Russische “Schattenflotte” - Gefahr für die Ostsee

Nach Recherchen von REPORT MAINZ liefern Tanker der sogenannten russischen Schattenflotte trotz Embargo Öl direkt in die EU. Eine Datenanalyse von Greenpeace zeigt, dass immer mehr Tanker mit russischem Öl durch die deutsche Ostsee fahren. 

Die Halbinsel Darß, rund 40 Kilometer von Rostock entfernt. Sie gilt als Juwel an der Ostseeküste, hier liegt ein großer Nationalpark. Für Jochen Lamp ein Stück Heimat. Der 69-Jährige hat lange für die Naturschutzorganisation WWF gearbeitet, kümmert sich bis heute ehrenamtlich um den Erhalt dieser Küstenlandschaft.

Jochen Lamp, Vorsitzender Ostsee-Stiftung
Jochen Lamp, Vorsitzender Ostsee-Stiftung | Bild: SWR

Jochen Lamp, Vorsitzender Ostsee-Stiftung:
„Naturschutzmäßig gehört es natürlich zum Tafelsilber, was wir in Deutschland haben, also ist die höchste Kategorie, das hat auch wirklich seinen guten Grund. Hier sind große Seegraswiesen. Das ist mit vom Kohlenstoffspeicher aber auch von der biologischen Vielfalt mit das Vielfältigste, was wir bei uns an der Ostsee haben.”

Immer mehr Tanker auf der Ostsee

Doch diese Vielfalt ist bedroht. Unter anderem durch große Öltanker, die seit Beginn des Ukraine-Kriegs hier jeden Tag entlangfahren, beladen mit russischem Rohöl. Sie sind Teil der sogenannten Schattenflotte. Das sind Schiffe, die Russland beim Export von Rohöl helfen – teilweise illegal, indem sie EU-Sanktionen umgehen. Denn eigene Schiffe kann Russland nicht mehr so einfach einsetzen, also nutzt man dubiose Tanker aus exotischen Ländern, deren Besitzer häufig im Dunkeln bleiben.

Die Zahl dieser Tanker steigt. Das zeigt eine Datenauswertung der Umweltorganisation Greenpeace, die REPORT MAINZ exklusiv vorliegt. Demnach kreuzen aktuell 70 Prozent mehr Tanker mit russischem Öl auf der Ostsee als noch im Januar 2021.

Rostock-Warnemünde. Letzte Vorbereitungen von Greenpeace. Das Ziel: die sogenannte Kadetrinne. Diese Schifffahrtsroute muss jeder Öltanker aus russischen Ostseehäfen passieren. Die Kadetrinne verläuft wenige Kilometer vor der deutschen Küste, vom Darß im Osten bis nach Fehmarn im Westen und gilt als vielbefahren und gefährlich.

Die Aktivisten befürchten, dass es hier zu Unfällen kommen könnte, auch weil manche Tanker ihr Satelliten-Ortungssystem ausschalten, um ihre Fahrten zu verbergen. Nach 30 Minuten Fahrt: der erste Tanker. Dieser ist nach REPORT MAINZ-Recherchen wenige Stunden zuvor in Russland gestartet - vollbeladen mit Rohöl. Wir finden heraus, dass das Schiff schon in der Vergangenheit wegen gravierender Sicherheitsmängel aufgefallen ist.

Umweltschützer nutzen Satellitendaten

An der Grenze der Kadetrinne angekommen, setzen die Aktivisten mehrere Bojen aus, die von der Strömung mitgetrieben werden und die ganze Zeit per Satellit ihre Position funken.

Nina Noelle, Aktivistin Greenpeace:
„Wir sind heute hier, um mit diesen Sendern zu schauen, welche Folgen und Auswirkungen für das Ökosystem in der Ostsee ein Unfall hier in der Kadetrinne hätte, also wo würde sich das Öl verteilen, an welchen Stränden würde es angeschwemmt werden. Und wie sehr belastet wäre das Naturschutzgebiet auch, in dem wir uns hier gerade befinden.”

Wohin die Bojen in der Ostsee treiben, werden wir später erfahren.

Zwischenfälle in der Ostsee hat es in der Vergangenheit schon mehrere gegeben. 2001 kollidierte der Tanker „Baltic Carrier” mit einem anderen Schiff in der Kadetrinne. 2.700 Tonnen Rohöl verseuchten die dänische Küste. Und vergangenes Jahr lag ein Öltanker wochenlang manövrierunfähig vor Rügen.

Ein Ölunfall hätte verheerende Folgen

Fehmarn ist von solchen Unfällen bislang verschont geblieben. Tourismus-Direktor Oliver Behncke hofft, das das so bleibt. Die beliebte Urlaubsinsel liegt am Ausgang der Kadetrinne.

Oliver Behncke, Tourismus-Direktor Fehmarn:
„Das treibt einem als Touristiker natürlich Sorgenfalten auf die Stirn, das ist klar. Weil unsere Strände, unsere Küsten sind das Kapital, mit dem wir werben und für das unsere Urlauber auch auf die Insel Fehmarn kommen.”

Drei Wochen später: Mittlerweile liegen bei Greenpeace die Ergebnisse des Bojen-Versuchs vor. Demnach wäre nicht nur die Küste von Fehmarn betroffen. Der Ölteppich könnte sogar noch 80 Kilometer weiter verdriften, bis in die Eckernförder Bucht.

