Erfolge der AfD im Westen - Eine Spurensuche
Die AfD ist nach dem Ergebnis der Bundestagswahl stärker denn je. Auch im Westen. Woran liegt das?
Text des Beitrags:
Axel Büttner, Diakon:
“Wir sehen die abgerissenen Dachrinnen, innendrin, ist alles kaputt.”
Unterwegs mit Diakon Axel Büttner im Gelsenkirchener Ortsteil Scholven … an seiner alten Kirche. Im Herzen des Ruhrgebiets in NRW. 15 Jahre hat er hier gewohnt, Gottesdienste gehalten. Jetzt ist die Kirche nur noch eine Ruine. Geschlossen aus Kostengründen.
Axel Büttner, Diakon:
“Tut immer wieder weh, das war zuhause. Das war Treffpunkt, Identifikationsraum. Wenn Sie hier vorbeigehen, und das sehen, das ist ja wie in den furchtbarsten Slums. Da ist ja nichts schönes dran.
Man sieht hier, welche Worte benutzt werden, das macht auch deutlich, wie der Umgang miteinander ist. Mit Fuck, Scheiße das ist dann das was irgendwo niedergelegt wird. Und das ist der Sprachgebrauch, der keinem mehr weh tut.”
So ein Zerfall, der prägt. Auch wenn rundum alles schön ist, der prägt. Ich sage gerade: Ich möchte nicht hier wohnen und darauf gucken. Wirklich nicht. [...] Ich sage gerade, ich möchte nicht hier wohnen und da drauf gucken. Ist erbärmlich, ne?”
Erfolg der AfD
Er habe Angst um seine Heimat um Scholven, sagt der Diakon. Vor allem seit dem 23. Februar, dem Tag der Bundestagswahl, dem Erfolg der AfD. Historisch. Beispiellos. Hier in Scholven erreichte sie bei den Zweitstimmen über 33 Prozent, die stärkste Partei. Und das beste AfD-Ergebnis in ganz Gelsenkirchen. Und das obwohl in Scholven die Kriminalität laut Polizei im Vergleich zum Rest der Stadt gering ist, auch beim Ausländeranteil, der Arbeitslosigkeit ist das so.

Wie kann das sein? Eigentlich wollte uns Axel Büttner heute Antworten geben, über seinen Stadtteil sprechen. Und wirkt doch irgendwie ratlos, wird selbst zum Fragesteller.
Axel Büttner, Diakon:
“Wir versuchen zu ergründen, warum man hier die AfD wählt.”
Frau im Auto:
“Oh, das tun sie mal.”
Gar nicht so einfach. Über die AfD sprechen, möchte kaum einer. Sehr wohl aber über diese schwelende Unzufriedenheit, den Frust. Das Lebensgefühl.
Älterer Passant:
“Geht alles kaputt. Das ist Scheiße hier. Mein Gott, früher waren die Kirmes und alles, ach, wie ich kam, ich komme aus Ober-Schlesien, ich kam vor 40 Jahren, da war hier los alles.”
Axel Büttner, Diakon:
“Ja, früher war hier Ramba Zamba. Und jetzt kommt keiner mehr in die Kirche. - Die ist ja sowieso zu.”
Sehnsucht nach früher … Wo alles besser war, auch hier in Scholven.
Anwohnerin im Garten:
“Unsere Jugend war schön, wir waren sicher ein bisschen. Und heute muss man aufpassen".
Thema Sicherheit:
Axel Büttner, Diakon:
“So Angst, durch Scholven zu gehen, habe ich gar nicht.”
Frau auf dem Balkon:
“Nein, ich auch nicht mehr. Das hat sich ja eigentlich auch gebessert. War früher so verrufen hier.”
Axel Büttner, Diakon:
“Jetzt müsste nur noch Schalke wieder aufsteigen, dann wäre die Welt in Ordnung.”
Anwohnerin im Garten:
“Das wäre noch besser.”
Unzufriedenheit und Zuversicht .. Manchmal liegt es so nah beieinander.
Abstieg einer Region
Gelsenkirchen im Ruhrgebiet, das war mal eine blühende Stadt. Im vergangenen Jahrhundert. Viel Wohlstand, auch wegen der Arbeitsplätze in der Montanindustrie, die mit den Jahren Stück für Stück verschwanden … und damit auch das Geld, die Menschen: Seit 1959 hat die Stadt rund ein Drittel seiner Einwohner verloren.
Die scheidende Oberbürgermeisterin sagt, ihre Stadt sei ein Paradebeispiel für die Folgen dieses Strukturwandels. Und das spüre man eben, auch sie, jeden Tag bei ihren Bürgern.

