Wahlen in Sachsen und Thüringen: Firmen in Sorge wegen AfD

Die regionale Wirtschaft rechnet mit einem Imageverlust und der Abwanderung von Fachkräften. Obwohl diese Landesverbände der AfD als gesichert rechtsextremistisch gelten, positionieren sich nur wenige Unternehmen explizit gegen die Partei.

Silvio Wenzel ist einer der wenigen Unternehmer im Saale-Orla-Kreis in Thüringen, der sich offen gegen die AfD ausspricht. Ein Geschäftsrisiko, denn er schätzt, dass jeder zweite seiner Kunden mit der Partei sympathisiere.  

Viele Unternehmen halten sich parteipolitisch gerne zurück. Das Unternehmen Nomos in Sachsen ist eine weitere Ausnahme. Co-Geschäftsführerin Judith Borowski bangt um den guten Ruf der Region, wenn die AfD mehr Macht bekommen sollte. Ihre internationalen Kunden würden nicht zwischen Sachsen und Niedersachsen unterscheiden, das Erfolgslabel 'Made in Germany' sei deshalb in Gefahr. REPORT MAINZ hat mit mehreren Unternehmern gesprochen, viele eint die Befürchtung, dass bei einer AfD-geführten Landesregierung Fachkräfte abwandern und das Image leide. 

Die AfD Thüringen hält einen Schaden der Reputation des Landes für abwegig. Das Gegenteil legen wirtschaftliche Studien nahe, betont Tommy Krieger vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Der bisherige Stand der Forschung zeige, dass Regionen oder Städte, in denen rechtspopulistische Parteien die Macht hätten, es wirtschaftlich mittelfristig schwerer hätten als andere Regionen.

Anmoderation:

Nadia Kailouli, Moderatorin:
„Diese Uhr hier ist ‚Made in Germany‘. Das gilt als Qualitätsmerkmal. Doch was, wenn ‚Made in Germany‘ an Wert verliert? Nicht der Qualität wegen, sondern weil das Unternehmen aus Thüringen oder Sachsen kommt. Denn dort wurden die AfD-Landesverbände vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Schaut man sich die Erfolge der AfD bei der Europawahl an, hat man eine Vorahnung, wer bei den Landtagswahlen in gut vier Wochen das Rennen machen könnte. Unternehmen in der Region sind besorgt, dass das dem Image schaden könnte. Doch nur wenige trauen sich, sich gegen die AfD zu stellen. REPORT MAINZ wollte wissen: Warum? Und so haben Daniel Hoh und Anna Stradinger Unternehmer getroffen, die den Mut haben, sich zu positionieren – auch, wenn sie Kunden verlieren könnten.“

Text des Beitrags:

Silvio Wenzel, Elektriker:
„Ich kanns mir gar nicht leisten, den ein oder anderen zu verlieren, das ist ja das Kuriose. Also dürfte ich das in dem Sinne gar nicht machen.“

Anna Stradinger, Autorin:
„Aber Sie riskieren es ja doch, indem Sie sich positionieren.“

Silvio Wenzel, Elektriker:
„Ich kann nicht anders, wenn menschenverachtende Parolen mehr wiegen als Vernunft.“

Eine Positionierung gegen die AfD erfordere Mut

Elektriker Silvio Wenzel auf dem Weg zu einer Reparatur. Die Stimmung in seiner Heimat in Thüringen ist angespannt - gerade jetzt vor der Landtagswahl. Der Saale-Orla-Kreis, eine AfD-Hochburg. Knapp 38 Prozent wählten die Partei bei der vergangenen Europawahl. Zu schweigen ist für ihn keine Option. Gegenüber seinen Kunden bezieht er Stellung - aber ohne erhobenen Zeigefinger, wie er betont. Haltung gegen die AfD zu zeigen, erfordere in der Region Mut.

Wilfried Schilling
Wilfried Schilling | Bild: SWR

Wilfried Schilling:
„Viele sprechen sicherlich darüber im Familienkreis, aber das öffentlich zu machen und sich auch so zu positionieren, das braucht wahre Größe.“

Und kann Folgen haben. Welche, zeigte sich Anfang dieses Jahres. Silvio Wenzel macht bei einer Unterschriftenaktion gegen einen AfD-Kandidaten mit. Seine Lehrlinge schließen sich ihm an - und werden daraufhin von Unbekannten eingeschüchtert, erzählt er.

