Trotz Tierwohllabel – Missstände bei Schweineaufzucht
Zugespielte Aufnahmen belegen, auch in Betrieben der Haltungsstufe 3 kommt es zu Tierquälereien. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Tierrechtler haben über Monate in drei Schweinemastbetrieben gefilmt und dabei Tierquälereien dokumentiert. Inzwischen ermittelt in zwei der drei Fälle die Staatsanwaltschaft.
Text des Beitrags:
Wir sind in einem modernen sogenannten Offenstall in Niedersachsen. Landwirtin Gabriele Mörixmann hält auf ihrem Hof 800 Tiere und sie haben viel Platz.

Gabriele Mörixmann, Landwirtin:
„Wir arbeiten mit einem ganzen Gelände, was wir zur Verfügung stellen. Und da konnte man sagen, das ist jetzt ein Platzverhältnis, das ist okay. Die Kunst ist immer, dass man von allem genug hat, dass nie ein Kampf um Ressourcen ist.“
Und so können sich die Tiere großzügig bewegen, vom Außenbereich in eine Halle und schließlich in einen kühlen Stall. Hier dürfen sie ruhen, scharren, sich den Rücken massieren. Es ist immer noch eine konventionelle Tierhaltung, entspricht aber der Haltungsstufe .
Gabriele Mörixmann, Landwirtin:
„Ziel war es auch, einen Stall für jede Tages- und jede Jahreszeit zu schaffen. Jeder Bereich wird von jedem Tier etwa dreimal am Tag aufgesucht, aber je nach Wetterlage und Jahreszeit unterschiedlich lange.“
Jetzt, im Frühling, halten sich viele Schweine draußen auf. Die Tiere wirken entspannt, gesund. So sollte eine gute Schweinehaltung aussehen.
Das Fleisch der Tiere vermarktet Gabriele Mörixmann über ihren eigenen Hofladen. Ein Kilo Nackensteaks kostet hier rund 13€. Zum Vergleich, Grillsteaks im Supermarkt aus der Haltungsstufe 2 kosten nur etwas weniger. Hier gibt es das Kilo für knapp 10 Euro.
Neuer Tierschutzskandal in NRW
In Haltungsstufe 2 sollten die Tiere mehr Platz haben. In Stufe 3 sollte auch ein Aussenklimabereich hinzukommen. Über die Tierrechtsgruppe ANINOVA erhalten wir aktuelles Bildmaterial aus drei solcher Betriebe im Großraum Münster. Es ist mit das Schlimmste an Bildmaterial aus Ställen, das wir in den vergangenen Jahren zu sehen bekommen haben. Die Landwirte versprechen mehr Platz für ihre Schweine. Doch die Aufnahmen zeigen: Die Tiere verletzen sich gegenseitig, einige lahmen, Böden sind vollkommen zugekotet. Wir sehen Schweine mit offenen Wunden und vereiterte Nabelbrüche. Kannibalismus unter den Tieren ist zu beobachten. Einer der Betriebe wirbt sogar mit einem Außenklimabereich.
Von ihm haben wir die Aufnahmen bekommen, Jan Peifer, Tierrechtler der Gruppe ANINOVA. Er hat die Betriebe bei den Veterinärbehörden angezeigt.

Jan Peifer, ANINOVA e.V.:
„Alle Betriebe schreiben sich Tierwohl auf die Fahnen. Es sind Betriebe, die an der Haltungsstufe 2 bzw. 3 teilnehmen. Und im Supermarkt wird eben den Leuten durch die Verpackung auch suggeriert, dass es den Tieren eben gut geht. Und die Bilder zeigen eben etwas völlig anderes. Wir haben auch zum Teil Tiere dort auf den Bildern gesehen, die schon verstorben sind und von ihren Artgenossen angefressen worden sind. Also kurzum, hier sind katastrophale Zustände und hier hätte durchgegriffen werden müssen, vor allem von den Landwirten und das ist eben nicht passiert.“
Amtsveterinär stuft den Skandal als Straftat ein
Wir fahren in die Nähe von Euskirchen, ziehen einen ehemaligen Amtsveterinär zu Rate und bitten ihn, das Bildmaterial zu begutachten. Jochen Weins. Sein Eindruck: Hier wurden eindeutig massive Tierquälereien dokumentiert.

