Arm trotz Arbeit - Probleme durch Witwenrente

Für junge Witwen und Witwer ist die Hinzuverdienstgrenze bei der Witwenrente der Weg in die Altersarmut – wollen sie für sich und ihre Familien Geld hinzuverdienen, wird die Witwenrente gekürzt. Also arbeiten viele in Teilzeit und können sich selbst kein Geld für die Rente im Alter erwirtschaften. Experten fordern deshalb, gerade für Witwen mit Kindern die Hinzuverdienstgrenze deutlich zu erhöhen.

Text des Beitrags:

Hier auf der Abenteuerfarm in Duisburg hat sich Erzieherin Melanie Keusemann noch bis vor kurzem als Minijobberin etwas dazuverdient.

Melanie Keusemann, Erzieherin
Melanie Keusemann, Erzieherin | Bild: SWR

Melanie Keusemann, Erzieherin:
„Am Wochenende und an den Feiertagen waren wir hier für die Tiere zuständig. Einmal morgens, einmal abends, Versorgung, alles, was halt ansteht an Aufgaben. Das habe ich gemacht bis kurz nachdem mein Mann gestorben ist, weil dann einfach klar war, dass sich diese Stelle für mich nicht mehr lohnt.“

Die Farm hat für Melanie Keusemann nicht nur aus Geldgründen eine Bedeutung: vor vielen Jahren hat sie ihren Mann Marc hier kennen- und lieben-gelernt. Sie bekommen drei Kinder. Vor einem halben Jahr ist Marc verstorben. Ganz plötzlich, an einem Herzinfarkt. Jetzt ist Melanie Keusemann mit 41 Jahren Witwe, Sohn Mick hat seinen Papa verloren. Emotional eine Katastrophe für die Familie. Dass es aber auch finanziell eine wird, damit hat Melanie Keusemann nicht gerechnet.

Melanie Keusemann, Erzieherin:
„Also finanziell ist es einfach so, dass die Hinterbliebenenrente so viel abgezogen wird, dass ich letztendlich hier nichts mehr verdiene. Ich finde es halt wirklich irgendwo unfair, dass ich keine Möglichkeit habe. Ich habe immer viel neben meiner Haupttätigkeit als Erzieherin gemacht, ich habe immer zwei Nebenjobs gehabt. Davon haben wir uns auch unsere Urlaube finanziert.“

Mehrarbeit lohnt sich nicht mehr

Melanie Keusemann muss jetzt ohne Ehemann Marc ganz allein für ihre drei Kinder sorgen - die Witwenrente, oder genauer: „Hinterbliebenenrente“, soll den fehlenden Unterhalt finanziell eigentlich abfedern.

Melanie Keusemann, Erzieherin:
„Das Leben ist nicht mehr so, wie es vorher war. Die Leichtigkeit und das, was wir uns für unser Leben vorgestellt haben, wird auch nie wieder so schön werden. Das ist einfach so. Und auch die ganzen Sachen, die dann auf einen zukommen. Ich war dann wirklich auch sehr erschrocken, dass diese Witwenrente, von der ich gedacht habe, dass die uns hilft, immer noch daran gebunden ist, wie viel ich verdiene.“

Knapp 940 Euro Witwenrente stünden Melanie Keusemann zu. Doch sie bekommt circa ein Drittel, knapp 300 Euro abgezogen - weil sie zu viel verdient, also den sogenannten Freibetrag überschreitet.

Für Witwer und Witwen liegt die Hinzuverdienstgrenze aktuell bei 1038 Euro - mit jedem Kind steigt dieser Freibetrag um 220 Euro. Melanie Keusemann darf also nicht mehr als knapp 1700 Euro verdienen, ohne dass ihr die Witwenrente gekürzt wird.

Professorin Marlene Haupt von der Hochschule München kritisiert das System - Witwen und Witwern werde es durch die hohen Abzüge verleidet, mehr zu arbeiten.

