Mobbing gegen Betriebsräte?
Mobbing, Ausgrenzung, Kündigung – wer in Deutschland als Betriebsrat arbeiten möchte, hat es oft schwer. Das zeigen Recherchen von REPORT MAINZ.
Text des Beitrags:
Manfred Bröcker. Er arbeitet im Lager bei der Firma Flaschenpost. 30 Stunden in der Woche, um seine Rente aufzubessern.
Flaschenpost gibt es in mehr als 190 Städten. Ein Getränkelieferant. Über das Internet kann man hier bestellen. Und sich so das Schleppen sparen.
Ganz schön anstrengend.
Viele mal kleine, mal größere Probleme gebe es, erzählt Manfred Bröcker. Und als einfacher Arbeiter fühle man sich manchmal ein bisschen hilflos.
Manfred Bröcker, Lagerarbeiter:
„Wir haben eine Lagerrunde, die sitzt alle zwei Monate zusammen. Dann kommt einer aus Münster, aus der Personalabteilung, wo wir verschiedene Sachen anbringen. Nur da haben wir festgestellt: es kommt relativ wenig Information zurück. Was will man anders machen, als wie jetzt noch zu sagen: Wir machen einen Betriebsrat”
Vorbereitung hinter verschlossenen Türen
Flaschenpost schreibt uns, es gebe am Standort Bielefeld eine gute Arbeitsatmosphäre. Michael Bröcker und seine Kollegen bereiten die Gründung des Betriebsrats seit Monaten vor, alles im Geheimen. Wir dürfen hinter verschlossenen Türen mit dabei sein.
Ortswechsel: an anderen Standorten gab es schon Versuche von Betriebsratsgründungen. Vor vier Jahren in Düsseldorf. Es gab Kündigungen gegen Mitarbeiter. Ein Zusammenhang wird von Flaschenpost bestritten. Der Betriebsrat wurde schließlich gewählt. Jetzt plant Flaschenpost, den Standort zu schließen. Als „Folge der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen”, erklärt die Firma.
In Bielefeld haben sie das mitbekommen, auch der Anwalt. Letzte Besprechung. Morgen wollen sie an die Öffentlichkeit gehen - hoffen so auf besseren Schutz. Später mehr dazu.
Martin Behrens, von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, forscht seit Jahren zu Betriebsratsbehinderungen, hat für eine neue Studie Gewerkschaftsvertreter befragt, gut 130. Bei fast der Hälfte wurden Betriebsratswahlen behindert. Keine repräsentativen Zahlen. Und doch haben sie auch den Wissenschaftler überrascht.
Martin Behrens, Hans-Böckler-Stiftung:
„Es ist krass. Es geht um ein demokratisches Grundrecht, ein Betriebsrat zu wählen. Und umso schmerzlicher ist es, dass wir seit vielen Jahren in den Statistiken einen Rückgang des Anteils der Beschäftigten sehen, die durch einen Betriebsrat vertreten werden.”
Vorwürfe beim ADAC Nordrhein
Wir sind in Köln. Kurz vor der Betriebsversammlung des ADAC Nordrhein, in einem gemieteten Kino.
Petra Gorisch, Vorsitzende Betriebsrat ADAC Nordrhein:
„Wo setzen wir eigentlich die Geschäftsführung hin, direkt hier unten?”
Petra Gorisch ist die Betriebsratschefin. Seit Monaten kämpft sie gegen ihre Kündigung. Der Fall hat Schlagzeilen gemacht. Jahrelang war sie eines der Gesichter des ADAC Nordrhein. Stand als Expertin im Rampenlicht. Seit 9 Jahren ist sie Betriebsratschefin. Immer wieder habe es Konflikte gegeben mit der Geschäftsführung, die ihr erst geschrieben habe, man fühle sich „emotional betrogen” - dann kam die Kündigung.
Der Kernvorwurf: Gorisch habe bei der Arbeitszeit betrogen, zu spät ausgestempelt. Festgehalten alles in einer Tabelle. Mal waren es drei Minuten, manchmal auch 13. In acht Monaten kamen so rund 10 Stunden zusammen. Petra Gorisch empfindet die Vorwürfe als schwierig:
Petra Gorisch, Vorsitzende Betriebsrat ADAC Nordrhein:
„Da muss ich gestehen habe ich wirklich eine Weile gebraucht, um überhaupt selbst zu verstehen; Was macht man mir überhaupt zum Vorwurf? Und ja, dann war uns irgendwann klar, hier geht es darum, den Vorsitz kleinzumachen, wegzubekommen, abzuspalten vom Gremium”
In der ersten Instanz hat Gorisch den Prozess verloren, das Verfahren läuft noch. Der ADAC schreibt gegenüber Report Mainz, es handele sich um schwerwiegende arbeitsrechtliche Pflichtverletzungen.
Stellungnahme ADAC Nordrhein e.V.:
„Dem wiederholt [...] erhobenen Vorwurf, eine „unbequeme Arbeitnehmervertreterin auszuschalten“, fehlt objektiv daher jede Grundlage.”
Arbeitsrechtler sieht keine Anhaltspunkte für Täuschung
Wir legen die umfangreichen Unterlagen des Falls Peter Schüren vor, bis zu seiner Pensionierung Professor an der Universität Münster, einer der führenden Arbeitsrechtler Deutschlands.
