Gas und Strom zu teuer - Neue Tricks der Energieversorger
Verbraucherschützer beklagen, dass viele Menschen unrechtmäßig oder länger als gesetzlich vorgeschrieben in die Ersatzversorgung eingruppiert seien. Das Problem sei „ein Dauerbrenner”.
Außerdem machen sich die Energieversorger offenbar eine Gesetzeslücke zunutze: Der Anbieter stuft den Vermieter, der für seine Mieter den Tarif abschließt, als Gewerbekunden ein und damit in die oft teure Ersatzversorgung. Die Mieter zahlen dann permanent den höheren Tarif, obwohl sie eigentlich Haushaltskunden sind.
Der Chef der Monopolkommission als auch die Opposition im Bundestag sehen dringenden Nachbesserungsbedarf beim Energiewirtschaftsgesetz.
Text des Beitrags:
Dank seines modernen Gas-Brennwertkessels kann es sich Olaf Peterling auch an kalten Tagen zuhause behaglich machen - Gemütlichkeit auf Knopfdruck.
Ungemütlich wird es für den Lüneburger dann aber, als plötzlich für ihn unerklärliche Gas-Rechnungen zugestellt werden.
Olaf Peterling
„Das kam uns vor also wie eine Berg- und Talfahrt. Wir wussten eigentlich nicht mehr, das ging von einmal runter von 200 auf dann etwas unter 100 Euro und im nächsten Mal schoss es dann auf 340 Euro hoch.”
Monatliche Abschläge im Achterbahnmodus.
Wie kann das sein? Olaf Peterling ist seit 2 Jahren Kunde des Energieriesen E.ON. Der war nach einem Online-Preisvergleich der günstigste Anbieter.
Das ging knapp ein Jahr gut - bis plötzlich die Preise stiegen und Olaf Peterling bemerkte: Er ist in einem Tarif der sogenannten „Ersatzversorgung”.
Olaf Peterling
„Ob das nun Ersatz-, Grundversorgung, was das nun heißt und alles. Wir haben gesagt: Okay, die E.ON wird das schon machen. Wird das schon richtig machen. Man hat sich als Verbraucher einfach darauf verlassen, ja, dass man da vernünftig betreut wird und auch nicht über den Tisch gezogen wird.”
Die sogenannte Ersatzversorgung ist ein Sonderfall der Grundversorgung. Darin landen Kunden, wenn deren Strom- oder Gasanbieter zum Beispiel die Belieferung einstellt, etwa bei Insolvenz. Ein oft teurer Tarif, dafür befristet auf maximal drei Monate.
Doch oft funktioniert es nicht so, wie vom Gesetzgeber gedacht.
Julia Schröder ist Energierechtsexpertin bei der Verbraucherzentrale Niedersachsen. Die Probleme mit der teuren Ersatzversorgung sind bei ihr ein Dauerbrenner.
Julia Schröder, Energierechtsexpertin, Verbraucherzentrale Niedersachsen
„Es ist auf jeden Fall so gewesen, dass da bei uns zahlreiche Fälle aufgetaucht sind solcher Art, wo es wirklich auch um längere Zeiträume geht. Bei dem Ehepaar Peterling war es auf jeden Fall so, dass sie zu Unrecht in die Ersatzversorgung eingeordnet worden sind. Die haben bei ihrem vorherigen Anbieter von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch gemacht, nach einer Preiserhöhung, also ein ganz klarer Fall für die Grundversorgung.”
Im Fall Peterling räumt E.ON schließlich ein, dass die Zuordnung falsch gewesen ist. Eine eigene Schuld weist das Unternehmen auf Anfrage aber zurück. Man sei, Zitat, „auf die Angaben der Netzbetreiber angewiesen, die eine entsprechende Zuordnung für eine Kundin oder einen Kunden übermitteln.”
Was E.ON nicht erwähnt: Der Netzbetreiber von Olaf Peterling gehört mehrheitlich - auch zu E.ON.
