Di., 13.09.22 | 21:45 Uhr
Versagen der Mietpreisbremse: Neue Tricks auf dem Wohnungsmarkt
Die Mieten in Deutschland explodieren. Eigentlich wurde dagegen die Mietpreisbremse eingeführt. REPORT MAINZ war auf Spurensuche und hat komplizierte Firmennetzwerke aufgedeckt, die Mietern das Leben schwer machen.
Wir sind in Hamburg. Hier bekommen wir Kontakt zu einer Mieterin, die nur anonym mit uns sprechen will. Sie ist verzweifelt, weil sie keine bezahlbare Wohnung findet und ihre aktuelle heruntergekommen und viel zu teuer sei. Das liege an einer Möblierungspauschale. Für die bekomme sie Möbel und Inventar vom Sperrmüll, inklusive einer Couch mit Brandlöchern.
Das scheint kein Einzelfall in Hamburg. Ein anderer Mieter könnte laut Mietenspiegel gut ein Drittel weniger zahlen. Doch auch er zahlt dank Möblierungspauschale für alte und kaputte Möbel.
Möbliertes Wohnen: Großes Wachstum ohne Abbildung im Mietspiegel
Mieter (nachgesprochen):
"Anfangs hat mich das wirklich gestresst, den Mietvertrag zu unterschreiben, will ich überhaupt so viel Geld für eine Wohnung ausgeben und kann ich mir das leisten? Das sind über 70 Prozent meines Einkommens. Man kann sich auch nicht dagegen wehren. Man muss entweder akzeptieren oder ein anderer nimmt die Wohnung."
Wir stellen fest: Möbliertes Wohnen hat stark zugenommen. Eine ganze Branche ist entstanden: Mittlerweile gibt es zahlreiche Portale im Internet, die sich darauf spezialisiert haben. Sie locken mit Wohnungen - klein und modern, bis todschick für mehrere tausend Euro. Und auch die Zahlen einer Langzeitstudie belegen: Möblierte Mietangebote haben sich in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. Und gerade bei diesen sind die Mieten extrem gestiegen.
Das Problem: Die zulässige Höhe des Zuschlags ist gesetzlich nicht festgelegt. Und im Mietenspiegel werden möblierte Wohnungen meist nicht abgebildet. Der Mieterverein Hamburg kennt die Probleme. Die Mieter hätten zwar formal Rechte, wie die Mietpreisbremse, die seien aber bei möblierten Wohnungen schwer durchzusetzen:
Rolf Bosse, Mieterverein Hamburg:
"Leider ist es so, dass immer mehr Fälle gibt, in denen Vermieter versuchen, mehr Geld zu bekommen über die Miete, indem sie möblierte Verträge abschließen. Das ist natürlich ein Skandal, dass Vermieter versuchen aus der Not, die überall herrscht, Wohnraum zu bekommen, eben Kapital zu schlagen und dass muss unterbunden werden, indem wir stärkere Regeln haben für die Mietpreisbremse, dass es Mieterinnen und Mietern einfacher fällt, die geltend zu machen."
Mietpreisbremse noch immer ineffektiv
Dabei hatte die große Koalition die Mietpreisbremse 2015 eingeführt und dann verschärft. In Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt soll bei Wiedervermietungen von Bestandswohnungen die Miete höchstens zehn Prozent über dem Mietenspiegel liegen. Der Effekt hält sich allerdings in Grenzen, wie auch eine Analyse vom Juni zeigt. Der Deutsche Mieterbund kritisiert deswegen die vielen Schlupflöcher bei der Mietpreisbremse.
Wir bekommen einen Hinweis. Ein neues Schlupfloch könnte sich gerade in Berlin auftun, wo angeblich Immobilienfirmen mit falschen Hauptmietern untervermieten, um zu tricksen. Stimmt das?
Wir treffen Moritz M., der seit gut zwei Jahren hier wohnt - als Untermieter. Er will unerkannt bleiben, denn er wurde auf Räumung der Wohnung verklagt. Dabei wollte er doch, wie er sagt, nur eine ortsübliche Miete. Aktuell zahle er für 80 Quadratmeter rund 1600 Euro kalt. Laut Mietpreisspiegel müsse er nur die Hälfte zahlen. Deswegen hat er die Hausverwaltung kontaktiert, um von der Mietpreisbremse Gebrauch zu machen:
Moritz M., Untermieter:
"Nachdem wir die Mietpreisbremse gezogen haben und dann kurze Zeit später das Schreiben des Anwalts der Eigentümerin bekommen hatten, dass uns eine Räumungsklage droht, kam schon auch eine Wut in mir auf, ja, weil ich mich einfach ungerecht behandelt gefühlt habe."
