Vorteile für dubiose Vereine: Kritik an Gemeinnützigkeit

Viele Vereine in Deutschland sind gemeinnützig und erhalten dadurch Steuervorteile - allerdings auch Rechts- und Linksextremisten sowie Islamisten, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Auf der anderen Seite wird Körperschaften, die sich für das Gemeinwohl einsetzen, die Gemeinnützigkeit verwehrt, zum Beispiel Bürgerbus-Vereinen.

Anmoderation:

Nadia Kailouli, Moderatorin:
„Jetzt geht es hier um nichts Geringeres als um Wunder. Das sagt zumindest der Geistheiler-Verein, den wir besucht haben. REPORT MAINZ wurde hier Zeuge einer scheinbaren medizinischen Sensation. Sehen Sie selbst.“

Anne Hübner, „Heilerin“:
„Ich stelle den Kontakt zu Ihrer Geisteskraft her.“

Nadia Kailouli, Moderatorin:
„Anne Hübner, die sich selbst als Heilerin bezeichnet, begradigt den Beckenschiefstand einer jungen Frau. Ohne Körperkontakt. Allein durch ihren Heil-Impuls - behauptet sie.“

Anne Hübner, „Heilerin“, während einer „Behandlung“:
„Das Knie darf sich jetzt nach innen drehen. Hier hat es jetzt gezuckt.“

Nadia Kailouli, Moderatorin:
„Es ist natürlich jedem selbst überlassen, daran zu glauben. Der Geistheilerverein von Frau Hübner allerdings ist als gemeinnützig anerkannt, genießt also Steuervorteile. Als gemeinnützig gilt, wenn eine Tätigkeit darauf ausgerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Aber ist das hier wirklich der Fall? Daniel Hoh hat sich das Ganze und andere gemeinnützige Vereine genauer angeschaut.“

Text des Beitrags:

Wir sind im sogenannten Heilzentrum in der Nähe von Bingen in Rheinland-Pfalz. Rund 20 Besucher sind zu Anne Hübner und ihrem Team gekommen, mit verschiedenen Beschwerden.

Yvonne Mannsperger:
„Fersenschmerzen, Knieschmerzen, Schulterschmerzen, Augenschmerzen.“

Martin Steffens:
„Ich habe ganz deutlich gesehen oder im Spiegelbild, wo man gezeigt hat, dass eigentlich meine Hüfte schief steht und auch die Schulterblätter.“

Ein Leiden, das offenbar auch die anderen teilen. Vor der Geistheilung sind die Fersen um mehrere Zentimeter versetzt. Nach der Heilung ist das Becken angeblich wieder gerade - binnen Minuten. Der Beweis per Strichzeichnung folgt auf dem Fuße.

Anne Hübner, „Heilerin“:
„Passt perfekt. Gratulier dir.“

Die Erstbehandlung kostet 130 Euro. Scharlatanerie und Quacksalberei weisen die Geistheiler von sich - man arbeite wissenschaftlich. Dafür gibt es einen gemeinnützigen Verein, unter derselben Adresse und geleitet von denselben Personen wie das Heilzentrum: der Geistheiler-Verein. Der organisiert Vorträge und Reisen. Und finanziert Messgeräte. Per Fingerscan könne man damit zum Beispiel die Chakren eines Menschen messen - also quasi die Aura.

Tanja Aeckersberg
Tanja Aeckersberg | Bild: SWR

Tanja Aeckersberg, Co-Vorsitzende Geistheiler-Verein:
„Oh, sehr schön. Schau mal hier, das ist dein Herz-Chakra, das ist supergroß. Ein Zeichen für die Herzenswärme, für die Herzensliebe. Natürlich steht das auch für die Gesundheit des Herzens. Mit diesem Gerät kann man den Energiezustand im Ganzen sofort sehen.“

Ärztekammern kritisieren Heilmethoden

Spirituelle Messungen, gemeinnützig anerkannt. Der Verein stützt sich dabei auf das Heilzentrum. Auf Anfrage von REPORT MAINZ spricht die Bundesärztekammer kritisch von „absurden Angeboten“. Ein Beckenschiefstand sei „nicht innerhalb einer Minute behebbar“, schreibt die Landesärztekammer Rheinland-Pfalz. Die behauptete Heilung sei „medizinisch weder erklär- noch nachvollziehbar.“

Als Grund für seine Gemeinnützigkeit gibt der Geistheiler-Verein an, Gesundheit und Wissenschaft zu fördern.

Sebastian Unger ist Rechtsexperte an der Ruhr-Universität in Bochum. Er erklärt, dass im Gemeinnützigkeitsrecht nicht näher definiert sei, was zum Beispiel als Förderung von Gesundheit und Wissenschaft gelte.