Diese „falschen Einordnungen” sind für etliche Kunden in Deutschland ein teures Problem. Doch wie kommt es überhaupt dazu?
Hintergrund die politische Großwetterlage 2022: Russland überfällt die Ukraine, die Energiepreise steigen und steigen, Gas und Strom sind plötzlich doppelt oder dreimal so teuer. Zuvor gabs bereits mehrere Anbieter-Pleiten. Hunderttausende Deutsche landen plötzlich bei den Grundversorgern. Die müssen schnell zusätzliche Energie teuer einkaufen.
Bundeswirtschaftsminister Habeck reagiert unter anderem mit seinem sogenannten Osterpaket. Gesetzesvorschläge auf 600 Seiten.
Robert Habeck, Bündnis 90/Die Grünen, Bundeswirtschaftsminister (am 6.4.2022)
„Vielleicht zeige ich einmal kurz, warum das ganze Ding Osterpaket heißt: Weil es ein Paket ist und das ist doppelt bedruckt.“
Darin unter anderem die Regelung, dass die Ersatzversorgung jetzt einen anderen Preis als die Grundversorgung haben kann. Der Bundestag stimmt dieser Änderung im Energiewirtschaftsgesetz schließlich zu:
Katrin Göring-Eckhardt, Bundestagsvizepräsidentin
„Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen.”
Von dieser Gesetzesänderung machen die Versorger bis heute reichlich Gebrauch. Das zeigt eine bundesweite Auswertung der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz, exklusiv für REPORT MAINZ.
Bei den mehr als 700 Grundversorgern in Deutschland verlangen 32 Prozent beim Gas noch immer höhere Preise in der Ersatz- als in der Grundversorgung. Auch beim Strom wird es bei einem Drittel teurer.
Und das, obwohl die Preise an den Energiebörsen seit dem Rekordhoch 2022 deutlich gesunken sind.
Nutzen die Grundversorger bei der Ersatzversorgung ihre Marktmacht aus?
Jürgen Kühling ist Vorsitzender der Monopolkommission, das Gremium, das die Bundesregierung in Wettbewerbs- und Kartellfragen berät. Er kritisiert, dass es in Deutschland pro Gebiet immer nur einen Grundversorger gibt, der die Preise auch für die Ersatzversorgung dann selber festlegt.
Prof. Jürgen Kühling, Vorsitzender Monopolkommission
„Das ist ein Problem, dass wir auch angehen müssen. Und das wollen wir so angehen, dass wir sagen: Wir schreiben das aus. Und es ist nicht so der Automatismus, dass quasi der größte Anbieter in der Region auch noch diese Kundinnen und Kunden bekommt, sondern die sollten besser im Wettbewerb jemandem zugewiesen werden, der dann vielleicht auch mit günstigeren Preisen diese Kundinnen und Kunden versorgt.”
Günstigere Preise wollte auch Lukas Welnowski gerne haben, nicht für sich selbst, sondern für seine Mieter. Die werden in seinem Mehrfamilienhaus über eine zentrale Gas-Heizung mit Wärme versorgt. Der bisherige Vertrag dafür lief im vergangenen Winter aber aus.
Lukas Welnowski
„Mein Plan war zu dem Zeitpunkt, dass ich, dass ich jetzt mal ganz normal in die Grundversorgung gehe, um dann in Ruhe ein besseres Angebot für die Mieter im ersten Quartal rauszusuchen. Ich sehe es als selbstverständlich und ich mache das wirklich jedes Jahr, dass ich das immer prüfe, dass es ein besseres Angebot gibt.”
Doch der Grundversorger HarzEnergie gruppierte seine Mieter zunächst automatisch in die teurere Ersatzversorgung ein. Als Lukas Welnowski das nicht akzeptierte, bekam er fünf Tage nach dem Begrüßungsschreiben schon die erste Mahnung.
