Di., 25.10.22 | 21:45 Uhr
Trinkwasser, Kommunikation und Strom: Mangelnde Notfallpläne der Städte und Landkreise
Kein Strom, kein Wasser, keine Heizung - Recherchen von REPORT MAINZ zeigen: Viele Kommunen haben für diese Ausnahmesituation keinen Notfallplan. Experten mahnen: Bei komplexen Krisen stünden wir "ziemlich hilflos" dar.
Stromausfall. Plötzlich geht in Berlin-Köpenick nichts mehr: kein Licht, keine Heizung, kein Telefon, Geschäfte - geschlossen. Zweieinhalb Jahre ist das jetzt her. Petra Klähne erinnert sich noch gut: Sie leitet einen mobilen Pflegedienst. Hat damals verzweifelt versucht herauszufinden, ob es ihren Patienten gut geht.
Petra Klähne, Pflegedienstleiterin:
"Wir konnten die nicht mehr per Telefon erreichen, wir konnten sie nicht per Handy erreichen, die Klingeln funktionierten nicht. Man fühlte sich dann zum Teil auch hilflos, weil man eben nicht wusste, geht das alles gut oder nicht. Es war einfach wirklich gespenstisch."
Tausende Haushalte waren über 30 Stunden ohne Strom. Der Grund: Bei Bauarbeiten wurden zwei zentrale Stromkabel durchtrennt. Eine lebensbedrohliche Situation - auch für die Patienten von Helena Fröhlich. In der Intensivpflege-WG hängt das Leben vieler von Maschinen ab:
Helena Fröhlich, Intensivpflege-WG Köpenick:
"Das piepte überall. Man wusste überhaupt nicht, wo man zuerst anfangen soll. Und dann haben wir gemerkt, dass unsere Sauerstoffflaschen schon zur Neige gehen. Ohne fremde Hilfe werden diese Menschen einfach sterben."
Nicht nur diese WG, auch die Intensivstation eines örtlichen Krankenhauses musste evakuiert werden, weil das Notstromaggregat nicht zuverlässig funktionierte. Eine bedrohliche Situation - und das, obwohl nur ein kleiner Teil Berlins betroffen war.
Wahrscheinlichkeit für Stromausfälle wächst
Doch was würde passieren, wenn in großen Teilen des Landes der Strom länger ausfällt? Damit hat sich eine Gruppe Wissenschaftler bereits 2011 im Auftrag des Bundestages beschäftigt. Das Ergebnis ihrer Analyse - besorgniserregend: Ein langanhaltender Stromausfall käme einer "nationalen Katastrophe gleich". "Ein Kollaps der gesamten Gesellschaft wäre kaum zu verhindern."
Der Bericht sei heute aktueller denn je, erklärt Prof. Bradke, einer der Autoren. Für ihn ist die Wahrscheinlichkeit eines länger anhaltenden Stromausfalls gestiegen, vor allem wegen der aktuellen Sabotage-Anschläge auf die Bahn und die Gas-Pipelines in der Ostsee:
Prof. Harald Bradke, Fraunhofer-Institut Karlsruhe:
"Der Handlungsbedarf ist heute sicherlich deutlich größer geworden als früher. Das Risiko besteht, dass einfach Sabotage betrieben wird. Wenn eine Gasleitung in 70 Meter Tiefe gesprengt werden kann, dann ist es natürlich ein Leichtes für solche Leute, auch bei uns zum Beispiel Hochspannungsmasten zu sprengen. Und das ist das Risiko, auf das wir uns vorbereiten müssen."
Wer schützt die Bürger im Katastrophenfall?
Doch wer im Staat ist für die Katastrophenschutz-Vorsorge, wie zum Beispiel beim Stromausfall in Berlin, verantwortlich?
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ist nur im Falle eines Kriegs für den Zivilschutz zuständig. Für den Katastrophenschutz in Friedenszeiten sind die Bundesländer gefragt. Sie haben die Verantwortung für den Schutz der Bürger vor Ort an die Gemeinden, Kreise und kreisfreien Städte übertragen. Ihnen kommt damit eine entscheidende Rolle zu. Sie müssen für den Notfall vorsorgen.
