Terrorgefahr - Radikalisierte Coronaleugner und Reichsbürger

Experten warnen vor einer Radikalisierung der Corona-Protestszene. Noch immer versuchten Extremisten systematisch Anhänger zu gewinnen. Wohin das führen kann, zeigt ein aktueller Fall aus Hessen.

Ein junger Schüler wird verdächtigt, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben. Sein Anwalt bestreitet das. Seit November sitzt er in Untersuchungshaft.  

Text des Beitrags:

Waldbrunn im Westerwald. 5000 Einwohner, ein Luftkurort. Heimat eines heute 19-Jährigen, der sich in der Corona-Zeit radikalisierte und seit November in Untersuchungshaft sitzt. Er soll einen Anschlag geplant haben, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat - mit dem Ziel, Menschen zu töten. 

Teile einer solchen Maschinenpistole wurden bei ihm sichergestellt. Ein 19-jähriger - ein Staatsfeind?

Seine Festnahme - viele im Ort haben sie mitbekommen. Die Spuren sind noch deutlich zu sehen. An der Eingangstür seines Wohnhauses. Auch die Nachbarn können sich noch gut erinnern. 

Frage: 
„Haben Sie das mitgekriegt?”

Passant aus Waldbrunn (nachgesprochen): 
„Den Knall, ja!”

Nachbarin aus Waldbrunn (nachgesprochen): 
„Ich bin ja davon wach geworden. Ich habe gedacht, es wäre eine Gasleitung explodiert.”

Frage: 
„Und der junge Mann, ist der Ihnen mal aufgefallen?”

Nachbarin aus Waldbrunn (nachgesprochen): 
„Nein, ab und zu mal rauf und runtergelaufen, kein Sicht- und Blickkontakt und so weiter.”

Wir hören uns weiter um, erfahren: Der junge Mann war engagiert bei der Feuerwehr, macht sein Abitur, galt als ruhig und höflich. Hilfsbereit. Doch verborgen vor der Welt schlummerte eine ganz andere Seite. Report Mainz liegen Chatnachrichten vor, die der junge Mann auf Telegram schrieb.

Rechtsextreme Aussagen bei Telegram

Der höfliche Nachbarsjunge ... und seine Vision für die Welt. 

Zitate des rechtsextremen Teenagers:  
„Ich verstehe das, was Hitler ebenfalls darunter verstand.” 
„Nationalismus bedeutet am Ende nichts anderes als Hingabe von Liebe zu meinem Volk.” 
„Ist der Nationalsozialismus die tragende Weltanschauung, so würde sich auch ohne Gesetze jeder an das halten, was dem Volke am besten tut.” 

Wie konnte es so weit kommen? Sein Anwalt sagt: Die extremen Ansichten habe der Schüler in der Corona-Pandemie entwickelt, ohne die vielleicht alles ganz anders gekommen wäre. 

Andreas Hohnel
Andreas Hohnel | Bild: SWR

Andreas Hohnel, Rechtsanwalt: 
„Er war mit den Corona-Maßnahmen nicht einverstanden. Er hat sich nicht impfen lassen. Er hielt das für überzogen. Der Staat sollte bitte nicht in seine in diese Sphäre eindringen. Er war einsam. Er saß in seinem Zimmerchen mit seinem Laptop und er war isoliert von anderen.”

Schüler besuchte rechtsextreme Veranstaltungen

Der Schüler sucht Halt. 2021 nimmt er an einer Corona-Protest-Demo teil. Fast stolz präsentiert er sein Plakat gegen die Kinderimpfungen und die angebliche Impferpressung. Doch es bleibt nicht dabei. Er kommt in Kontakt mit Rechtsextremen. Ein Jahr später finden wir ihn auf Bildern von Neonazi-Demos, einem Szene-Konzert, sogar als Redner trat er auf. Und er äußert sich in Messenger-Diensten. Immer deutlicher.

Zitate des rechtsextremen Teenagers: 
„Gemeinsam lässt sich auch eine BRD stürzen.“ 
„Die Lösung ist der Endsieg.” 
„Nur Terror bricht Terror.” 
„Wir haben jedes Recht uns zu wehren, auch mit letaler Gewalt.”

Mit tödlicher Gewalt also. Der Schüler soll von Sabotagetrupps fabuliert haben, Angriffen auf das System. Sein Anwalt bestreitet solche Aussagen nicht, aber die konkrete Tatvorbereitung, vor allem einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Die Polizei ermittelt noch.  

Corona-Pandemie als „Radikalisierungsbeschleuniger“

Ein junger Mann, radikalisiert über die Pandemie. Kein Einzelfall, sagt der Sozialwissenschaftler Dierk Borstel. Extremisten hätten von Beginn an versucht, in der Corona-Protestszene Anhänger zu finden.

Prof. Dierk Borstel
Prof. Dierk Borstel | Bild: SWR

Prof. Dierk Borstel, Extremismusforscher: 
„Wir haben in der Coronaphase viele Menschen erlebt, die sich anders informiert haben als vorher, wo viel Frust war. Was macht der Staat eigentlich mit uns? Ist das gerechtfertigt? Wo ja dann die rechtsextreme Seite auch Erklärung geboten hat, also Erklärungen, Verschwörungen, Schuldige gefunden haben und auch ein Stück weit eine emotionale Heimat geboten haben.” 

