Warten auf Termin - Arzt nur gegen Geld
Langes Warten auf einen Termin beim Facharzt- trotz akuter Leiden? Ein Gesetz aus 2019 sollte das eigentlich verhindern, aber was hat sich wirklich verändert? Die Bilanz: ernüchternd.
Vier Monate ist die kleine Enola alt. Als ihre Eltern versuchen einen Termin für ihre Vorsorgeuntersuchung in Bielefeld zu bekommen erleben sie eine Odyssee. Mehr als 20 Kinderärzte hätten sie angerufen, sagen sie - ohne Erfolg. Dabei haben sie einen Anspruch auf einen Termin - zuständig dafür: die Terminservicestelle für Patienten. Doch die hilft ihnen kaum.
Felix Brenneke, Vater:
„Wir fühlten uns da veräppelt, 80 Kilometer entfernt nach Osnabrück zu fahren. Wie soll das funktionieren? Also, es ist ja nicht ein Termin ist es ja, das fängt er wöchentlich an, später monatlich, die Untersuchungen. Wie sollen wir das leisten können?“
Dabei wäre es so einfach: Die Praxis in der Felix Brenneke selbst als Kind Patient war, ist fast um die Ecke. Doch die nimmt keine neuen Kassenpatienten mehr an. Es sei denn, sie zahlen die Untersuchung selbst. Rund 150 Euro solle das kosten - für die jungen Eltern viel Geld.
Jessica Brenneke, Mutter:
„Ja, es ist eine Unverschämtheit. Es war schockierend, dass man so eine Antwort bekommt.“
Felix Brenneke, Vater:
„Weil wir ja einen sehr hohen Krankenkassenbeitrag bezahlen...Es geht ja hier um die U-Untersuchung, der wichtige Baustein für das Kind und dass wir dort zuzahlen müssen, um an einen Termin zu kommen. Es ist unglaublich.“
Kaum Termine trotz akuter Beschwerden
Für Kassenpatienten kaum noch Termine, oder nur noch gegen Geld?
Das ist nicht nur bei Kinderärzten so. Wir rufen bei dutzenden Fachärzten in mehreren Bundesländern an, wollen einen Termin wegen akuter Beschwerden. Das Ergebnis: ernüchternd.
Telefonischer Anruf bei einer Arztpraxis:
„Müssten sie bitte im Oktober nochmal anrufen, dann gibt es Termine im April.“
„Ich darf im Moment keine Neupatienten annehmen, egal worum es geht!“
Für gesetzlich Versicherte kaum eine Chance. Oder?
Reporterin:
„Ich habe eine Nasennebenhöhlenentzündung dürfte ich da vielleicht vorbeikommen?“
Arztpraxis:
„Bei uns geht es halt nur mit Termin und Termine haben wir grad erst wieder Ende November. Wir haben noch für private Selbstzahlersprechstunden. Da könnte ich Ihnen vielleicht noch einen Termin geben.
Reporterin:
„Wann wäre denn da einer frei?“
Arztpraxis:
„Nachmittag hätte ich am Donnerstag noch einen für Sie.“
Also direkt zwei Tage später.
Ärzte müssten Selbstzahlersprechstunden anbieten
Warum machen Ärzte das? Das fragt sich auch Familie Brenneke. Der Kinderarzt bei ihnen um die Ecke hat sogar seine Zeit für Kassenpatienten reduziert - damit er mehr Selbstzahlertermine anbieten kann. Die Entscheidung hat Marcus Heidemann sich nicht leicht gemacht, sagt er. Alle paar Minuten ein neuer kleiner Patient, alle wollen eine gründliche Untersuchung. Das könne er nicht mehr leisten.
Marcus Heidemann, Kinderarzt:
„Wir arbeiten immer, immer schneller, haben nicht mehr Ärzte, und dieser immer schneller drehenden Medizin will ich einfach entkommen und habe gesagt: So kann ich nicht die nächsten Jahre weiterarbeiten.“
Um als Kassenarzt genug zu verdienen, müsse er viele Patienten behandeln. Denn die meisten Behandlungen würden mit Pauschalen bezahlt. Er sei deshalb auf die Selbstzahlersprechstunden angewiesen, sagt er.
Marcus Heidemann, Kinderarzt:
„Egal wie toll ich mich als Arzt engagiere, am Ende des Monats möchten meine Mitarbeiterinnen Geld haben. Ich muss mein eigenes Leben finanzieren. Und wenn das immer schlechter gewährleistet ist, dann werde ich meine Praxis nicht halten können auf Dauer.“
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen möchte dieses Argument nicht gelten lassen:
Florian Lanz, GKV-Spitzenverband:
„Wenn ein Arzt oder eine Ärztin sich zurücklehnt und sagt: Ich habe die 25 Stunden erreicht, den Rest mache ich jetzt privat, das bringt mir mehr Geld. Das ist ein falscher Ansatz. Wir erwarten von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, die sagen: Wir wollen gerne im System der gesetzlichen Krankenversicherung arbeiten, dass sie das ernst nehmen und sich wirklich um ihre Versicherten kümmern.“
Niedergelassene Ärzte müssen laut Bundesmantelvertrag mindestens 25 Stunden in der Woche für gesetzlich Versicherte anbieten. Danach dürfen sie auch Selbstzahler behandeln. Und das wird offenbar rege genutzt. Eine Umfrage des Online-Portals Ärztenachrichtendienst, unter fast 1000 Ärzten zeigt: Ein Viertel bietet Selbstzahlersprechstunden an. Auf die Frage, ob die Praxis wirtschaftlich davon profitiere, antworten rund 230 Ärzte. Die Hälfte davon gibt zu: es bringe ein deutliches Plus
Solche Selbstzahlerangebote für gesetzlich Versicherte findet Prof. Giovanni Maio bedenklich. Er ist Internist und Medizinethiker an der Uni Freiburg.