Üben für den Ernstfall
Wir sind in Mörfelden-Walldorf bei Frankfurt. Hier wird heute ein großflächiger Stromausfall geprobt.
Statist:
"Hallo, guten Tag. Ein kleines Problem: Meine 6-jährige Tochter hat massive Unterleibsschmerzen. Können wir da irgendwas machen? Ich bin ein bisschen in Panik. Ich wollte anrufen, aber mein Handy geht nicht, also ich komm‘ da nicht raus übers Mobilfunknetz."
Annette Marx, Stadt Mörfelden-Walldorf:
"Wenn Stromausfall ist, fallen auch alle Netze aus. Dann können Sie nicht telefonieren. Mobil können Sie nicht telefonieren, auch mit dem normalen Festnetz können Sie nicht telefonieren."
Alarm an einem KAT-Leuchtturm - KAT steht für Katastrophe. So heißen Anlaufstellen für Bürger im Krisenfall. Wenn Telefone nicht mehr gehen, werden hier Notfälle aufgenommen und Boten übergeben, die sie zur Einsatzzentrale bringen. Von hier aus werden Feuerwehr und Rettungskräfte per Funk alarmiert. Ob das gut funktioniert, testen Stadt und Landkreis gemeinsam in dieser Übung. Sie wollen wissen, ob ihr Stromausfall-Konzept noch Lücken hat.
Andreas Möstl, Katastrophenschutz Kreis Groß-Gerau:
"Wir haben auch schon immer für uns, für den Kreis Groß-Gerau, als Referenzszenario den Stromausfall als größten anzunehmenden Unfall vorgesehen.
Beim Stromausfall funktionieren alle Systeme nicht mehr."
In einem Waldstück am Stadtrand wird ein Brunnen für die Trinkwassernotversorgung angezapft. Denn ohne Strom laufen auch die Pumpen der Wasserwerke nicht mehr.
Andreas Reitz, Katastrophenschutz Kreis Groß-Gerau:
"Sie hätten kein Wasser zum Duschen, kein Trinkwasser mehr aus der Trinkwasserleitung. Die Löschversorgung würde zusammenbrechen. Das sind Szenarien, die vorstellbar sind."
Das Trinkwasser aus dem Brunnen wird dann an die Bevölkerung verteilt - doch die Ausgabe reicht bei Weitem nicht für alle. Deshalb fordern sie hier die Bürger auf, selbst einen Wasservorrat anzulegen.
Am Ende des Tages im Rathaus. Hier fassen die Verantwortlichen die Erkenntnisse der Übung zusammen. Sie ziehen ein überwiegend positives Fazit.
Thomas Winkler, B'90/Die Grünen, Bürgermeister Mörfelden-Walldorf:
"Die technische Seite, die hat gut geklappt. Da gab es keine, keine großen Probleme. Aber das, was notwendig ist, ist, die Bevölkerung mitzunehmen in so einem Fall, in einem Krisenfall, wenn der Strom wirklich langfristig ausfällt, wenn die Wasserversorgung damit still liegt, dann ist es notwendig, die Bevölkerung viel stärker einzubinden, zu unterstützen."
In Mörfelden-Walldorf weiß man jetzt, wo die Schwachpunkte liegen. Und sie können nachgebessert werden.
Umfrage: Gibt es Einsatzpläne für Stromausfälle?
Doch sind alle Gemeinden und Städte so gut vorbereitet? Um das herauszufinden, machen wir eine Umfrage von Anfang September bis Anfang Oktober unter allen rund 400 Kreisen und kreisfreien Städten und den Bezirken in Berlin. Auf die Frage "Gibt es in Ihrer Verwaltung einen Einsatzplan Stromausfall, auf den im Notfall alle Beteiligten unmittelbar zugreifen können?", antworten 108 Landkreise und Städte mit ja.