Prof. Sebastian Unger, Rechtswissenschaftler, Universität Bochum:
„Da habe ich natürlich sehr diffuse Begriffe, die ich auslegen muss, wo ich mir überlegen muss, fällt das darunter, fällt das nicht darunter und da gibt es natürlich gewisse Spielräume. Und da muss man natürlich auch sagen, dass das für die Finanzämter gar nicht so einfach ist.“

Steuervorteile für gemeinnützige Körperschaften

Rund 560.000 Vereine sind in Deutschland von ihren örtlichen Finanzämtern als gemeinnützig anerkannt und genießen dadurch etliche Steuervorteile: keine Körperschaftssteuer, keine Gewerbesteuer, zusätzlich Ehrenamts- und Übungsleiterpauschalen. Und Spenden sind steuerlich absetzbar.

Wer gemeinnützig sein darf, bestimmt das Gesetz. Förderwürdig ist zum Beispiel der Sport, Kunst und Kultur, Wissenschaft und Forschung. Aber zum Beispiel auch der Freifunk, der Modellflug oder der Hundesport. Ein Katalog mit dutzenden Zwecken.

Prof. Sebastian Unger
Prof. Sebastian Unger | Bild: SWR

Prof. Sebastian Unger, Rechtswissenschaftler, Universität Bochum:
„Am Ende ist das doch ein Konglomerat von Zwecken, dem man relativ gut ansieht, dass da bestimmte Lobbyisten erfolgreicher waren als andere. Das Ganze lässt kein wirkliches politisches Konzept von Zivilgesellschaft und von gemeinnütziger Zivilgesellschaft erkennen.“

Darunter leiden Vereine, die sich zwar für das Gemeinwohl einsetzen, aber nicht gemeinnützig sein dürfen. Zum Beispiel viele Bürgerbusse in Deutschland.

Keine Gemeinnützigkeit für Bürgerbus-Vereine

Wir sind in Willingshausen in Nordhessen. Heute am Steuer: Norbert Pauli. Er fährt den Bürgerbus im Wechsel mit anderen Ehrenamtlichen. Da, wo es keinen ÖPNV gibt, erfüllt der Bürgerbus einen wichtigen Zweck, sagt er.

Norbert Pauli
Norbert Pauli | Bild: SWR

Norbert Pauli, Fahrer Bürgerbus Willingshausen:
„Naja, dass die Leute, die nicht mehr so mobil sind oder überhaupt nicht mobil sind, die Möglichkeit haben, zum Arzt oder zum Einkauf oder selbst auch zum Frisör gebracht zu werden. Und wieder abgeholt zu werden.“

In Willingshausen ist der Bürgerbus ein kostenloser Rufbus. Mitfahrerin ist heute Christa Siebert, 79 Jahre alt. Sie muss zum Einkaufen ins benachbarte Treysa. Manchmal geht’s für einen Arzttermin auch nach Kassel oder Marburg.

Christa Siebert
Christa Siebert | Bild: SWR

Christa Siebert:
„Ich hatte früher Führerschein. Und den habe ich schon sehr lange, mit 18 schon. Und ich traue mich jetzt auch nicht mehr Auto zu fahren.“

2011 hatten die Finanzminister der Länder entschieden, Bürgerbusse in der Regel nicht als gemeinnützig anzuerkennen. Eine mögliche Konkurrenz zu Taxis spielte bei der Einstufung wohl eine Rolle. Die stößt in der Gemeinde bei Bürgermeister und Verein bis heute auf Unverständnis.

Luca Fritsch
Luca Fritsch | Bild: SWR

Luca Fritsch, SPD, Bürgermeister Willingshausen:
„Der Bürgerbus ist durchaus ein Paradebeispiel für Gemeinnützigkeit, denn das, was da passiert, ist kein reiner Fahrdienst, sondern Gemeinnützigkeit in Reinform.“

Heinrich Keller
Heinrich Keller | Bild: SWR

Heinrich Keller, Geschäftsführer Bürgerbus Willingshausen:
„Wir hatten schon Anfragen, die wollten etwas spenden, aber nur unter der Voraussetzung, dass wir eine Spendenquittung ausstellen können und das konnten wir leider nicht.“

Steuervorteile für Extremisten und Verfassungsfeinde

Wie groß die Schieflage bei der Gemeinnützigkeit ist, zeigt der Blick auf Vereine, die als extremistisch eingestuft sind. Auf Anfrage von REPORT MAINZ stellt das Bundesfinanzministerium klar: „Werden Organisationen in einem Verfassungsschutzbericht (…) ausdrücklich als extremistisch eingestuft, dann ist die Steuerverwaltung (…) gesetzlich angehalten, den Entzug der Gemeinnützigkeit zu veranlassen.“

Doch die Praxis sieht anders aus. Beispiel ‚Aufbruch Leverkusen‘ - laut Verfassungsschutz ein extremistischer Verein, dessen Vorsitzender unter anderem „Narrative der russischen Regierung“ (Verfassungsschutz NRW) verbreite. Der Verein, der diese Einschätzung auf Anfrage von REPORT MAINZ bestreitet, ist gemeinnützig.