Lukas Welnowski
„Es war keine Zahlungserinnerung, es war eine Mahnung, mit Androhung der Gassperre - was ich doch durchaus sonderbar, befremdlich fand.”
Am Ende stufte der Versorger die Mieter in die günstigere Grundversorgung ein - aber nur aus reiner Kulanz. Denn die Unternehmen dürfen Vermieter wie Lukas Welnowski offiziell wie Gewerbekunden behandeln - obwohl es seine Mieter sind, die das Gas nutzen, also „normale” Haushaltskunden.
Eine Lücke im Energiewirtschaftsgesetz?
Haushaltskunden werden dort definiert als „Letztverbraucher, die Energie überwiegend für den Eigenverbrauch im Haushalt […] kaufen.”
Ein Vermieter ist aber kein Letztverbraucher.
Julia Schröder, Energierechtsexpertin, Verbraucherzentrale Niedersachsen
„Wir sehen das eigentlich als Gesetzeslücke, diese Konstellation. Die Vermutung besteht, dass der Gesetzgeber das vielleicht einfach nicht mitgedacht hat. Es kommt auf den Vermieter an, der wird als gewerblich angesehen, das heißt kein Weg in die Grundversorgung, es bleibt nur die Ersatzversorgung, was dann natürlich preislich aber die Mieterinnen und Mieter ausbaden müssen.”
Halten wir fest: Verärgerte Strom- und Gaskunden, hohe Preise in der Ersatzversorgung, eine Gesetzeslücke, die Mieter benachteiligt, und Grundversorger, die keinen Wettbewerb fürchten müssen.
Die Opposition im Bundestag will das Gesetz noch mal aufbohren. Zum Beispiel Ralph Lenkert von der Linken und Volker Ullrich von der CSU. Der eine fordert eine Gesetzesänderung, der andere sieht Versäumnisse und handwerkliche Mängel der Ampelkoalition.
Ralph Lenkert, Die Linke, Sprecher für Energie, Umwelt und Klima
„Eine Mischung aus allem: Eine Gesetzeslücke, zu schnell gehandelt, unzureichend nachgedacht und vor allen Dingen man hat im Ziel gedacht und nicht in den Nebenwirkungen.“
Volker Ullrich, CSU, Bundestagsabgeordneter
„Insgesamt gibt es hier noch eine Regelungslücke. Immer dann, wenn es sich um Mieter handelt, muss es sich auch um Verbraucher handeln.”
Was sagt die Bundesregierung dazu? Müssen Mieter besser vor der Ersatzversorgung geschützt werden? Das Bundeswirtschaftsministerium antwortet.
Bundesministerium für Wirtschaft und Klima:
„Eine Entscheidung über etwaigen gesetzlichen Handlungsbedarf bei der Ersatzversorgung wurde nicht getroffen.“
Das Bundesverbraucherschutzministerium hingegen teilt mit:
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz:
„Diese Konstellation werden wir im Sinne des Verbraucherschutzes noch einmal genau prüfen.”
Ausgang also offen.
Heißt für Olaf Peterling: erst mal keine schnelle Hilfe des Gesetzgebers. Er muss sich selbst durchkämpfen.
Erst nach vielen Stunden in der Kundenhotline und mit Hilfe der Verbraucherzentrale hat ihn E.ON rückwirkend in die Grundversorgung eingestuft.
Olaf Peterling
„Und dann nicht mal ein Wort der Entschuldigung oder irgendwas, sondern nur: Man hat zurückgerechnet von 21 bis 23, und Sie haben ein Guthaben von 1.300 noch was Euro. Dachte ich mir, juppiju, das ist aber gut für die Haushaltskasse. Einwandfrei, der Urlaub ist gesichert.”
Auch eine Möglichkeit, der Kälte zu entfliehen - sollte es doch mal wieder Probleme mit dem Energieversorger geben.
Stand: 24.01.2024 14:24 Uhr