Wahlen und Wagenknecht – CDU im Dilemma
Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen haben innerhalb der CDU einen Streit entfacht: Soll man künftig Koalitionen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) eingehen oder eine Zusammenarbeit per Unvereinbarkeitsbeschluss ausschließen?
Einer parteiinternen Initiative für einen Unvereinbarkeitsbeschluss zum BSW haben sich bereits mehr als 8.000 Unterstützer angeschlossen. CDU-Landespolitiker zum Beispiel aus Thüringen dringen dagegen auf eine Koalition mit dem BSW, sonst würde man sich Machtoptionen verbauen. In den Ländern verfolge das BSW eine pragmatische Politik – offenbar im Gegensatz zur Namensgeberin der neuen Partei, Sahra Wagenknecht. Die 55-Jährige ist für viele in der Union ein rotes Tuch, statt Westbindung und NATO-Mitgliedschaft stehe sie – so der Vorwurf - für einen Kuschelkurs mit Putin und anderen Autokraten. Wie hält es die CDU mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz mit dem BSW, welche Kompromisse ist die Partei bereit einzugehen?
Text des Beitrags:
Er hat den Stein ins Rollen gebracht. CDU-Mitglied Frank Sarfeld aus dem rheinland-pfälzischen Weisenheim am Berg. Er ist der Kopf einer Initiative innerhalb seiner Partei, die Koalitionen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW, verhindern und dafür möglichst viele Unterstützer gewinnen will.
Frank Sarfeld, CDU-Mitglied:
„Am Tag vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen saßen wir mit Nachbarn zusammen, bei der Weinschorle, und da fragte mich ein Parteifreund auch: Sag mal, ihr wollt doch dann nicht im Osten wirklich mit Sahra Wagenknecht koalieren? Habe ich gesagt: Nee, natürlich nicht. Das geht gar nicht. Die Frau widerspricht alledem, wofür wir als CDU seit vielen, vielen Jahren seit Gründung der Bundesrepublik stehen.“
Mittlerweile haben sich mehr als 8.000 CDU-Mitglieder seiner Initiative angeschlossen, sagt er. Sie sorgt bundesweit für Aufruhr, weil sie einen so genannten Unvereinbarkeitsbeschluss zum BSW fordert. Das würde bedeuten, Koalitionen mit der neuen Partei kategorisch auszuschließen.
Frank Sarfeld, CDU-Mitglied:
„Ich glaube, wir haben da einen Nerv in der Partei getroffen. Viele denken da tatsächlich wie wir hier. Das sind rote Linien, die sind gezogen, und die dürfen nicht überschritten werden.”
Sahra Wagenknecht polarisiert die CDU
Keine Koalition mit dem BSW: vor allem wegen ihr, Sahra Wagenknecht. Die 55-Jährige sorgt für hitzige Debatten in der Union, wegen ihrer Aussagen zum Ukraine-Krieg und zur Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland.
Sahra Wagenknecht:
„Nein zu den US-Raketenplänen, nein zu Kriegen und für Verhandlungen.”
Auch bekannte CDU-Politiker fordern inzwischen einen Unvereinbarkeitsbeschluss zum BSW. Etwa der Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter und der ehemalige Generalsekretär Ruprecht Polenz.
Ruprecht Polenz, Ehemaliger CDU-Generalsekretär:
„Das BSW steht eigentlich gegen alles, wofür die CDU in ihrer DNA steht.”
Frank Sarfeld, CDU-Mitglied:
„Sahra Wagenknecht vertritt genau die diametral anderen Positionen. Sie will eine Freundlichkeit zu Russland herstellen, sie kuschelt mit Putin, sie kuschelt mit Autokraten. Das kann mit der CDU und unseren Werten nicht machbar sein.”
Pragmatischer Umgang mit dem BSW in Thüringen
Schwere Vorwürfe. In Thüringen dagegen sieht man eine Zusammenarbeit mit dem BSW viel pragmatischer. Zum Beispiel in Dittersdorf, wo vor einer Woche eine von mehreren CDU-Regionalkonferenzen stattfand. Landespolitiker diskutieren mit der Basis, wie eine mögliche Brombeer-Koalition zwischen CDU, SPD und BSW funktionieren kann.
Maik Kowalleck, CDU, Landtagsabgeordneter Thüringen:
„Es zählen die Thüringer Themen und diejenigen, die sich von außen einmischen, sollten sich durchaus überlegen, ob sie wissen, was für Thüringen gut ist.”
Claudia Heber, CDU, Landtagsabgeordnete Thüringen:
„Es ist keine Liebeskoalition, wir sind da jetzt nicht euphorisch, sondern es ist eine Arbeitskoalition. Und ich glaube, das eint die Mitglieder am Ende, die einfach gestalten wollen. Die sagen jetzt: Zehn Jahre Opposition, das reicht jetzt.”
Volker Emde, CDU-Mitglied:
„Es geht einfach um die Frage: Bringen uns Unvereinbarkeitsbeschlüsse in Deutschland in der aktuellen Situation weiter?”
