Di., 23.08.22 | 21:45 Uhr
Kriegsvideos erreichen Kinderzimmer: Ukrainekrieg auf TikTok
Mit dem Ukrainekrieg ist TikTok auch Plattform für Propaganda geworden. Raketenangriffe und Leichenbilder sind auch für Minderjährige zugänglich. Sie werden nach VOLLBILD-Recherchen nicht immer gelöscht.
Für solche lustigen Videos ist TikTok bekannt und bei Eltern wie Kindern beliebt. Auf der Homepage verspricht TikTok seinen mehr als einer Milliarde Nutzern:
TikTok:
"(...) wir (sind) dem Kampf gegen die Verbreitung von Fehlinformationen auf der Plattform verpflichtet. (...) Unser Ziel ist es, dazu beizutragen, dass TikTok ein Ort bleibt, an dem authentische und vertrauenswürdige Inhalte gedeihen."
Ein großes Versprechen. Doch wir finden heraus:
Tasnim Rödder, Autorin:
"Auf TikTok, einer App ab 13 Jahren, die bisher vor allem für ihre lustigen Tanzvideos bekannt ist, wird dieser Krieg in der Ukraine quasi in Echtzeit in Wohn- und Kinderzimmer weltweit übertragen."
Schon vor dem Beginn des Angriffs zeigen Videos, wie sich russische Panzer in Stellung bringen. Nur Tage später dokumentiert eine ukrainische Userin den Raketenangriff auf Kiew. Ukrainer beginnen ihren Alltag im Bunker zu dokumentieren und bekommen dafür Millionen Likes. Genau wie diese ukrainischen Soldaten, die mit ihren Waffen tanzen. Auch Russland nutzt die Plattform für Propaganda.
Propaganda und Kriegsvideos können schnell auf dem Handy landen
Wie schnell landen Krieg, Propaganda und Desinformation auf den Handys - etwa von Kindern? Wir machen den Selbstversuch: Nachdem wir die App geöffnet haben, spielt TikTok uns zufällig aufeinanderfolgende Videos ab. Eine Stunde lang schauen wir uns nur solche Videos bis zum Ende an, die einen militärischen Bezug oder Propaganda beinhalten. Bald haben wir fast nur noch Kriegs-Content auf unserem Handy. Diese krassen Videos werden uns ausgespielt.
Der TikTok-Algorithmus arbeitet mit künstlicher Intelligenz, sogenannter KI, erklärt uns ein TikTok-Mitarbeiter. Nach langen Gesprächen ist er bereit, mit uns zu sprechen. Aus Angst seinen Job zu verlieren, will er aber nur anonym vor die Kamera.
TikTok-Mitarbeiter (anonym, Stimme verfremdet):
"Wir merken uns, was du dir anguckst und anhand dessen wird das gezeigt, was du, was die KI denkt, was du sehen möchtest."
Daher kann der Krieg auf TikTok mit seinen Gewaltbildern und seiner Propaganda so schnell so präsent sein. Aber kann TikTok Kinder vor solchen Gewalt- und Propagandavideos schützen? Wir melden zwei Konten und fünf Videos bei TikTok. Sie enthalten eindeutig Gewalt, Leichen oder Propaganda.
TikTok muss gemeldete Inhalte schnell prüfen
Was nun passieren müsste, erklärt uns Rechtsexpertin Josephine Ballon:
Josephine Ballon, Rechtsanwältin:
"TikTok muss die Inhalte so schnell wie möglich prüfen und, wenn es sich um illegale Inhalte handelt, die auch runternehmen. In Deutschland hat TikTok dafür 24 Stunden beziehungsweise eine Woche Zeit, wenn Sie etwas mehr prüfen müssen, weil es sich zum Beispiel um komplizierte Sachverhalte handelt."
So verlangt es das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Doch kommt TikTok dem immer nach? Nach einer Woche wurde nur eines der von uns gemeldeten Videos gelöscht.
Tasnim Rödder, Autorin:
"Nachdem wir TikTok mit unseren Recherchen konfrontiert haben, werden die beiden von uns gemeldeten Konten und drei weitere Videos von der Seite entfernt. Das Video dieses Angriffs ist nach wie vor online."
Zu unseren weiteren Recherchen schreibt TikTok:
TikTok:
"(Wir) erlauben keine Inhalte auf unserer Plattform, die grundlos schockierend, oder grausam sind oder die extreme Gewalt oder Leid fördern, normalisieren oder verherrlichen. Wir reagieren weiterhin auf den Krieg in der Ukraine mit erhöhten Schutz- und Sicherheitsressourcen, um neue Bedrohungen zu erkennen und schädliche Fehlinformationen zu entfernen."
Tasnim Rödder, Autorin:
"TikTok verweist auch auf die Zusammenarbeit mit unabhängigen Organisationen, die Fakten für sie checken.
TikTok kann offenbar nicht immer schnell genug Gewaltvideos und Propaganda löschen
Unsere Recherchen zeigen: Die Plattform schafft es nicht immer, Propaganda- und Gewaltinhalte zu löschen. Dieses Konto verherrlicht mit dem Z den Angriffskrieg auf die Ukraine. In Deutschland ist das verboten. Das Konto wurde erst auf unsere Nachfrage hin von TikTok gesperrt.
Die Kontrolle durch die Plattform funktioniert nicht immer. Müsste die Politik da nicht eingreifen? Das Bundesinnenministerium sieht bei der Verbreitung illegaler Inhalte die Plattformen, wie TikTok, in der Pflicht. Ansonsten soll die Öffentlichkeit zum Thema Desinformation sensibilisiert werden.
Das Problem scheint im Innenministerium noch nicht richtig angekommen zu sein. Desinformation, Propaganda und Gewaltvideos können Kinder auch weiterhin nahezu ungehindert erreichen. Selbst der TikTok-Mitarbeiter, der täglich gemeldete Inhalte überprüft und Gewaltvideos löscht, fühlt sich hilflos:
TikTok-Mitarbeiter (anonym, Stimme verfremdet):
"Wir machen den wichtigsten Job, weil wir sind diejenigen, die dafür sorgen, dass diese Plattform sicher ist. Und ob es im Kinderzimmer landet oder nicht. Wir sind es, die entscheiden, ob Sie es sehen oder nicht. Und ganz ehrlich? Ich würde meinem Kind TikTok nicht erlauben."
Stand: 24.8.2022, 12.20 Uhr
Stand: 08.02.2023 15:26 Uhr