Ausgeklügelte Konstrukte, um Mieterschutz auszutricksen
Moritz M. nahm sich einen Anwalt, um sich zu verteidigen. Das Problem: Als er vor zwei Jahren in die Wohnung zog, erhielt er von der Verwaltung nur einen Untermietvertrag. Den Hauptmieter habe bis zur Klage nie gesehen. Doch als Moritz M. gegen die zu hohe Miete vorging, kündigte plötzlich der Hauptmieter seinen eigenen Mietvertrag, sodass auch Moritz M. hätte ausziehen sollen. Sein Anwalt geht davon aus, dass der Hauptmieter ein Strohmann sei, der nie in der Wohnung leben wollte:
Benjamin Raabe, Anwalt von Moritz M.:
"Wir streiten darum, ob Eigentümer und Hauptvermieter zusammengewirkt haben oder nicht. Vordergründig geht es um eine Räumungsklage. Im Hintergrund, beziehungsweise das Konstrukt, um das es geht, ist ein anderes, da geht es um die Umgehung von Mieterschutz, um zu erreichen, dass man die Mieter ohne weiteres loswird.“
Denn wenn der Hauptmieter den Vertrag kündigt, hat das auch Folgen für den Untermieter.
Eine Masche, um unangenehme Bewohner rauszubekommen? Wir fahren zum Hauptmieter, von dem wir nur eine Adresse haben, und wollen ihn konfrontieren. Er wohnt schon lange außerhalb von Berlin. Wir wollen wissen: Arbeitet er mit der Eigentümerfirma zusammen und wurde nur als Strohmann eingesetzt? Ein Interview will er uns hier nicht geben. Schriftlich streitet er dann die Vorwürfe ab:
Christian J., Hauptmieter:
"Es ist alles ganz normal: Ich habe mich auf die Wohnung beworben, hatte gute Bonität und einen soliden Lebenswandel und wurde als Mieter akzeptiert."
Also nur ein Einzelfall? In den Häusern der Eigentümerfirma leben noch andere Bewohner, die uns erzählen, dass sie auch nur Untermietverträge haben. In vielen Fällen gebe es eine Verbindung zwischen den Hauptmietern und den Gesellschaftern der Eigentümerfirma. Das will Moritz M., auch mit einem Privatdetektiv, rausbekommen haben. Ein kompliziertes Firmenkonstrukt rund um mehrere Immobilien kommt zum Vorschein. Der Anwalt von Moritz M. geht von einer Masche aus:
Benjamin Raabe, Rechtsanwalt von Moritz M.:
"Alle Neubewohner haben ein Untermietverhältnis mit Personen, die nie hier gewohnt haben. Und deswegen denken wir, es ist Methode."
Schriftlich bestreitet der Anwalt der Eigentümerfirma die Vorwürfe.
SNP Schlawien Partnerschaft mbB, Eigentümerfirma:
"Die vorgetragene Geschichte ist unzutreffend und offensichtlich falsch. Weder unserem Mandanten noch der Eigentümerin der Immobilie ist aus rechtlicher Sicht irgendein Vorwurf zu machen."
Masche mit System
Was ist dran? Zeigt sich hier eine neue Masche, um Mieter auszutricksen? Wir finden noch viele andere Fälle in Berlin, bei denen angebliche Hauptmieter teure Untermietverträge abschließen. Auch Anissa Eprinchard erzählt, dass sie nur einen richtigen Mietvertrag wollte. Stattdessen sollte sie ausziehen und sich gegen eine Räumungsklage wehren.
Anissa Eprinchard, ehemalige Untermieterin:
"Die haben das System benutzt, um uns zu erschrecken. Wir wurden wir wie Kriminelle behandelt, nur weil wir einen Hauptmietvertrag verlangt haben, um auch eine Sicherheit zu haben.“
Wir fassen zusammen: Undurchsichtige Firmen- und Untermietkonstruktionen machen Mietern das Leben schwer. Beim Mieterverein Berlin kennt man solche Vorgehensweisen:
Reiner Wild, Mieterverein Berlin:
"Eigentümer haben immer neue Konstruktionen, wie sie die Mietpreisbremse umgehen wollen. Da sind eigene Beratungsinstitutionen entstanden, die solche Konstruktionen aufbauen. Das geht hin bis zu einer Steuerberatungsgesellschaft, die das dann auch alles noch betreut. Wir stellen fest, dass es tatsächlich diverse Umgehungsversuche der Mietpreisbremse gibt. Sie haben zugenommen seit der Gesetzgeber die Mietpreisbremse verschärfen wollte.“
Was sagt die Bundesregierung dazu? Denn die Mietpreisbremse soll bis 2029 verlängert werden. Will die Regierung jetzt auch Schlupflöcher, wie es Kritiker fordern, schließen?
Bundesministerium sieht Ziel der Mietpreisbremse erreicht
Das Bundesjustizministerium antwortet uns: Mieterinnen und Mieter seien schon jetzt nicht schutzlos gestellt. Das Ministerium habe zudem eine Studie für 200.000 Euro ausgeschrieben, um zu untersuchen, ob "möbliertes Wohnen" wirklich ein Problem darstellt. Und außerdem sei…
Bundesjustizministerium:
"…die Mietpreisbremse […] nicht darauf ausgerichtet, jeglichen Anstieg der Mieten zu verhindern. Vielmehr sollte mit ihr eine Verlangsamung des Anstiegs der Mieten erreicht werden. Dieses Ziel wurde erreicht."
Fazit: Explodierende Mietpreise, Schlupflöcher für Vermieter und eine Mietpreisbremse, die teilweise nicht in Fahrt kommt. So kommen Mieter und Mieterinnen zunehmend an Ihre Grenzen.
Stand: 19.9.2022, 12.51 Uhr
Stand: 08.02.2023 15:26 Uhr