Er bewertet die Vorwürfe gegenüber Petra Gorisch als nicht nachvollziehbar. Eine Täuschung sei aus seiner Sicht nicht erkennbar und damit auch kein Arbeitszeitbetrug, sagt er.
Prof. Peter Schüren, Arbeitsrechtler:
„Aus meiner Perspektive geht es hier nicht um Arbeitszeitbetrug, sondern hier geht es um Betriebsrat-Bashing. Denn die Schritte machen deutlich, dass die Arbeitgeberin unbedingt will, dass diese Frau verschwindet, und zwar um jeden Preis.”
Das sagt er, obwohl er das Arbeitsgerichtsurteil kennt.
Die Kündigung von Betriebsräten ist laut Gesetz unzulässig - außer aus einem wichtigen Grund, in Ausnahmefällen. Die Behinderung von Betriebsräten und Wahlen ist sogar eine Straftat. Experten sprechen von einem allgemeinen Muster, das sich in vielen Fällen durchziehe: Erst der Konflikt mit dem Betriebsrat, dann die Kündigung.
Spezialisierte Kanzleien
Nicht selten mit tatkräftiger Hilfe. Wir finden Rechtsanwaltskanzleien, die ihre Dienste ganz offen im Netz bewerben. Service für Betriebsratsgegner, die sich nicht „überrumpeln“ lassen sollen. Auch Seminare werden angeboten.
Ein anderer Fall: Das Raketenunternehmen Isar Aerospace aus Bayern. Ein Startup. Hochtechnologie mit öffentlichen Zuwendungen in Millionenhöhe. Und auch Politiker sind gerne zu Besuch.
Auch Mickaël Kassel war davon sofort begeistert - eine Rakete mitbauen. Immer ein Traum des Metallarbeiters. Doch im Frühjahr wurde er plötzlich freigestellt, durfte nicht mehr zur Arbeit kommen. Kurz davor hatte er sich mit anderen für einen Betriebsrat eingesetzt. Der Verdacht der Raketenfirma: Kassel sei ein Sicherheitsrisiko. Es kam zum Gerichtsverfahren, dort habe es weitere Vorwürfe gegeben, behauptet der Metallarbeiter.
Gericht hebt Freistellung auf
Mickaël Kassel, Metallarbeiter:
„Dass man mich eben als Spion beschuldigt hätte, mich als Handwerker aus dem Maschinenbau, der ein bisschen mit Computern programmieren und sprechen kann, dass eben die Daten, die streng geheimen Daten der Rakete natürlich an Russland oder den Iran verkauft, natürlich ohne irgendwelche Beweise.”
Das Gericht sah keine Anhaltspunkte für eine schwerwiegende Pflichtverletzung. Kassel durfte wieder zur Arbeit. Doch viel schlimmer sei zuvor etwas ganz anderes gewesen: Anonyme Hassmails. Unzählige. Sein Anwalt sagt, es gebe Hinweise darauf, dass die Mails aus der Belegschaft kämen.
Zitate Hassmails:
„Wir werden dich richtig fertig machen, du wirst dir noch wünschen, nicht mehr zu leben, dein Kind kann sich einen neuen Vater suchen, jetzt wirst du bereuen.”
Der Anwalt sagt: So etwas sei geeignet, um betroffene Betriebsräte und Gründer mürbe zu machen. Was sagt die Firma zu all dem?
Firma widerspricht Vorwürfen
Sie erklärt, sie habe Mickaël Kassel Hilfe angeboten. Man stehe für einen respektvollen Umgang. Und weiter:
Stellungnahme Isar Aerospace:
„Isar Aerospace hat keine Freistellungen und/oder Kündigungen ausgesprochen, die im Zusammenhang mit einer Betriebsratsgründung standen.”
Die Verfahren stünden im Zusammenhang mit
Stellungnahme Isar Aerospace:
„(...) substanziellen Sicherheitsbedenken in Einzelfällen (...)”.
Man stehe außerdem fest hinter dem Prinzip der Mitbestimmung. Zudem weist man sämtliche anderen Vorwürfe zurück.
Rechtsanwalt Helm hat im Auftrag der IG Metall München Anzeige gegen Unbekannt erstattet, wegen Betriebsratsbehinderung.
Kritik an Staatsanwaltschaften
Wir haben über 100 Staatsanwaltschaften angefragt. Wie erfolgreich sind Anzeigen wegen der Behinderung von Betriebsräten? Das Ergebnis: Bei gut 200 angegebenen Fällen gab es nur 7 Verurteilungen. Viele Verfahren werden eingestellt.
Martin Behrens, Hans-Böckler-Stiftung:
„Warum sollte jemand Strafantrag stellen, wenn bekannt ist, dass eigentlich in der Mehrzahl dieser Fälle es zu nichts führt? Staatsanwaltschaften müssen in die Lage versetzt werden, sich mit diesen Straftaten aus dem Arbeitsrecht, die erst mal für sie weitestgehend fremd sind, kompetent auseinanderzusetzen.”
Zurück bei Flaschenpost in Bielefeld. Ihr Plan für einen Betriebsrat ist mittlerweile öffentlich. Mitarbeiter erzählen uns, die Stimmung sei gereizt im Unternehmen. Flaschenpost erklärt gegenüber REPORT MAINZ, man stehe dem Vorhaben grundsätzlich offen gegenüber.
Bis zur eigentlichen Wahl sind es noch Wochen. Manfred Bröcker hofft, dass er seinen Job auch darüber hinaus behalten kann.
Stand: 27.11.2024 15:21 Uhr