Di., 13.09.22 | 21:45 Uhr
Abzocke per Telefon: Energieunternehmen nutzen Unsicherheit bei Strom und Gas aus
Verbraucherzentralen und kommunale Energieversorger warnen vor einer Masche, die zurzeit Tausende in die Falle lockt. Das Ziel der Abzocker: an Zählerstände und Zählernummern zu kommen.
Ein Anruf mit Folgen.
Ludwig Krompaß Betroffener (am Telefon):
"Grüß Gott, ja. Die haben gesagt, sie sind mein Energieanbieter."
Doch der war es offenbar nicht. Das merkt Ludwig Krompaß, als er die Kündigungsbestätigung seines Stromvertrags bekommt.
Ludwig Krompaß, Betroffener:
"Da waren wir ganz baff. Wir wollten nicht kündigen, weil wir haben das gar nicht im Sinn gehabt. Da habe ich da angerufen und dann haben die gesagt: Ja, von dieser Firma ist der Vertrag beendet worden, also gekündigt worden."
Fremde Firmen kündigen Stromverträge
Von einer fremden Firma gekündigt? Auch Cynthia Zettl erhielt so einen Anruf. Bei ihr habe sich der Anrufer als Partnerunternehmen ihrer Stadtwerke ausgegeben, erzählt sie.
Cynthia Zettl, Betroffene:
"Ich war skeptisch. Deswegen habe ich dann nachgehakt. Wie - im Auftrag der Stadtwerke? Ich dachte mir dann: Gut, woher wissen die sonst, dass ich bei den Stadtwerken bin?"
Sie fasst Vertrauen - und gibt der Dame ihre Zählernummer durch. Ein Fehler.
Cynthia Zettl, Betroffene:
"Dann habe ich eine SMS bekommen, während ich noch im Gespräch war mit ihr. Da sollte ich dann nur mit meinem Namen bestätigen. Ich habe mir soweit nichts dabei gedacht, dachte: okay, günstiger, Geld sparen."
Noch während des Telefonats sollte sie die SMS bestätigen. Dass sie hiermit direkt einen Vertrag abschließt, ist ihr zu diesem Zeitpunkt nicht klar. Die Anruferin habe den Eindruck erweckt, es handele sich lediglich um ein Angebot, sagt Zettl.
Das mit dem Vertrag wird ihr erst bewusst, als sie jede Menge Post bekommt - von einem neuen Stromanbieter. Mit dreimal so hohen Preisen. Ihr Widerruf läuft erst einmal ins Leere. Woher die Anruferin ihre Daten hatte, weiß sie bis heute nicht.
Bundesweite Problematik
Ungewollte Energieverträge, um ein Vielfaches teurer. Wir finden heraus: Solche Anrufe finden bundesweit aktuell verstärkt statt. 10.000 Beschwerden seien allein bis August dieses Jahres bei der Bundesnetzagentur eigegangen. Vielerorts warnen Stadtwerke vor dieser Masche. Zahlreiche Betroffene berichten uns von Täuschung und von Verträgen, die sie nie geschlossen haben.
Betroffene:
"Als sie dann anfingen, uns einen neuen Vertrag aufzuschwatzen, hat mein Mann das Gespräch sofort unterbrochen und gesagt, dass er am Telefon nichts abschließen würde und jetzt auflegt. Das haben wir dann auch gemacht. Und daraufhin haben wir Post von unserem Stromlieferanten bekommen, dass […] uns bei denen abgemeldet hat."
Betroffene:
"Gerade in der jetzigen schweren Wirtschaftslage, die wir haben, ja. Und die wissen genau, jeder versucht zu sparen, wo er kann. Und das wird hier schamlos ausgenutzt."
Er spricht von systematischer Abzocke: Khaled Touzri. Der 40-Jährige habe früher selbst für ein Energieunternehmen gearbeitet, das mit solchen Maschen Verträge geschlossen habe, sagt er. Vor knapp zwei Jahren hat er die Seiten gewechselt, hilft jetzt geprellten Kunden gegen ein Entgelt aus den Verträgen. Tausende Fälle liegen auf seinem Schreibtisch.
Khaled Touzri:
"Das sind alles untergeschobene Verträge, alle übers Telefon abgeschlossen. Und das ist noch nicht mal alles."
Jeden Tag kämen viele neue Fälle rein, erzählt er. So auch dieser aus München:
Khaled Touzri (am Telefon):
"Haben die gesagt, dass sie Vertragspartner von Stadtwerke München sind?" – "Krass."
Touzri geht auch gegen die Unternehmen vor, sammelt Belege, stellt Strafanzeigen. Denn dahinter stecke eine ganze Industrie, sagt er. Doch wie können Firmen die Kunden einfach so bei ihrem Energieanbieter abmelden?