Doch 101 Kommunen antworten auf diese Frage mit nein - also 50 Prozent, derjenigen, die uns geantwortet haben. 78 erklärten, dass es bei ihnen keine Notwasserbrunnen gibt. 67 sagten, dass bisher keine KAT-Leuchttürme, also Anlaufstellen für Bürger im Katastrophenfall, eingerichtet wurden. Dass sie keinen Einsatzplan Stromausfall haben, erklären zum Beispiel Städte wie Braunschweig und Ludwigshafen. Aber auch Landkreise, wie der Kreis Wittenberg und Landshut. Da die Hälfte der Kommunen nicht auf die Notfall-Fragen geantwortet hat, könnten es sogar noch mehr Landkreise und Städte sein.
Katastrophenschutz ein "Flickenteppich"
Der Sozialwissenschaftler und Katastrophenforscher Martin Voss kritisiert, dass der Katastrophenschutz in Deutschland ein Flickenteppich sei:
Prof. Martin Voss, Katastrophenforscher FU Berlin:
"In der Bilanz ist das problematisch, und man muss nüchtern sagen, dass wir deshalb bei komplexen Krisen, komplexen Katastrophen, dann ziemlich hilflos dastehen."
Wie ist das möglich? Kontrolliert denn niemand, wie gut der Katastrophenschutz in Kommunen funktioniert?
Das wollen wir von Joachim Herrmann wissen. Er ist aktuell der Vorsitzende der Innenministerkonferenz:
Joachim Herrmann, CSU, Innenminister Bayern:
"Für die meisten Dinge gibt es keine klaren gesetzlichen Vorgaben. Und insofern: Es gibt Empfehlungen und es ist in der Verantwortung der einzelnen Kommunen, welchen Empfehlungen sie folgen will und welchen eher nicht."
Monika Anthes, Autorin:
"Also ob es in meiner Kommune einen Katastrophenschutz für den Stromausfall gibt, ist Glückssache - ob mein Bürgermeister das machen möchte oder auch nicht?"
Joachim Herrmann, CSU, Innenminister Bayern:
"Es liegt in der Lageeinschätzung vor Ort. Es kann ja sein, dass der Bürgermeister davon überzeugt ist, bei ihm fällt der Strom nicht aus. Aber ja, für viele Dinge hat der Bürgermeister, hat der Gemeinderat, der Stadtrat, eine eigene Verantwortung."
Masterplan für zivilen Katastrophenschutz
So kann das nicht bleiben, sagt Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund, und fordert einen Masterplan zivilen Katastrophenschutz:
Gerd Landsberg, Deutscher Städte- und Gemeindebund:
"Wir brauchen einheitliche Konzepte, egal ob kleine oder große Stadt, ob kleines oder großes Bundesland. Das muss organisiert werden. Und wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen überall einigermaßen geschützt sind. Und das darf nicht davon abhängig sein, ob nun gerade dieser Bürgermeister oder diese Bürgermeisterin das zu ihrem Herzensthema macht."
Wir sind zurück in Berlin-Köpenick. Bürgermeister Oliver Igel erzählt uns, dass man sich hier mittlerweile besser auf einen Stromausfall vorbereitet habe. Dieser Container wurde aufgestellt. Das ist der neue KAT-Leuchtturm für den Bezirk. Darin: jede Menge Technik und Notstrom für Bürger und Verwaltung.
Oliver Igel, SPD, Bürgermeister Berlin-Köpenick:
"Der Leuchtturm ist sowohl ein Anlaufpunkt für die Bürgerinnen und Bürger. Sie können Informationen bekommen, sie können Anliegen auch anbringen, wie eben in dieser Situation geholfen werden kann. Und ganz wichtig: die Verwaltung, der Katastrophenschutz-Stab. Der tagt dann an dieser Stelle und kann eben auch weiterarbeiten und kann auch Maßnahmen ergreifen."
Hier in Köpenick hat man aus der Erfahrung gelernt. Doch unsere Recherchen zeigen, dass es viele Städte und Gemeinden gibt, die keinen Plan für einen Stromausfall haben. Auch sie müssen vorsorgen, denn Katastrophenschutz darf kein Glücksspiel sein.
Stand: 26.10.2022, 15.49 Uhr
Stand: 08.02.2023 15:26 Uhr