Prof. Giovanni Maio, Medizinethiker Uni Freiburg:
„Die Problematik liegt ja darin, dass die Ärztinnen und Ärzte budgetiert werden, dass sie Begrenzungen haben, dass sie Pauschalen bekommen. Und insofern wird es eben immer weniger interessant, ökonomischerseits interessant, für die niedergelassenen Ärzte, Kassenpatienten zu behandeln. Und das, diese Schieflage muss strukturell aufgehoben werden.“
Terminsuche für Patienten eine Odyssee
Sonst bleiben Menschen wie sie schlecht versorgt: Karina Breu leidet seit Monaten unter starken Sehstörungen. Aber alle sechs Augenärzte im Umkreis nehmen keine neuen Patienten auf, erzählt sie uns. Dabei ist ihr Leidensdruck groß. Die Krankenschwester aus der Nähe von Magdeburg muss mehr als eine Stunde mit dem Auto zur Arbeit fahren. Wird dabei immer wieder von plötzlichen Sehstörungen überrascht.
Karina Breu, Betroffene:
„Das artet manchmal so weit aus, dass ich schon eine Panikattacke bekommen habe, weil ich gerade in einer Situation war, die ich nicht mehr steuern konnte, nur weil ich wieder auf einmal nichts gesehen habe, also ein verschwommenes Bild hatte.“
2019 wurde ein Gesetz geschaffen, dass Patienten schnellere Termine ermöglichen sollte. Doch die Terminservicestelle vermittelt ihr trotz Dringlichkeitscode erst sechs Wochen später einen Termin. Der Arzt überweist sie weiter zu einem Spezialisten. Sein nächster freier Termin: 2025. Nur weil sie die Behandlung selbst bezahlt, bekommt sie einen früheren Termin.
Karina Breu, Betroffene:
„Die ganze medizinische Versorgung, die Drei-Klassen-Medizin, die sich mittlerweile etabliert hat, ist erschreckend für mich. Weil ich weiß, dass ich irgendwann diese zusätzlichen Rechnungen neben Sozialversicherungsbeiträgen nicht mehr zahlen können werde, wenn ich an meine Rente denke.“
Sie hat das Gefühl, ihr würde als Kassenpatientin das Geld aus der Tasche gezogen.
Aber halten die Ärzte die 25 Stunden Regel überhaupt ein? Ein Arzt wurde gerade per Gerichtsbeschluss auf Unterlassung verklagt – weil er einem Patienten einen Selbstzahlertermin angeboten hat – und zwar mitten in seiner festgelegten Kassensprechstunde. Aufgefallen war das nur durch eine Patientenbeschwerde bei der Verbraucherzentrale.
Rechtsanwältin Susanne Punsmann wünscht sich, dass die zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen genauer hinschauen. Die haben eigentlich eine Kontrollpflicht.
Susanne Punsmann, Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfahlen:
„Dass da einfach eine Transparenz herrscht, dass in der Zeit auch die Termine für gesetzlich Versicherte kostenfrei angeboten werden und nicht noch Selbstzahler-Leistungen erbracht werden müssen.“
Warum war das der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung nicht aufgefallen? Auf diese Frage antwortet sie uns allgemein: Sie prüfe ihre Mitglieder jährlich
„...anhand bundeseinheitlich vorgegebener Kriterien, bei der insb. die Sprechstundenzeiten und Abrechnungsdaten der Praxen eine Rolle spielen. Darüber hinausgehende Kontrollen [...] sind nicht vorgesehen. [...]“
Trotz Terminservicegesetz kaum Verbesserung
Wenig Transparenz, kaum Termine - stattdessen werden gesetzlich Versicherte zur Kasse gebeten. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind verpflichtet, die Versorgung der Versicherten zu garantieren. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung teilt uns mit, die Ursache liege in den politischen Rahmenbedingungen. Das Bundesgesundheitsministerium weicht auf unsere konkreten Fragen aus, verweist allgemein auf vorgesehene „Struktur- und Finanzierungsreformmaßnahmen”. Konkreter wird man hierzu nicht.
Fünf Jahre ist das Terminservicegesetz jetzt alt. An der Versorgung von Kassenpatienten wie Karina Breu und Familie Brenneke hat sich kaum etwas verbessert. Ärgerlich für die, die jetzt Termine brauchen.
Stand: 25.09.2024 14:27 Uhr