SENDETERMIN Di., 20.12.22 | 21:40 Uhr

Süchtig nach Krieg: Deutscher kämpft gegen die Ukraine

Seit mehreren Wochen kämpft der 31-jährige Deutsche Simon S. für die Einheiten des Tschetschenen-Führers Kadyrow gegen die Ukraine. Bereits 2014 reiste er in die Ostukraine, um an Kampfhandlungen in den von pro-russischen Separatisten besetzten Gebieten teilzunehmen. Seine wiederholte freiwillig Teilnahme am Krieg erklärt er mit den Worten: „Krieg macht süchtig“.

Deutscher kämpft gegen die Ukraine

Simon Schmidt:
"So sieht Krieg aus. Krieg ist was Schwieriges für Menschen die schwach im Inneren sind."

Der Mann in Kampfmontur ist Simon Schmidt, ein Deutscher. Seit zwei Monaten kämpft er in einem tschetschenischen Freiwilligenbataillon gegen die Ukraine. Er sei in einem Schützengraben, erzählt er. Alle ein, zwei Tage wechsele er die Stellung.

Simon Schmidt
Simon Schmidt | Bild: ARD/rbb-Film "Krieger made in Germany" (2015)

Geboren wurde Schmidt in der Sowjetunion. Als Kind zog er von Russland nach Deutschland. Mittlerweile lebt der 31-Jährige wieder in Russland. Dort wäre er ohnehin bald eingezogen worden, glaubt er. Anfang Dezember erzählt er mir im Chat, dass er lieber mit Freiwilligen kämpfe, statt mit Mobilisierten der russischen Armee

Simon Schmidt: "Das zieht rein. Weißt du, wie ich mein? Krieg zieht rein."

Wieso zieht Krieg ihn an, frage ich mich. Seit sieben Jahren bin ich mit Simon Schmidt in Kontakt. 2014 verließ er Deutschland und kämpfte schon einmal freiwillig in der Ukraine.

Schmidt kämpfte schon vor 8 Jahren für Russland

Damals hatten prorussische Separatisten Gebiete in der Region Donbass besetzt. Sie behaupten, sie würden die Interessen der russischsprachigen Bevölkerung beschützen. Es kommt zum Krieg in der Region. Einer der Kämpfer auf der prorussischen Seite ist Simon Schmidt.

Ich will wissen, warum jemand freiwillig in den Krieg zieht und begebe mich auf Spurensuche.

In Schmidts hessischem Heimatort Gelnhausen, geht das Leben währenddessen wie gewohnt weiter. 2003 zogen seine Eltern mit ihm aus Russland hierher. Nach der Schulausbildung arbeitete er bei einem Elektrobetrieb. Sein ehemaliger Arbeitgeber Heiko Lenz erinnert sich an ihn.

Heiko Lenz
Heiko Lenz | Bild: SWR

Heiko Lenz, ehemaliger Arbeitgeber:
"Er wollte nicht auffallen, der ist mitgeschwommen. So ein typischer Mitläufer. Das ist so der typische Kandidat, der auch in eine Sekte hätte gehen können."

Als die Firma 2012 Konkurs anmeldet, wird Schmidt entlassen. Sein damaliger Arbeitskollege und Freund, Matthias Stefko, hat wenig Verständnis für Schmidts Kriegsbeteiligung:

Matthias Stefko
Matthias Stefko | Bild: SWR

Matthias Stefko, Freund:
"Ich hab zu dem immer gesagt: Dir ist schon klar, wenn du da rüber gehst und so, dass du das hier alles wegschmeißt. Dass du nicht mehr hier rüberkommen kannst, weil wenn man da rüber geht und kämpft und jemanden tötet, dass man ein Terrorist ist."

Warnungen von Kollegen und Freunden bleiben ungehört

Schmidt reist trotz aller Warnungen in die besetzten Gebiete. Einer der Gründe, warum er herkam, sei die deutsche Berichterstattung, erzählt er. Diese hält er für russlandfeindlich. Er wolle jetzt sehen, was hier wirklich los sei, sagt er. Doch je länger Schmidt bleibt, umso tiefer wird er in den Krieg hineingezogen.

Simon Schmidt:
"Wenn ich mir einen Kopf darüber mache, wen und wie viele ich umgelegt habe, dann wär ich schon längst in der Klapse. Man darf sich nicht da so sehr reinziehen. Weil, wenn man sich reinzieht, ist man ganz schnell am Ende. Psychisch."

Für Schmidt wird Krieg zum Alltag.