Silvio Wenzel
Silvio Wenzel | Bild: SWR

Silvio Wenzel, Geschäftsführer Euronics Bad Lobenstein:
„Es hat sich herausgestellt, dass die beiden ein paar Tage später Besuch bekommen haben von irgendwelchen Laufburschen - auch junge Leute. Und die sind verbal unter Druck gesetzt worden, also meine Lehrlinge, sie möchten Ihre Unterschrift sofort rausnehmen, sonst passiert was. Ja, traurig. Da bleibt einem die Spucke weg.“

Wir haben mit vielen Unternehmern aus Sachsen und Thüringen gesprochen. Wollten wissen, wie die Wirtschaft auf die Wahlen am 1. September blickt. Kein einfaches Unterfangen. Wenn es um Parteipolitik geht, halten sich Unternehmer gerne zurück. Doch es gibt Ausnahmen.

‚Made in Germany‘ in Gefahr

Glashütte, rund 40 Autominuten von Dresden entfernt. Hier entstehen Luxusuhren in aufwendiger Handarbeit. Der Ort ist dafür weltweit bekannt. Judith Borowski sitzt in der Geschäftsführung von Nomos und bangt um den guten Ruf der Region, um die Marke Glashütte.

Judith Borowski
Judith Borowski | Bild: SWR

Judith Borowski, Co-Geschäftsführerin Nomos:
„Wenn die AfD an die Macht kommt oder auch einfach zu mehr Macht gelangt, dann befürchten wir einen massiven Standortschaden für die Region hier, aber auch für ganz Deutschland. Wenn ich in New York sitze, als Kundin, als Kunde, dann differenziere ich auch gar nicht zwischen Sachsen und Niedersachsen, sondern dann ist das eben einfach Deutschland und das ‚Made in Germany‘ ist mit Sicherheit dann in Gefahr.”

Schon jetzt gibt es immer wieder negative Schlagzeilen. Die internationale Presse berichtet von Rassismus, von Fachkräften, die abwandern, von Ängsten der Unternehmer. All das schadet dem Standort. Auch deshalb ist Judith Borowski eine der lautesten Stimmen hier in der Wirtschaft gegen die AfD. Für die Mitarbeiter bietet ihr Unternehmen digitale Demokratie-Workshops an, in denen man lernt, wie man auch privat mit Fake News, Hass und Hetze umgeht. Als Rüstzeug gegen Populisten.

Judith Borowski, Co-Geschäftsführerin Nomos:
„Diese Dinge sollen unseren Mitarbeitenden den Rücken stärken, sollen auch dafür sorgen, dass man selbstbewusster umgehen kann mit Diskussionen, die hier stattfinden - auch vielleicht mit Ambivalenzen, die man aushalten muss, mit Spannungsfeldern, weil in der Familie oder im Handballverein eben anders gesprochen wird als am Arbeitsplatz.“

Plakataktion gegen Rechtspopulismus

Neben einzelnen Unternehmen positionieren sich jetzt auch Verbände. Etwa mit ‚Keine Reise ins Blaue‘ - eine Plakataktion an Flughäfen vom Verband der Familienunternehmer in Sachsen. Mit blau ist die AfD gemeint. Erstmals in der Geschichte mische man sich in einen Wahlkampf ein, erzählt Christian Haase. Ihn besorgt, dass die Partei, die hier als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ (Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen) gilt, in Betrieben und Gesellschaft immer mehr Fuß fasst.

Christian Haase
Christian Haase | Bild: SWR

Christian Haase, Vorsitzender der Familienunternehmer Sachsen:
„Wenn ich nicht in Sachsen wäre, ich würde es eigentlich gar nicht glauben, dass in einem Land wie Deutschland, mit unserer Historie, dass eine gesichert rechtsextreme Partei wie die AfD überhaupt in Größenordnungen kommt, die signifikant ist.”