Jochen Weins, Amtsveterinär a.D.:
„Da sieht man ja schon wieder Schweine, Mastschweine mit älteren Verletzungen. Man sieht schon Eiter. Da ein schwer krankes, moribundes Schwein, da eins mit ganz massiven Verletzungen, Nabelbruch offen, darf nicht, so etwas darf nicht vorkommen. Tierhalter sind verpflichtet, mindestens einmal täglich alle Tiere in Augenschein zu nehmen. Wenn ich das jeden Tag mache, mindestens einmal am Tag, dann dürfen solche Bilder nicht vorkommen, auf keinen Fall. Das darf nicht sein, so verdreckt. Man sieht ja auch an den Tieren, die sind sehr verschmutzt. Und Schweine sind sehr reinliche Tiere, die haben normalerweise, wenn sie Platz genug haben, ihre Ecke, wo sie ihre Geschäfte erledigen. Und in einem gepflegten, guten Betrieb sind Schweine rosa und ohne große alte Güllebereiche auf der Haut. Da ist ein Schweinekadaver, der schon von seinen Mitbuchtengenossen völlig zerlegt wurde. Da sieht man die Därme, die Innereien, das heißt, dass ist so, mehrere Tage hat da schon keiner nachgeguckt. Und das sind klare Verstöße gegen die Tierschutznutztierhaltungsverordnung, geht gar nicht. Das sollte man sicherlich schon als Straftat in Betracht ziehen und dann eben weitergeben an die Staatanwaltschaft.“
Betroffene Landwirte wollen sich nicht äußern
Vorwürfe mit denen wir die Landwirte vor Ort und auch schriftlich konfrontieren. Interviews werden abgelehnt, zwei beantworten unsere Fragen nicht. Ein Betrieb lässt über einen Anwalt mitteilen, es habe unangekündigte Kontrollen gegeben, jedoch keine tierschutzrelevanten Beanstandungen.
Veterinärbehörden greifen durch
Zuständig für diesen Betrieb ist die Veterinärbehörde in Borken. Ihr liegen die Bilder vor. Wir hören, es gab Kontrollen:
„Die Beseitigung der im Betrieb festgestellten tierschutzrechtlichen Verstöße wurde unmittelbar angeordnet und es erfolgte eine Nachkontrolle hinsichtlich der Umsetzung der Maßnahmen. Zusätzlich erfolgte die Einleitung ordnungsrechtlicher Maßnahmen zur Sanktionierung der Verstöße. Diese wurden bisher noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.“
Für die anderen beiden Betriebe ist der Kreis Steinfurt zuständig. Er teilt REPORT MAINZ mit, man habe nach Prüfung Strafanzeige erstattet und die zwei Fälle der Staatsanwaltschaft übergeben.
Die Recherchen beschäftigen auch die Verantwortlichen im nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministerium. Auch die Landestierschutzbeauftragte sieht hier ein grobes Fehlverhalten der Landwirte.

Gabriele von Dehn, Landestierschutzbeauftragte NRW:
„Als Tierärztin würde ich sagen, wir sind hier im absoluten Straftatbestand. Das Label ist ja komplett unabhängig von dem, wie ich mit meinen einzelnen Tieren erstmal umgehe. Wenn ich ein krankes Tier habe, ein verletztes Tier, dann muss ich das natürlich entsprechend angemessen behandeln. Und das unabhängig von jeder Labelstufe. Das sind Managementprobleme, die da sind. Also das ist eine ganz klare Vernachlässigung der eigentlichen Pflichten eines Tierhalters.“
Zwei der drei Betriebe waren schon früher aufgefallen
Erstaunlich, die betroffenen Betriebe aus dem Kreis Steinfurt waren vor sechs und dann nochmal vor drei Jahren schon einmal wegen ähnlicher Tierrechtsverstöße aufgefallen. Aufnahmen von damals belegen dies. Das Ministerium ordnete seinerzeit eine großangelegte Kontrolle an. In einem Bericht wird festgehalten, dass in rund 60 Prozent der Betriebe Tierrechtsprobleme festgestellt werden konnten. Zudem heißt es: „Die Befunde lassen systematische Mängel im Umgang mit jenen Tieren erkennen, die einer besonderen Betreuung und Versorgung bedürfen (…).“
Das Fleisch von diesen Betrieben wird vom Westfleisch-Konzern vermarktet, Deutschlands zweitgrößtem Fleischkonzern. Das Unternehmen hat REPORT MAINZ zugesagt, seinerseits die Bauernhöfe überprüfen zu wollen.
In den vergangenen 20 Jahren haben auch wir bei REPORT MAINZ immer wieder über Missstände in der Schweinemast berichtet. Geändert hat sich nur wenig. Für den ehemaligen Amtsveterinär liegen die Gründe dafür auch in der mangelhaften Strafverfolgung:
Jochen Weins, Amtsveterinär a.D.:
„Ich habe ja über 30 Jahre das Vergnügen gehabt, mit Gerichten zu tun im Tierschutzrecht. Und das muss einfach die deutsche Justiz, muss das vorhandene Recht vernünftig anwenden. Das liegt daran, dass die Justiz Tierschutz immer noch als Kavaliersdelikte betrachtet und relativ wenig Interesse hat in diesem Bereich.“