Karin Welge, SPD, Oberbürgermeisterin:
“Sie müssen sich vorstellen, Gelsenkirchen war eine der stolzesten Städte Deutschlands, eine der reichesten Städte Deutschlands. Hier ist der industrielle Wohlstand sozusagen erfunden worden. Die Stadt mit den meisten Zechen. Und dann kommt dieser massive Strukturbruch. Und auf einmal fühlen sich die Menschen natürlich alleine. Und Sie wissen, Verlustängste sind die größten Traumata in Familien, aber natürlich auch in solchen Städten. Und das macht schon was mit der Emotionalität, mit der Befindlichkeit.”
Und das wirke sich auch aufs Wahlverhalten aus. Der Strukturwandel als Brandbeschleuniger für die AFD. Für Gelsenkirchen scheint das zu passen, in anderen Regionen aber ist es komplizierter.
Fokus auf Süddeutschland
Professor Christian Bär, Statistiker an der Uni Potsdam, hat sich das Wahlergebnis für Westdeutschland genauer angeschaut. Die Erkenntnis: die AfD war stark in Gelsenkirchen, noch stärker aber in Süddeutschland, in Baden-Württemberg und Bayern.

Prof. Christian Bär, Universität Potsdam:
„Das sind Regionen traditionell wohl konservativ eingestellte Regionen, die aber jetzt nicht von einem besonderen Strukturwandel betroffen zu sein scheinen und in denen auch jetzt nicht besonders prekäre soziale Verhältnisse vorliegen. Deswegen ist eben dieses Narrativ der AfD-Wähler sei hauptsächlich einer, weil er von sozialen Umbrüchen betroffen ist, da nicht haltbar aufgrund der Daten“
Wir fahren nach Bayern. In den Wahlkreis Deggendorf, an der tschechischen Grenze. Ländlich, idyllisch. Gottverbunden. Mit 29,3 Prozent fuhr die AFD bei den Zweitstimmen hier das beste Ergebnis in Westdeutschland ein. Rund um diese Tankstelle… in Neuschönau, waren es sogar 37,7. Und tatsächlich. Es dauert nicht lang, bis wir hier auf die ersten AfD-Wähler treffen.
Passantin:
Ich bin nicht so politisch engagiert, aber wir haben, die ganze Familie hat die AfD gewählt.
Frage Reporter:
“Und warum?”
Passantin:
„Weil wir es richtig finden.“
Auch Alois Lentner, der Seniorchef der Tankstelle …ein überzeugter AFD-Wähler.
Alois Lentner:
“Weil die ganze Stimmung einfach gekippt ist. So kann es nicht weitergehen. Wir werden immer ärmer.”
Seit 1979 hat er die Tankstelle. Die, so sagt er uns überraschend, hervorragend läuft. Wie übrigens auch der Wahlkreis insgesamt, zumindest im Vergleich: Beim verfügbaren Pro-Kopf Haushalts-Einkommen kommt etwa der Landkreis Deggendorf laut offizieller Statistik noch vor Frankfurt am Main, Bonn oder Mainz, auf Platz 108 aller 400 Kreise und kreisfreien Städte.
Und doch … in die Welt von Alois Lentner passt das irgendwie nicht rein
Reporter:
„Glauben Sie nicht?“
Alois Lentner:
„Nein, Statistik, wer an das noch glaubt, an der Statistik, der lebt auch von einem anderen Planeten für mich.“
Lentner sagt, die CSU sei zu links für ihn. Früher sei er selbst Mitglied gewesen.
Und er redet übers Gendern, Klimaschutz, Digitalisierung. Wichtige Themen, aber die Umsetzung gehe ihm einfach zu weit.
Reporter:
„Das macht die AFD dann besser?“
Alois Lentner:
„Nein, aber dass man da vielleicht ein bisschen nachdenkt und sagt, Menschenskinder, ist es jetzt der richtigste Weg? Ist es der Weg? Kein Mensch kann den Fortschritt aufhalten, will ja keiner aufhalten, aber die Geschwindigkeit, das überschlägt sich, das ist mein Problem.“
Sorge vor Veränderung
Angst vor zu viel Veränderung. Wandel. Gefühltes Abgehängt sein.So nennt das der Demokratieforscher Prof. Robert Vehrkamp. Für die Bertelsmann-Stiftung hat er die Wählermilieus der AfD bei der Bundestagswahl untersucht.

Prof: Robert Vehrkamp, Bertelsmann-Stiftung:
„Es ist ja in diesen Milieus auch so, dass das häufig Milieus sind, wo beispielsweise die Migration oder die sozialen Probleme gar nicht so außergewöhnlich ausgeprägt sind, sondern dass es mehr so eine Empfindung ist, ja, ich gehöre nicht zu den Gewinnern der gesellschaftlichen Modernisierung.“
Die Abgehängten und die [..] die sich so fühlen. Ein schwieriges Wählerklientel, deren Vertrauen auch die neue Bundesregierung nur mit alltäglichen praktischen Lösungen zurückgewinnen könne.
Bis dahin will Diakon Axel Büttner in Scholven mehr Präsenz zeigen, mit Plakaten, Festen. Um so die Stimmung in seiner Heimat zumindest ein bisschen aufzuhellen. Auch wegen der Kommunalwahl im September.