Prof. Marlene Haupt, Professur für Sozialwirtschaft, Hochschule München
Prof. Marlene Haupt, Professur für Sozialwirtschaft, Hochschule München | Bild: SWR

Prof. Marlene Haupt, Professur für Sozialwirtschaft, Hochschule München:
„Sie arbeiten ja nicht nur, um Geld zu verdienen, sondern sie sind ja auch wieder Vorbild für die Kinder, das Arbeit sich lohnt. Und das wird ja auch so ein Stück weit mit signalisiert, dass man sagt, bleibt doch zuhause, oder arbeite eben nur in Teilzeit oder reduziere vielleicht sogar deine Stunden. Also wenn jetzt der Stundenlohn ansteigen würde, und solche Hinzuverdienstgrenzen eben nicht angepasst werden würden, würde das ja sogar den Anreiz haben, die Stundenzahl sogar noch zu reduzieren.“

1 Euro Verdienst = Kürzung der Witwenrente um 40 Cent

Denn Mehrarbeit bedeutet: von jedem Euro, den eine Witwe oder ein Witwer über den Freibetrag hinaus verdient, werden wiederum 40 Cent von der Witwenrente abgezogen.

Melanie Keusemann, Erzieherin:
„Ich arbeite jetzt 25 Stunden in der Kita als Erzieherin. Ich arbeite im öffentlichen Dienst. Wir haben gerade eine Tariferhöhung rausgehandelt. Die Tariferhöhung führt dazu, dass ich mehr Geld bekomme. Davon wird mir wieder mehr abgezogen. Im Endeffekt ist dann meine Konsequenz: Ich kürze die Stunden weiter, weil es einfach nicht ankommt.“

Und das, obwohl in ihrer Branche dringend Fachkräfte gesucht werden.

Der Fachkräftemangel, fehlende Erwerbsanreize, alles Themen im Wahlkampf und in den Koalitionsverhandlungen:

Klingbeil: „Das Wichtigste ist, dass sich das Arbeiten lohnt.“
Merz: „Wer arbeiten will und arbeiten kann, der bekommt dafür auch einen angemessenen Lohn.“
Dobrindt: „Arbeit muss ich wieder lohnen.“

Inga Krauss, Bürokauffrau
Inga Krauss, Bürokauffrau | Bild: SWR

Doch die Witwen und Witwer scheinen nicht miteinbezogen. Sie will das nicht länger hinnehmen: Inga Kraus ist selbst seit 8 Jahren Witwe, alleinerziehend und mit 48 Jahren im besten, erwerbsfähigen Alter. Eigentlich.

Inga Krauss, Bürokauffrau:
„Mich hat das so getroffen, dass ich trotz Mehrarbeit nicht entscheidend mehr Netto-Haushaltseinkommen erwirtschaften kann, weil die Witwenrente mir das alles zurecht kürzt. Und am Ende habe ich gedacht, dass ich nicht mal mehr meine Miete bezahlen kann, wenn die Kinder aus dem Haus sind, weil die Witwenrente dann noch früher gekürzt wird.“

800 Tausend Witwen und Witwer im erwerbsfähigen Alter betroffen

Mittlerweile hat Inga Krauss einen Ratgeber geschrieben und zahlreichen Betroffenen geholfen. Die „Hinzuverdienstgrenze“ ist in der Gruppe der Witwen und Witwer ein emotionales Thema:

Silke Dorn
Silke Dorn | Bild: SWR

Zoom-Call:
Silke Dorn: „Wir sind erwerbsfähige Witwen und Witwer, die die Möglichkeit super gerne in Anspruch nehmen würden, mehr zu leisten, mehr Geld zu verdienen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.“

Marie Träger
Marie Träger | Bild: SWR

Marie Träger: „Also ich bin auch noch selbständig, mein Einkommen schwankt von Jahr zu Jahr, ich krieg ein bisschen, oder bin dann auch mal so in Richtung Nullrentnerin unterwegs, also für mich ist die Witwenrente eher so unter ferner Liefen.“

Vera Brandt: „Alle anderen Renten sind so gestaltet, dass man ordentlich hinzuverdienen kann. Nur die Hinterbliebenenrente nicht.“

Hier sieht auch die Professorin für Sozialpolitik ein Missverhältnis:

Prof. Marlene Haupt, Professur für Sozialwirtschaft, Hochschule München:
„Wer das Renteneintrittsalter erreicht hat, hat auch mit sehr, sehr hohen hoher Wahrscheinlichkeit ja keine minderjährigen Kinder mehr, die sind aus dem Haus und der darf 2.000 Euro steuerfrei hinzuverdienen. Und für jemanden, in dem Fall dann 40 mit kleinen Kindern schneiden sie halt viel, viel früher ab, also bei 1.500 Euro.“

Laut der Deutschen Rentenversicherung sind in Deutschland 800tausend verwitwete Menschen im erwerbsfähigen Alter. 85 Prozent davon sind Frauen.

