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Schlachthofskandal: Veterinäre schauen bei Tierschutzverstößen weg

Undercover-Aufnahmen zeigen: Viele Rinder werden im Regionalschlachthof Kühnle in Backnang bei Stuttgart fehlerhaft betäubt. Sie erleben den Tötungsvorgang bei Bewusstsein mit. Die Folge: ein minutenlanger Sterbeprozess. Tierschutzexperten, wie Dr. Kai Braunmiller von der Bundesarbeitsgemeinschaft Tierschutz, halten die Vorgänge für Tierquälerei, die einen Straftatbestand erfüllen.

Veterinäre schauen bei Tierschutzverstößen weg

Seit wenigen Tagen ist der Regionalschlachthof Kühnle, nördlich von Stuttgart, geschlossen. Das Unternehmen hat, nachdem es mit REPORT-Recherchen konfrontiert wurde, von sich aus seinen Schlachtbetrieb eingestellt. Ein überraschender Vorgang, hat doch die Firma stets darauf hingewiesen, dass man hochwertig arbeite und vor allem für eine "kompromisslose Einhaltung der Hygiene- und Tierschutzbestimmungen" stehe.

Zugespielte Aufnahmen offenbaren Tierquälereien

Was ist passiert? Es sind diese Aufnahmen, entstanden von Mai bis Juli, die REPORT MAINZ zugespielt wurden, und die ein gravierendes Ausmaß an Tierquälereien in einem Regionalschlachthof offenbaren. Rinder zeigen lange nach dem Betäubungsschuss noch Abwehrbewegungen. Der Entblutungsschnitt, der zu einem schnellen Tod führen soll, wird so gesetzt, dass es Minuten dauert, ehe Tiere tot sind.

Von ihm haben wir die Aufnahmen bekommen, Friedrich Mülln von der Tierrechtsgruppe SOKO Tierschutz. An acht unterschiedlichen Schlachttagen, so erzählt er, hätten versteckte Kameras das Geschehen aufgezeichnet.

Friedrich Mülln
Friedrich Mülln | Bild: SWR

Friedrich Mülln, SOKO Tierschutz:
"Auf dem Material sieht man Fehlbetäubungen, es gibt wieder brutale Gewalt, technisches Versagen, inkompetente Mitarbeiter, und das alles mit bester Überwachung des Amtes, sogar mit den extra geforderten Videokameras dafür."

Wir bitten den Verbandsvorsitzenden der Schlachthofveterinäre, Kai Braunmiller, um eine gutachterliche Stellungnahme. Seine Einschätzung:

Kai Braunmiller, Bundesarbeitsgemeinschaft Fleischhygiene und Tierschutz:
"Das ist das Zufügen von länger anhaltenden, erheblichen Schmerzen und Leiden, die unnötig sind. Das ist für mich ein Straftatbestand, weil keiner auch hier ein Interesse zeigt, die Reflexe zu kontrollieren."

Edgar Verheyen, Autor:
"Was muss das in der Konsequenz bedeuten?"

Kai Braunmiller
Kai Braunmiller | Bild: SWR

Kai Braunmiller, Bundesarbeitsgemeinschaft Fleischhygiene und Tierschutz:
"Da muss der Betrieb auf jeden Fall vorübergehend geschlossen werden und darf dann nur wieder in Betrieb gehen, wenn nachgewiesen wurde, dass man jetzt die Rechtsvorgaben so umsetzt, wie das zwingend ist."

Der Schlachthof zieht Konsequenzen und wird vorerst geschlossen

Am Dienstag vergangener Woche konfrontieren wir den Betrieb und seine Anwälte mit den Bildern. Ein Interview war zuvor abgelehnt worden. Wenige Tage später erhalten wir diese Pressemitteilung:

Metzgerei Kühnle, Backnang:
"Nach Ansicht des Videos haben wir uns noch am selben Tag dazu entschlossen, die Schlachtung in unserem Betrieb unverzüglich auszusetzen und zur Aufklärung des Sachverhaltes einen unabhängigen Gutachter hinzuzuziehen. Auf den Aufnahmen zu sehende zwei Mitarbeiter haben wir bis zur Aufklärung der Vorwürfe unter Fortzahlung der Bezüge mit sofortiger Wirkung freigestellt."

Das Unternehmen kündigt zudem an, seine Mitarbeiter intensiver zu schulen.

Weitere Tierquälerei mit elektrischem Viehtreiber unter Mitwirkung eines amtlichen Veterinärs

Doch der Vorgang wirft weitere Fragen auf, denn das Bildmaterial zeigt auch den Zutrieb der Rinder in die Betäubungsfalle. Ein Mitarbeiter treibt die Tiere mit einem Elektrotreiber vorwärts, nach Ansicht des Experten unverhältnismäßig und rechtswidrig.

Es ist vorgeschrieben, dass Schlachtungen vom Veterinäramt überwacht werden. Tatsächlich ist ein Tierarzt dabei. Doch er kontrolliert nicht nur, er unterstützt die Schlachthofmitarbeiter sogar, indem er die Rinder ebenfalls mit dem Elektrotreiber antreibt.