Die ‚Baptistenkirche Zuverlässiges Wort‘ aus Pforzheim. Deren Gründer hetzt in herabwürdigender Weise in Predigten, die die Kirche auf Videoplattformen verbreitet, gegen queere Menschen.

Anselm Urban, Gründer „Baptistenkirche Zuverlässiges Wort“:
„Dieses gottlose Volk hat jetzt einen offiziellen Quer-Beauftragten. Einen offiziellen Beauftragten für den letzten Abschaum der Gesellschaft, für den letzten Schmutz der Gesellschaft.“ (Quelle: rumble.com/Baptistenkirche Zuverlässiges Wort)

Der Trägerverein der Kirche ist gemeinnützig. Obwohl der Verfassungsschutz ihr unter anderem „antisemitische sowie staatsfeindliche Verschwörungserzählungen“ (Verfassungsschutz Baden-Württemberg) bescheinigt. Fragen von REPORT MAINZ ließ die Kirche unbeantwortet.

Drittes Beispiel: Der ‚Verein für Dialog und Völkerverständigung in Karlsruhe‘, der auf Anfrage ebenfalls bestreitet, extremistisch zu sein. Das sieht der Verfassungsschutz anders: Der Verein stehe der islamistischen Muslimbruderschaft nahe. Auch dieser Verein genießt Steuervorteile.

Wie ist so etwas möglich? Prüfen die Finanzämter nicht ordentlich? Zu einzelnen Fällen dürfen sich die Behörden wegen des Steuergeheimnisses nicht äußern.

Lückenhafte Prüfung der Finanzämter

Wir fragen Florian Köbler von der Deutschen Steuergewerkschaft, der Interessenvertretung der Finanzverwaltung. Er kritisiert die mangelhafte Kommunikation zwischen Finanz- und Sicherheitsbehörden. Und muss einräumen, dass seine Kollegen oft nicht das erfüllen können, was das Gesetz vorschreibt.

Florian Köbler
Florian Köbler | Bild: SWR

Florian Köbler, Bundesvorsitzender Deutsche Steuer-Gewerkschaft:
„Man kann nicht bei jedem Verein, den es in Deutschland gibt und da gibt es Hunderttausende an Vereinen, kann man nicht ganz präzise schauen, was machen die jetzt tagtäglich. (…) Wir haben ein eklatantes Vollzugsproblem. Das heißt, wir können nicht alle Fälle bis ins kleinste Detail prüfen. Hintergrund: zu wenig Personal.“

Geistheiler verbreiten Verschwörungserzählungen

Zurück bei den Geistheilern. Der Verein fördert laut Satzung die Wissenschaft und Gesundheit. Im eigenen YouTube-Kanal namens ‚Geistheiler TV‘ finden wir unter anderem Videos, in denen pauschal Front gegen das Impfen gemacht wird. Vor unserer Kamera wiederholt die „Heilerin“ zudem Verschwörungserzählungen zur Corona-Pandemie.

Anne Hübner
Anne Hübner | Bild: SWR

Anne Hübner, Co-Vorsitzende Geistheiler-Verein:
„Es war kein Corona. Ich weiß doch mittlerweile, was es war. Es war eine inszenierte, na sagen wir mal, Reduzierung der Menschheit, ganz simpel ausgedrückt. Und da stehen die auch dazu. Wer ein bisschen clever ist, der kriegt das auch raus. Es war ein Plan.“

Eine Behauptung, für die es keinen Beleg gibt.

Steuervorteile für Geistheiler, Hetzer und Extremisten. Ehrenamtliche, die Bürgerbusse betreiben, werden dagegen nicht unterstützt. Die Ampel-Regierung in Berlin hat in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren. Bislang ist das noch nicht passiert.

Abmoderation:

Nadia Kailouli, Moderatorin:
„Inzwischen hat die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf für das Jahressteuergesetz II zwar auch Änderungen beim Gemeinnützigkeitsrecht vorgeschlagen, an den grundlegenden Missständen, die wir eben gesehen haben, ändert das aber nichts.“

Stand: 31.07.2024 15:18 Uhr