Wie sehr spaltet Sahra Wagenknecht die CDU? Politikwissenschaftler Volker Kronenberg forscht zu dem sich verändernden Parteiensystem. Der CDU-Streit um einen Unvereinbarkeitsbeschluss – für ihn alles andere als harmlos.
Prof. Volker Kronenberg, Politikwissenschaftler, Universität Bonn:
„Es geht hier ja auch um den Kern und die Zukunft der CDU. Wie weit ist man denn bereit, inhaltliche Kompromisse einzugehen? Die Frage von Westbindung, NATO-Zugehörigkeit, das sind wichtige Fundamente im Selbstverständnis und in der außen- und sicherheitspolitischen Orientierung der Union. Da geht es ans Eingemachte.”
Junge Union unterstützt pragmatischen Kurs gegenüber BSW
Samstag vergangene Woche: Deutschlandtag der Jungen Union in Halle. Friedrich Merz wird bereits als neuer Kanzler gefeiert.
Wir wollen von den Delegierten wissen, was sie von einem Unvereinbarkeitsbeschluss zum BSW halten. Nicht alle wollen sich dazu äußern. Lennart Geibert stammt aus Thüringen und ist frischgebackener Landtagsabgeordneter. Er ist für eine Zusammenarbeit mit dem BSW. Wie andere JU-Mitglieder aus seinem Heimatland sieht er den CDU-Vorstoß von Sarfeld, Kiesewetter und Polenz kritisch.
Lennart Geibert, CDU, Vorsitzender Junge Union Thüringen:
„Wir haben Thüringens Interessen im Kopf und jetzt nicht irgendwelche komischen Unvereinbarkeitsbeschlüsse und persönliche Profilierungen von irgendwelchen Wessis.”
Lilli Fischer, CDU-Mitglied:
„Die Idee zu diesem Antrag kommt von hauptsächlich von drei Wessis. Sorry, ich sage das einmal geradeheraus, wie es ist, die nichts mit Thüringen zu tun haben, die keine Ahnung von der Situation bei uns haben und auch irgendwie erst mal keinen Gegenentwurf beigebracht haben.”
Eine pragmatische Landespolitik zusammen mit dem BSW scheint aber noch ein Wunschtraum zu sein. Das aktuelle CDU-Dilemma: Der starke Einfluss von Sahra Wagenknecht.
Lilly Krahner, CDU-Mitglied:
„Nur weil der Ruf von Wagenknecht kommt zu sagen, ich will jetzt aber noch was zum Ukraine-Russland-Konflikt drinne stehen haben und Waffenlieferungen, das müssen wir uns als Thüringer auch nicht gefallen lassen.”
Lilli Fischer, CDU-Mitglied:
„Ich finde das ein totales Unding und es wird wirklich alles gegeben, um diesem Land eine stabile Regierung zu geben. Das haben die Leute in Thüringen verdient. Und wieder und wieder geht es nur um Sahra Wagenknechts persönliches Fortkommen.”
An ihr könnte eine CDU-geführte Koalition in Thüringen scheitern. Das ist dem Parteichef bewusst.
Friedrich Merz, CDU, 27.10.2024, Parteivorsitzender:
„Wenn Frau Wagenknecht das anders haben will, dann gibt es eine rechnerische Mehrheit von BSW und AfD im Thüringer Landtag. Dann kann Frau Wagenknecht gern den Schwenk machen und mit Herrn Höcke zusammen eine Regierung bilden.”
Brombeer-Koalition fehlt Mehrheit im Thüringer Landtag
In Thüringen haben jetzt die Koalitionsverhandlungen begonnen. Selbst wenn am Ende eine Brombeer-Koalition zustande kommt, bleibt das Regieren von CDU, SPD und BSW schwierig. Im Landtag fehlt eine Stimme zur Mehrheit. Die müsste aus der Opposition kommen, etwa von den Linken. Gegen die aber hat die Union bereits einen Unvereinbarkeitsbeschluss.
Bodo Ramelow, DIE LINKE, Geschäftsführender Ministerpräsident Thüringen:
„Ich habe fünf Jahre lang eine Minderheitsregierung geführt, die vier Stimmen nicht eigenständig aufbringen konnte. Deswegen erwarte ich auch aus meiner persönlichen Erfahrung, dass die CDU jetzt endlich über ihren Schatten springt und mit uns als Partei in die Verhandlungen eintritt.”
Das Beispiel Thüringen zeigt: Regierungsbildungen werden in Deutschland immer schwieriger. Erst recht bei einer starken AfD und einem stärker werdenden BSW. In der Union führt das zu Spannungen, wie die Initiative von Frank Sarfeld zeigt. Es geht um die Frage: Wie weit mauert sich die Union durch immer mehr Unvereinbarkeitsbeschlüsse ein und verspielt damit Machtoptionen? Eine Frage, auf die Friedrich Merz im Bundestagswahlkampf eine Antwort geben muss.
Stand: 06.11.2024 14:34 Uhr