspricht.“
Dazu komme: Auf der Insel werde kaum in den sozialen Wohnungsbau investiert. Und es gebe zusätzlich immer mehr teure Ferienwohnungen. Sozialer Sprengstoff, der sich jetzt entlade.
Forderung nach Obergrenzen
Und das nicht nur auf Mallorca - in ganz Europa. Barcelona zum Beispiel. Oder Venedig, wo die Stadtregierung das mit Eintrittsgeldern für Tagesbesucher zu lösen versucht. Auf Santorini in Griechenland appellierte ein Gemeinderat zuletzt an die Bevölkerung, zuhause zu bleiben - wegen des großen Touristenansturms.
Tourismusforscher Alfred Bauer hält das alles für wenig zielführend. Zumindest in den Urlaubshotspots sieht er nur eine Möglichkeit: Obergrenzen.
Prof. Alfred Bauer, Tourismusforscher:
„Wir müssen uns darüber unterhalten: Was verträgt eine Region? Und da sind dann die Reiseveranstalter genauso gefordert wie die Hotelinvestments, um zu sagen: Okay, wie können wir das ganze zukunftsfähig gestalten.“
Und das zusammen mit den Regierungen vor Ort. Wir haben uns an die vier großen Reiseveranstalter gewandt. Sind sie bereit, ihr Angebot zu reduzieren, in der Hauptreisezeit? Ein klares Ja kriegen wir von keiner der Firmen. Man bemühe sich um Gespräche vor Ort und man verspricht, zu werben, für Urlaub in der Nebensaison, zum Beispiel im Herbst.
Nebensaison eher unbeliebt
Aber wollen die Touristen das? Zumindest bei unserer Umfrage auf Mallorca kommt die Idee nicht wirklich gut an.
Henk Blok, Tourist:
„Nee, das wird auch nicht funktionieren. Das ist schön geträumt, aber das ist unrealistisch.“
Günther Bsdurek, Tourist:
„Ja okay, aber dann ist das Wetter nicht mehr so, wie ich das wünsche.“
Eva Eirich, Touristin:
„Wenn die Kinder gerade Ferien haben, wollen wir auch hier die Zeit verbringen. Und das ist nicht machbar.“
Alice Weber jedenfalls hofft, dass sich doch noch irgendetwas ändert. Damit ihr Mallorca so bleibt wie es ist - mit der Kultur und den Menschen, die sie nach über 30 Jahren in ihr Herz geschlossen hat.
Stand: 30.08.2024 18:37 Uhr