Nina Noelle, Aktivistin Greenpeace
Nina Noelle, Aktivistin Greenpeace | Bild: SWR

Nina Noelle, Aktivistin Greenpeace:
„Die Ergebnisse dieser Drifter zeigen ganz deutlich, dass das Ausmaß noch größer ist und noch mehr Orte betreffen würde, auch direkt deutsche Küstenabschnitte, als wir vermutet hatten. Das heißt, wir sind schon alarmiert durch die Ergebnisse.”

Schiffsdaten, die Greenpeace ausgewertet hat, zeigen noch etwas: Tanker, die russisches Öl transportieren, werden immer älter. Im Schnitt fast 17 Jahre alt, und immer mehr davon ohne ausreichenden Versicherungsschutz für Öl-Unfälle.

Sorgen macht sich auch der Umweltminister von Schleswig-Holstein. Die Öltanker vor seiner Küste sind mittlerweile ein großes Thema für die Ostsee-Anrainer, berichtet er uns. Aber als Landesminister könne er nicht viel gegen die gefährliche Flotte tun.

Tobias Goldschmidt, B’90/Grüne, Umweltminister Schleswig-Holstein:
„Letztlich ist das eine Aufgabe der Nationalstaaten, darauf Einfluss zu nehmen, was auf der Ostsee in den internationalen Gewässern stattfindet. Ich als Umweltminister bin vor allen Dingen dafür da, eventuelle Ölunfälle zu bekämpfen und Vorsorge zu treffen.”

Tanker der „Schattenflotte“ umgehen Sanktionen

Die Europäische Union hat inzwischen ein weitgehendes Ölembargo gegen Russland verhängt. Im Juni wurden erstmals einzelne Tanker mit auf die Sanktionsliste gesetzt. Und im Juli kündigte der Bundeskanzler weitere Maßnahmen an.

Olaf Scholz, SPD, Bundeskanzler (18. Juli 2024):
„Jetzt wollen wir unsere Kräfte in einer globalen Koalition bündeln, um diese Schattenflotte an die Kette zu legen.”

Doch juristisch ist das nicht so einfach, erklärt der Schifffahrtsexperte Robert Peetz. Denn das internationale Seerecht verbiete es, Tanker mit russischem Öl ohne weiteres anzuhalten oder ihnen die Durchfahrt zu verweigern.

Oliver Behnke, Tourismus-Direktor Fehmarn
Oliver Behnke, Tourismus-Direktor Fehmarn | Bild: SWR

Prof. Robert Peetz, Experte für Seerecht, Hochschule Wismar:
„Solange sie eben von Punkt A nach Punkt B fahren, zwischendurch nicht anhalten oder irgendwelche anderen Dinge machen genießen sie dieses Recht der freien Durchfahrt, das eben tatsächlich sagt, unabhängig von der Flagge darf das Schiff diese Gewässer passieren.”

Wir beobachten über mehrere Wochen hinweg die Fahrten von Tankern, die russisches Öl geladen haben. Dafür greifen wir auf Satellitendaten zurück. Dabei machen wir eine ungewöhnliche Entdeckung: Rohöl-Tanker, die von Russland aus direkt in die EU fahren. Die Zielhäfen liegen häufig in Italien. Laut den aktuellen EU-Sanktionen ist das verboten.

Prof. Robert Peetz, Experte für Seerecht, Hochschule Wismar:
„Wenn die Behörde mitbekommen, dass russisches Öl geladen ist, dann müssen sie einschreiten und dürfen die Einlaufgenehmigung nicht erteilen, also müssen verweigern, dass das Schiff den Hafen anläuft.” Aber die Praxis sieht offenbar anders aus.

Russisches Öl in italienischen Häfen

Vor rund 2 Wochen gelingt es uns, einen Tanker auf frischer Tat zu ertappen. Und zwar im sizilianischen Augusta. Die Stadt ist bekannt für ihre großen Raffinerien. Eine davon gehörte bis zum vergangenen Jahr dem russischen Öl-Konzern „Lukoil“. Dieser Tanker war Ende August in einem russischen Ostseehafen vollgepumpt worden.

Jetzt können wir vom Ufer aus beobachten, wie die „Calida” im Hafen von Augusta leergepumpt wird. Das Schiff gehört einer griechischen Reederei, die schon öfter im Verdacht stand, EU-Sanktionen zu umgehen. Diese Aufnahmen zeigen: Der illegale Rohöl-Export findet offenbar immer noch statt.

Die griechische Reederei hat auf unsere Anfrage nicht reagiert. Auch die zuständigen italienischen Zollbehörden antworteten auf mehrere Anfragen nicht.

Das Schiff war ebenfalls durch die Kadetrinne in der Ostsee gefahren, vorbei am Nationalpark, für den Jochen Lamp seit Jahrzehnten kämpft. Der Naturschützer hofft, dass seine Heimat von einem Ölunfall verschont bleibt.

Jochen Lamp, Vorsitzender Ostsee-Stiftung:
„Das macht einem natürlich schon Sorgen, dass das, was man in den letzten 20, 30 Jahren erreicht hat, ganz schnell wieder zunichte ist. Und wie gesagt, dazu kommt eben, dass die Ostsee ein Raum ist, wo der Wasseraustausch nur alle 30 Jahre mal passiert. Das heißt, wenn da jetzt Neues passiert ist, das werden wir in meiner Lebenszeit nicht mehr loswerden.”

Stand: 05.11.2024 14:48 Uhr