Sorge vor Imageverlust und Fachkräfteabwanderung

Zurück bei Silvio Wenzel. Wieder geht’s in den Keller, wieder zur Waschmaschine. Von seinen Kunden hört er immer wieder beunruhigende Geschichten aus dem Alltag. Regina Spörl erzählt von einer schwarzen Frau, die aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert wurde.

Regina Spörl
Regina Spörl | Bild: SWR

Regina Spörl:
„Wir haben mitgekriegt, dass der Bus nicht dort anhält, wo er anhalten sollte, weil sie aussteigen will und sie gar nicht mitgenommen. Das war eine ganz, ganz tolle Pflegekraft. Sie ist deshalb weggegangen, weil sie auch das Kind schikaniert haben - nicht nur sie selber, sondern auch das Kind. Und das ist schlimm. Das ist furchtbar schlimm.“

Beide haben Sorge, dass in Zukunft Fachkräfte mit Migrationshintergrund gar nicht erst kommen.

Silvio Wenzel, Elektriker:
„Die würden sich doch überlegen, ob sie dann hierherkommen oder nicht. Die sind ja auch nicht dumm. Warum soll ich hierher gehen, da, wo die Nazis - und man kann es offen sagen, das ist kein Geheimnis mehr - wo die Nazis hier agieren? Würde ich da hingehen? Alleine? Mit Familie?“

Regina Spörl:
„Nee, bestimmt nicht.“

Dabei sind Fachkräfte für Thüringen und Sachsen enorm wichtig. In Dresden und Jena sitzen internationale Konzerne, Weltmarktführer. Europas Herz der Halbleiterindustrie, die gerade einen Wirtschaftsboom erlebt. Steht der nun auf dem Spiel?

AfD hält Imageschaden für die Region für abwegig

Gerne hätten wir mit der AfD selbst gesprochen - oder mit Unternehmen, die ihr nahestehen. Die AfD Thüringen antwortet uns schriftlich: Nicht sie schrecke Fachkräfte ab, sondern die, Zitat, „exorbitante Steuerlast und der Bürokratiedschungel (...)“ (AfD Thüringen). Fachkräfte würden Deutschland meiden, „weil die Politik der Altparteien unser Land gerade für sie unattraktiv macht.“ (AfD Thüringen).

Wir wollten von rund 200 großen Unternehmen wissen, wie sie die Lage einschätzen. Rund 30 haben uns geantwortet. Die Sorge unter diesen Unternehmen ist groß: Durch das Erstarken der AfD sehen aktuell 67 Prozent negative Auswirkungen auf den eigenen Betrieb und die regionale Wirtschaft. 20 Prozent erwarten bei einer AfD-geführten Landesregierung einen Stellenabbau. 77 Prozent befürchten in dem Fall eine Fachkräfteabwanderung und 90 Prozent einen Imageverlust.

Die AfD Thüringen hält es dagegen „(...) für abwegig, dass die Wahlerfolge der AfD irgendeinen Schaden für die Reputation Thüringens nach sich ziehen.“ (AfD Thüringen).

Rechtspopulismus schadet der Wirtschaft

Doch wissenschaftliche Studien legen das genaue Gegenteil nahe, erklärt Tommy Krieger vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim.

Tommy Krieger
Tommy Krieger | Bild: SWR

Tommy Krieger, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung:
„Nach aktuellem Stand der Forschung (...) deutet vieles darauf hin, dass Regionen oder Städte, in denen rechtspopulistische Parteien die Macht haben, dass die es wirtschaftlich mittelfristig schwerer haben als andere Regionen. (…) Also es gibt Studien aus Italien oder Österreich, die sich damit beschäftigen, was passiert, wenn rechtspopulistische Bürgermeister an die Macht kommen. Da sehen wir auch, dass weniger internationale Personen in diese Städte und Gemeinden ziehen.“

Silvio Wenzel hofft jetzt, einen Monat vor den Wahlen, auf weitere Stimmen aus Gesellschaft und Wirtschaft, die Haltung zeigen.

Silvio Wenzel, Geschäftsführer Euronics Bad Lobenstein:
„Es gibt natürlich sehr viele draußen, aber die halten sich alle bedeckt. Wenn jeder nur einen kleinen Teil dazu beiträgt, in irgendeiner Form, dann hätten wir es bedeutend leichter.“

Stand: 31.07.2024 15:09 Uhr