Kai Braunmiller, Bundesarbeitsgemeinschaft Fleischhygiene und Tierschutz:
"Das darf so nicht passieren und muss eigentlich von Seiten des Veterinäramtes auch Konsequenzen haben."

Edgar Verheyen, Autor:
"Welche Konsequenzen könnten das sein?"

Kai Braunmiller, Bundesarbeitsgemeinschaft Fleischhygiene und Tierschutz:
"Also so einen Mitarbeiter könnte ich bei mir nicht weiter beschäftigen."

Zuständig für die Überwachung des Schlachthofs ist das Veterinäramt im Rems-Murr-Kreis, der Behörde, die den amtlichen Veterinär mit der Kontrolle des Betriebs beauftragt hatte.

Veterinäramt räumt Rechtsverstöße ein

Was sagt der Leiter des Amtes zu dieser Szene?

Edgar Verheyen, Autor:
"Ich möchte jetzt gerade mal auf das Video kommen. Das ist der amtliche Veterinär und er setzt diese Elektrotreiber selber ein."

Thomas Pfisterer, Leiter Veterinäramt Rems-Murr-Kreis:
"Ja, das ist nicht zulässig."

Edgar Verheyen, Autor:
"Sechzehnmal macht er das. Wir haben es gezählt."

Thomas Pfisterer, Leiter Veterinäramt Rems-Murr-Kreis:
"Wir kennen das Video seit dieser Woche."

Edgar Verheyen, Autor:
"Da wird der amtliche Veterinär zum Teil des Betriebs. Was sagen Sie dazu?"

Thomas Pfisterer, Leiter Veterinäramt Rems-Murr-Kreis:
"Das ist ein Mitarbeiter und wenn der Mitarbeiter Fehler begeht, werden wir das mit dem Mitarbeiter besprechen und werden natürlich auch prüfen, ob Maßnahmen einzuleiten sind."

Die Behörde räumt also Rechtsverstöße ein. Zum Verhalten des amtlichen Veterinärs werden weitere Auskünfte abgelehnt. Der Fall wurde inzwischen bei der Staatsanwaltschaft angezeigt.

Metzgerei Kühnle stand bereits unter Beobachtung

Dann erklärt der Veterinäramtschef, dass seine Behörde die Metzgerei bereits seit zwei Jahren unter Beobachtung habe. Ein Verwaltungsverfahren mit Zwangsmaßnahmen sei bereits eingeleitet worden. Nur, warum ist nicht mehr geschehen?

Thomas Pfisterer
Thomas Pfisterer | Bild: SWR

Thomas Pfisterer, Leiter Veterinäramt Rems-Murr-Kreis:
"Im Bereich der Rinderschlachtung waren wir zum jetzigen Zeitpunkt bei dem Ergebnis, dass eine Betriebsschließung noch nicht erforderlich ist, aber eine weitere Stufe hätte dazu hingeführt, dass wir eine Betriebsschließung bei der Rinderschlachtung hätten androhen müssen."

Edgar Verheyen, Autor:
"Das heißt die Schließung dieses Bereichs im Betrieb wäre bald erfolgt?"

Thomas Pfisterer, Leiter Veterinäramt Rems-Murr-Kreis:
"Ja."

Edgar Verheyen, Autor:
"In welchem zeitlichen Rahmen?"

Thomas Pfisterer, Leiter Veterinäramt Rems-Murr-Kreis:
"Zwei Wochen, vier Wochen."

Doch ob der Schlachthof Kühnle wirklich geschlossen worden wäre? Fakt ist, nicht das Amt hat den Betrieb geschlossen, die REPORT-Recherchen veranlassten das Unternehmen zu diesem Schritt.

Es ist mittlerweile der vierte Schlachthofskandal allein in Baden-Württemberg in nur vier Jahren, 16 waren es bundesweit, die allesamt von Tierschützern aufgedeckt wurden und zur Schließung führten. Und häufig sind amtliche Veterinäre nicht eingeschritten. Nachfragen daher beim Bundeslandwirtschaftsministerium.

Zunächst verweist man auf die Zuständigkeit der Länder in dieser Frage. Zudem kündigt das Ministerium an, die Videoüberwachungen in den Schlachthöfen intensivieren zu wollen. Auch die Betäubungsgeräte sollen häufiger kontrolliert werden.

Fazit: Nach all den Skandalen wird es höchste Zeit, dass die amtliche Überwachung von Schlachthöfen verstärkt wird und konsequent hier begangene Tierrechtsverstöße auch geahndet werden. Oftmals handelt es sich um Straftaten und die sollten auch so behandelt werden.

Stand: 24.8.2022, 11.58 Uhr

Autor: Edgar Verheyen
Kamera: Andreas Schlosser
Schnitt: Susanna Tomas

Stand: 08.02.2023 15:26 Uhr

Sendetermin

Di., 23.08.22 | 21:45 Uhr