Hinzuverdienstgrenze führt zu Altersarmut

Neben all der Trauer und der Last als Alleinerziehende kämpft Witwe Inga Krauss seit Jahren für mehr Gerechtigkeit für diese Witwen - denn sie sieht das größte Problem erst noch auf sie zukommen:

Inga Krauss, Bürokauffrau
Inga Krauss, Bürokauffrau | Bild: SWR

Inga Krauss, Witwe:
„Die Hinzuverdienstgrenze ist der systembedingte Weg in die Altersarmut für junge Hinterbliebene. Wenn ich die nächsten 27 Jahre nur Teilzeit arbeite, weil sich Mehrarbeit für mich wirtschaftlich nicht rentiert, dann bin ich spätestens in der Altersrente auch in der Grundrente, oder jedenfalls steh ich schlecht da.“

Hinterbliebenenrente nicht für alle sinnvoll

Dass die Witwenrente in dieser Form ein veraltetes System sei, kritisiert auch Prof. Martin Werding. Er ist Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft und der Ansicht, die Witwenrente sei längst nicht mehr für alle sinnvoll:

Prof. Martin Werding, Professor für Sozialpolitik, Ruhr-Universität Bochum
Prof. Martin Werding, Professor für Sozialpolitik, Ruhr-Universität Bochum | Bild: SWR

Prof. Martin Werding, Professor für Sozialpolitik, Ruhr-Universität Bochum:
„Junge Menschen mit Kindern klar. Da braucht es diese Unterstützung, weil man eben nicht in vollem Umfang selbst für sich sorgen kann, solange die Kinder auch noch zu betreuen und zu erziehen sind. In der Situation dann vor allem auch noch mit einer niedrigen Einkommensgrenze operieren zu müssen, also wann immer man sich einen etwas besseren Lebensstandard schaffen will, verliert man Witwenrentenansprüche - darüber könnte man nachdenken. Aber in zwei Richtungen: wo braucht es die Witwenrente überhaupt und dort, wo es sie braucht - kann man da die Einkommensgrenze nicht auch dann heraufsetzen?“

Eine lebenslange Hinterbliebenenrente für erwerbsfähige Menschen ohne Kinder findet er aber verzichtbar:

Prof. Martin Werding, Professor für Sozialpolitik, Ruhr-Universität Bochum:
„Wir haben im geltenden Recht die Möglichkeit, das Partnerinnen, Frauen ab Alter 46 selbst ohne Kinder dauerhaft bis zu ihrem eigenen Tod die Witwenrente kriegen. Und man fragt sich eigentlich, warum? Eine Übergangszahlung für ein Jahr, zwei Jahre und dann eine Neuorientierung? Das wäre eigentlich jederzeit denkbar.“

Wie viele Witwen mit Kindern betroffen sind, diese Daten erhebt die Deutsche Rentenversicherung nicht.

Inga Krauss hat seit ihrer Verwitwung 2017 knapp 20 Petitionen zur Veränderung der Witwenrente eingereicht. Im neuen Koalitionsvertrag von CDU und SPD steht jetzt lediglich, man wolle die „Hinzuverdienstmöglichkeiten bei der Hinterbliebenenrente verbessern“.

Melanie Keusemann ist erst seit 6 Monaten Witwe - sie hat große Angst vor der Zukunft, weil es ihr nicht mehr möglich ist, mehr Geld für ihre Familie zu erwirtschaften.

Melanie Keusemann, Witwe
Melanie Keusemann, Witwe | Bild: SWR

Melanie Keusemann, Witwe:
Der Marc kommt nicht wieder, der ist gestorben und da können wir einfach nur mit zurechtkommen. Aber ich fände es halt fair, wenn wir zumindest für unser Leben noch weiter eine Chance hätten. Und wenn wir das, was er uns im Endeffekt hinterlässt mit seinem Renteneinkommen, auch irgendwo bei uns bleibt und wir davon auch einfach unser Leben leichter machen können. Das würde ich mir einfach wünschen.“