Entscheidend seien Name, Adresse und Zählernummer, sagt er. An die probierten die Anbieter heranzukommen - egal wie. Damit könnten sie bestehende Verträge kündigen und eigene Verträge unterschieben, sagt Touzri.
Er meint, die meisten Geschäfte liefen übers Telefon. Dabei ist Telefonwerbung, sogenannte "Cold Calls", ohne ausdrückliche Genehmigung des Kunden, seit Jahren verboten.
Anrufer lügen dreist am Telefon
Weil trotzdem häufig Verträge über das Telefon abgeschlossen wurden, hat der Gesetzgeber vor einem Jahr nachgebessert. Seitdem dürfen Energielieferverträge am Telefon nur noch in Textform abgeschlossen werden. Damit diese gültig sind reichen jedoch zur Bestätigung der Name und ein einfaches „Ja“ - auch per SMS.
Ein halbstündiger Mitschnitt, der uns zugespielt wird, jedoch zeigt, wie schamlos die Anrufer diese Regelung ausnutzen und dem Kunden Glauben machen, er stimme lediglich der Zusendung eines Angebots zu.
Mitschnitt aus Telefongespräch:
"Das Ja-Wort in der SMS das ist ja dafür da, damit Sie die Unterlagen erstmal bekommen. Das Ja- Wort ist dafür da, damit Sie die Preise, die Sie in der SMS gelesen haben, einmal so bekommen und nicht anders. Also das ist für Ihre eigene Sicherheit gedacht."
Da es trotz des neuen Gesetzes möglich ist, Verbraucher am Telefon zu überrumpeln, fordert Felix Methmann von der Bundesverbraucherzentrale, dass hier noch einmal nachgebessert wird.
Felix Methmann, Verbraucherzentrale Bundesverband:
"Wichtig ist, dass jetzt da nachgeschärft wird, wo eben die Probleme bestehen. Es darf nicht möglich sein, Verträge per SMS zu schließen."
Wir fragen bei den Ministerien nach. Zuständig: das Justizministerium - vor einem Jahr noch für Verbraucherschutz verantwortlich. Hier wurde das Gesetz mit erarbeitet. Auf unsere Fragen haben wir bis Redaktionsschluss keine Antwort erhalten.
Unsere Recherche zeigt auch, wie dreist die Abzocker vorgehen. Renate Schweitzer-Wallisch kritisiert uns gegenüber, dass jemand sogar ihre Unterschrift gefälscht hat, um ihr einen Stromvertrag unterzuschieben.
Renate Schweitzer-Wallisch, Betroffene:
"Da braucht man keine Unterschriften-Analyse zu haben. Das ist klar, dass das nicht meine ist. Ich unterschreibe ja mit Doppelnamen."
Obwohl es sich nachweislich um eine Fälschung handelt, will der Anbieter noch Geld von ihr. Eine offene Forderung - für einen Vertrag, den sie nie geschlossen hat.
Dubiose Geschäftspraktiken, möglicherweise rechtswidrige Vertragsabschlüsse. Die meisten Betroffenen in unserer Recherche berichten über ein und dieselbe Unternehmensgruppe. Unsere Fragen lässt sie bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Verbraucherzentrale fordert stärkeres Engagement der Bundesnetzagentur
Felix Methmann, Verbraucherzentrale Bundesverband:
"Es sind immer wieder die gleichen. Da müsste die Bundesnetzagentur, als Aufsichtsbehörde, viel stärker hinschauen und auch viel schneller reagieren. Da darf nicht erst lange gewartet werden bis 100.000 Verbraucher betroffen sind."
Die Bundesnetzagentur verteidigt sich. Sie sei an gesetzliche Rahmenbedingungen gebunden. Aber auch sie wollte schärfer gegen die Unternehmen vorgehen. 2019 hatte sie vorgeschlagen, die Bußgelder zu erhöhen.
Fiete Wulff, Pressesprecher Bundesnetzagentur:
"Im Gesetz ist hinterher etwas anderes verankert worden. Wir arbeiten mit den rechtlichen Möglichkeiten, die wir zur Verfügung haben. Das tun wir. Und alles Weitere habe ich heute an dieser Stelle nicht zu kommentieren."
Auch Einzelfälle könnten sie nicht klären.
Ludwig Krompaß hat nie etwas bestätigt, trotzdem einen neuen Stromvertrag bekommen. Den ist er zwar wieder los, weil er nie zahlte - ob er aber zu seinem alten Tarif zurückdarf, fraglich. Er findet, es müsse mehr getan werden.
Ludwig Krompaß, Betroffener:
"Aber das müsste von der Regierung wesentlich nachgebessert werden. Da müsste schon wirklich was gemacht werden - und zwar gewaltig."
Stand: 19.9.2022, 12.51 Uhr
Stand: 08.02.2023 15:27 Uhr