Simon Schmidt (Video):
"Guten Morgen, meine Freunde. Auf geht’s zum Kampf." 

Bis zu einem traumatischen Ereignis, bei dem er mehrere Kameraden verloren habe und selbst nur knapp dem Tod entgangen sein soll, wie er sagt. 

Simon Schmidt lebt jetzt in Sibirien. Die Ukraine hat er inzwischen verlassen. Nach Deutschland wolle er nicht zurück, sagt er. Dort fahnden die Behörden mittlerweile nach ihm - wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. In Russland hingegen bekommt er eine Stelle bei einer Sicherheitsfirma und beginnt ein scheinbar normales Leben.

Sogwirkung nach Kriegsausbruch im Februar

24. Februar 2022. In der Nacht überfällt Russland die Ukraine. Es beginnt ein erbitterter Angriffskrieg. Tausende Menschen fliehen. Zivilisten sterben. Krankenhäuser werden bombardiert. Bilder von Massengräbern und Kriegsverbrechen verbreiten sich.

Ich habe wieder Kontakt zu Simon Schmidt. Er selbst wolle nicht am Krieg teilnehmen, da er jetzt Frau und Kind habe, sagt er. Doch seine Familie rückt immer mehr in den Hintergrund. Der Krieg hat eine Sogwirkung auf Schmidt. Er kann nicht aufhören, Kriegsinhalte zu konsumieren und verfällt der russischen Propaganda.

 Simon Schmidt (Sprachnachrichten, Zusammenschnitt):
"Russland hat niemals einen Krieg begonnen, Russland hat immer Kriege beendet."

"Was ich sehe, das Russland sich seit dreißig Jahren verteidigt. Die werden ja nur angegriffen."

"Alle Mainstreammedien arbeiten für die Regierung."

"Die haben keine Beweise, das ist Lügen, Lügen! Und ich sag, dass USA und der Westen ist jetzt zur Zeit das Lügenimperium."

 Online folgt er Kanälen, die den Untergang von Deutschland und Europa prophezeien. Inhalte, die faktenbasiert erscheinen sollen, letztlich aber russischer Propaganda gleichen - nur in deutscher Sprache. Kanäle, die immer mehr Anklang finden.

Schmidt spricht über seine "Sucht nach Krieg"

Über das Netzwerk Telegram ruft Tschetschenführer Kadyrow zum Krieg auf. Seine Einheit gilt als besonders brutal. Ihr Spitzname: „Kadyrows Bluthunde“. Auch Simon Schmidt folgt seinem Ruf. Anfang Oktober schließt er sich der tschetschenischen Einheit an. Bei seinem Antritt wird er auf einen heldenhaften Krieg eingeschworen. Kurz vor seinem Abflug ins Kriegsgebiet meldet sich Schmidt noch einmal bei mir.

Simon Schmidt:
"Wir sind ja nur ganz normale Kämpfer. Wir sind, sagen wir mal so, wir sind Kanonenfutter. Das ist uns allen klar. Und das wird auch gesagt, dass wir alle Kanonenfutter sind."

Fünfzig, fünfzig sei die Überlebenschance, glaubt er. Warum er dennoch gehe, will ich wissen.

Simon Schmidt:
"Das ist halt Krieg. Dass Menschen da sterben, verletzt, verwundet werden. Beine, Hände verlieren. Verstehst du? Ist halt... Krieg zieht an. Verstehst du? Also man, ich sozusagen, so grob kann man sogar sagen, dass man süchtig oder abhängig davon wird. Verstehst du?" 

Brenda Weinel, Autorin:
"Was ist diese Sucht?"

Simon Schmidt:
"Es ist schwer, davon wegzukommen."

Brenda Weinel, Autorin:
"Sucht wonach?"

Simon Schmidt:
"Nach dem Adrenalin. Die Kriegszustände."

Kriegszustände, die nach UN-Angaben fast 7.000 Zivilisten das Leben gekostet haben. Und doch sind Männer wie Schmidt weiterhin bereit zu töten. Bereit zu sterben für Kriegstreiber, die ihre Unterstützer in sozialen Netzwerken rekrutieren und sie bis zum Schlachtfeld fliegen. Ob Schmidt noch am Leben ist, ist ungewiss.

Stand: 20.12.2022, 21.19 Uhr

Autor: Brenda Weinel
Kamera: Till Talmann, Brenda Weinel
Schnitt: Alex Jung, Brenda Weinel
Sprecher: Manuela Dursun

Stand: 13.02.2024 22:37 Uhr

Sendetermin

Di., 20.12.22 | 21:40 Uhr