„Königreich Deutschland“ wirbt um Anhänger

Und es sind nicht nur Rechtsextreme, die die Pandemie instrumentalisieren. Wir sind unterwegs zu einer Reichsbürgerveranstaltung. Irgendwo in Baden-Württemberg. Denn auch Reichsbürger werben um Anhänger der Corona-Protestszene, bei Telegram, in deren Gruppen. Ein Seminar des sogenannten „Königreich Deutschland”. 

Laut Sicherheitsbehörden Systemaussteiger. Verfassungsfeinde mit starkem Expansionsdrang in die Mitte der Gesellschaft. Mit einem eigenen Finanzsystem, Gesetzen und einem Pseudo-König als Oberhaupt.

Und heute ist ganz schön viel los. Veranstaltungen der Gruppe finden nach unseren Recherchen derzeit nahezu im ganzen Land statt, fast wöchentlich. Vor allem im Süden und Westen. Und worum geht es dabei?

Ein paar Stunden später … 
Versuch einer Nachfrage.  

Dialog mit Veranstalter: (Gedächtnisprotokoll) 
„Hallo. Wir sind von der ARD.
   
„Ja, hier ist Privatgelände, dann gehen Sie bitte mal hier runter. Ich hole den Hausherren, schönen Tag noch.” 
 
„Wir wollen mit ihnen über die Königreich-Veranstaltung sprechen…Wollen Sie nicht?”

Wir sind hier nicht erwünscht…

Doch wir bekommen Aufnahmen eines Seminars zugespielt. In denen Interessenten angeworben, vom Königreich überzeugt werden sollen. Mit kruden Theorien, angefangen von der jüdischen Bankiersfamilie, die angeblich die Welt beherrscht, einer Elite, die die einfachen Leute ausbeuten will. Und mit Corona.

Ausschnitt aus Vortrag der Königreich Deutschland-Veranstaltung (Gedächtnisprotokoll): 
„Fakt ist, dass alles ersetzt werden muss in diesem System. Wir sind nur noch nutzlose Esser. Und das haben wir bei Corona auch alle am eigenen Leib erfahren. Ich war von Anfang dabei im Widerstand.” 
 
„Die Bundesrepublik ist nicht souverän… 

„Die Rothschild-Bank hat von Anfang in Frankfurt den Deutschen Bundestag mitfinanziert und den Haushalt gestellt. Da wäre ein Schelm, der denkt, dass das heute anders wäre.” 

Zum Teil wirre Gedanken - und wie reagieren die Teilnehmer solcher Veranstaltungen? Mit ein paar kommen wir dann doch ins Gespräch.  

Frage:  
„Was haben Sie denn gelernt?”

Seminarteilnehmerin:  
„Tja, fürs Leben”

Seminarteilnehmer
Seminarteilnehmer | Bild: SWR

Seminarteilnehmer:  
„Ich bin jetzt zum Beispiel Rentner und zahle 500 Euro Lohnsteuer. Für was frage ich mich? Ich kriege davon, monatlich, ich kriege davon nix mehr zurück. Ist das das richtige System? Nein!”

Seminarteilnehmer: 
„Entschuldigung, ich kann das nicht mehr ernst nehmen.”

Frage:  
„Also Sie glauben nicht mehr an diesen Staat?

Seminarteilnehmer: 
„Nee, an diese Regierung, diese Regierung, kann ich nicht mehr glauben.”

Frage:  
„Aber auch nicht an Wahlen, um das System zu ändern?”

Seminarteilnehmer
Seminarteilnehmer

Seminarteilnehmer:  
„Die Wahl ist die einzige demokratische Möglichkeit für uns im Moment, das ist ganz klar. Aber die nächsten Wahlen sind in zwei Jahren. Solange kann sich das ja nicht mehr halten, können, sollen, dürfen.”

Demokratiefördergesetz sollte Abhilfe schaffen

Klingt nicht nach einem überzeugten Staatsfeind. Eher Ausdruck von Enttäuschung, Frust, Perspektivlosigkeit. Unser Eindruck: Diese Menschen kann man noch erreichen. Dafür gibt es eigentlich auch ein Konzept, vorgestellt vor über einem Jahr von der Bundesregierung. Das Demokratiefördergesetz. Eine Idee, mit großem Anspruch.

Nancy Faeser
Nancy Faeser | Bild: SWR

Nancy Faeser, Bundesinnenministerin, auf der Bundespressekonferenz vom 14.12.2022 
„Bürgerinnen und Bürger, die in Zeiten der Pandemie begonnen haben an der Demokratie zu zweifeln, wollen wir wieder für die Demokratie zurückgewinnen.”

Der Plan: Beratungsangebote, Aufklärung, Demokratiebildungsarbeit bis hin zu Aussteigerprogrammen. Und was ist daraus geworden? Die Ampel ist mal wieder uneins. 

Man verhandele noch, heißt es von Grünen und SPD im Bundestag: 
Die FDP will sich auf Report-Anfrage gar nicht äußern. Zurück bleiben Menschen, die sich abwenden vom Staat. Die einen weniger, die anderen mehr. Eine in Teilen gespaltene Gesellschaft.

Prof. Dierk Borstel, Extremismusforscher: 
„Mir macht das riesige Sorgen. Und wir wissen aus der Demokratieforschung immer dann, wenn eine Gesellschaft in Milieus verfällt, die nicht mehr miteinander kommunizieren, die kein Verständnis mehr für den anderen haben. Das ist dann der Moment, wo die Demokratie in sich zusammenfällt.”

Stand: 09.02.2024 13:47 Uhr