So., 30.10.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Australien/Deutschland: Klimakrise
Die Überschwemmungen im Ahrtal haben gezeigt, dass dramatische Wettereignisse im Zusammenhang mit dem Klimawandel auch in Mitteleuropa zu immer schlimmeren Zerstörungen führen. In Australien erleben die Menschen schon jetzt, wie immer häufigere Starkregen-Ereignisse das Leben beeinträchtigen. In der Weltspiegel-Klimaserie berichtet ARD-Wetter-Experte Karsten Schwanke aus dem Ahrtal über die Folgen des Starkregens und ARD-Korrespondentin Sandra Ratzow berichtet aus Australien über die Folgen von häufigen Starkregen-Ereignissen.
Karsten Schwanke: Ich bin im Ahrtal. Sie werden sich vielleicht wundern, dass ich hier nicht am Wasser stehe, an der Ahr, sondern in einem kaputten Wald. Aber dieser kaputte Wald, oder besser: Die kaputten Wälder, die wir vor allem nach der Trockenheit, nach der Dürre, 2018, 2019, 2020 überall in unseren Mittelgebirgen sehen, diese kaputten Wälder sind ein verstärkender Faktor für die Fluten. Hier hängt alles miteinander zusammen. Ein gesunder Wald kann nämlich 90 Prozent des Regenwassers speichern. Diese Wälder hier speichern nichts mehr. Das heißt, das ist ein Faktor, dass wir diese Bilder gesehen haben von diesen unglaublichen Fluten.
Das Ahrtal ist ein V-förmiges, enges Tal. Oft mit felsigem Untergrund. Das Wasser fließt alles nach unten. Und dann kommen noch die Wälder dazu. Geschädigt durch die Folgen des Klimawandels, die diese Fluten überhaupt erst möglich gemacht haben. Bilder, wie wir sie im vergangenen Jahr gesehen haben, gab es auch in diesem Jahr in anderen Regionen der Welt. Zum Beispiel in Australien. Und deshalb jetzt nach Australien zu Sandra Ratzow.
Im Raum Sydney: Fünf Überschwemmungen in fünf Jahren
Sandra Ratzow: Eigentlich kennen die meisten Menschen Sydney ja nur mit strahlend blauem Himmel. Und bei ungefähr 300 Sonnentagen pro Jahr braucht man eher die Sonnenbrille als die Gummistiefel. Aber was die Menschen hier in den vergangenen Monaten an Überflutungen und Überschwemmungen erlebt haben, das hat viele Rekorde weggespült.
Die berühmte Harbour Bridge umhüllt von dicken, grauen Regenwolken – tagelang und immer wieder. Zwischen März und Juli 2022 reiht sich in Australiens Sonnenmetropole ein Tief an das nächste. Es gab so viel Regen wie noch nie zuvor. Mit dramatischen Folgen: Außerhalb von Sydney treffe ich Jodie Saint. Die Sozialarbeiterin zeigt mir, das restliche Wasser, das von der letzten Überschwemmung noch steht. Sie und ihre Familie sind völlig erschöpft. Dreimal ist ihr Haus in den vergangenen sechs Monaten schon überflutet worden. Der Wetterdienst warnt vor noch mehr Tiefdruckgebieten. Deswegen wohnen sie jetzt vor allem im Obergeschoss.
Vor fünf Jahren hatten sie all ihr Erspartes zusammengekratzt, um sich dieses Haus zu kaufen. Und nun das. "Die Küche ist voll mit unserer Kleidung und Möbeln. Das ist die Eingangstür, die wir tauschen wollten, die müssen wir schützen, weil die einfach sehr teuer ist. Und jetzt leben wir hier in der Küche und im Wohnzimmer mit all unserem Kram aus dem Schlafzimmer von unten und überall liegen Sachen rum", erzählt Jodie Saint.
Einmal in 100 Jahren könne es eine Überschwemmung geben, hatte ihnen der Makler gesagt. Nun waren es fünf in fünf Jahren. Die Behörden haben ein paar Tausend Dollar Entschädigung gezahlt, aber es reicht hinten und vorn nicht: "Wir wissen nicht, was wir tun sollen. Im Idealfall verkaufen wir und ziehen um. Aber erstens wollen wir das Problem auch nicht einfach weiterreichen und zweitens: Wer würde so ein Haus kaufen wollen? Im Moment hängen wir total in der Luft", sagt Jodie Saint.
Nicht nur Sydney erlebt historische Regenfälle
Doch nicht nur Sydney erlebt historische Regenfälle. Auch andere Orte an der Ostküste Australiens. Acht Autostunden nördlich von Sydney liegt Lismore. Dort fahre ich ein halbes Jahr später hin. Die 140.000 Einwohner leben seit Jahrhunderten mit Überschwemmungen, aber so dramatisch wie in diesem Jahr war es noch nie. Mitten im Zentrum von Lismore hätte, als die Wassermassen kamen, auf gar keinen Fall jemand stehen können.
Karsten Schwanke: Von Australien zurück ins Ahrtal. Ich bin in Altenahr. Neben mir steht Christa Storch. Frau Storch, Sie haben damals diese Flutkatastrophe hautnah miterlebt. Hinter uns plätschert dieser kleine Bach, fasst ein Rinnsal. Wie hoch schoss damals das Wasser hier durch das Tal?"
Christa Storch: "Wir hatten insgesamt sechs Meter hoch Wasser im Haus. Wir waren voll ausgebucht."
Schwanke: "Wann haben Sie denn mitbekommen, dass es insgesamt eine gefährliche Situation wird, dass das Wasser ins Haus kommt?"
Storch: "Wir haben es im Grund erst geglaubt, als wir es gesehen haben. Also man merkt schon, der Pegel sprang irgendwann in Misch auf fünf Meter. Das haben wir aber eigentlich nicht realisiert. Man hat es erst realisiert, als das Wasser wirklich ins Haus geflossen kam. Und selbst da konnte man es vom Kopf her nicht richtig verarbeiten, dass es jetzt wirklich immer weiter steigt."
Schwanke: "Ach, hier ist die Küche. Und auch hier stand das Wasser wirklich bis zur Decke?"
Storch: "Ja."
Schwanke: "Die ganze Etage voll?"
Storch: "Alles vollgelaufen, ja! Da schwammen ganze Häuser vorbei. Es war extrem laut."
Karsten Schwanke: Hier im Ahrtal sieht die Welt heute, mehr als ein Jahr nach der verheerenden Flut, ganz anders aus. Es ist wirklich kaum vorstellbar, dass dieser friedliche Bach, durch den ich durchwaten könnte, damals ein reißender Strom wurde – mit mehr als zehn Meter Wasserhöhe.
An der Stelle, an der ich hier stehe – man hört es auch an dem Poltern der Holzbrücke, die provisorisch wieder errichtet wurde, auch diese Brücke war komplett zerstört – an dieser Stelle befand sich damals ein Pegelhäuschen, das den Wasserstand gemessen hat. Am Abend des 14. Juli 2021 so gegen 20 Uhr hörte aber auch diese Wasserstands-Messung auf, weil das Pegelhäuschen weggerissen wurde.
Vieles war damals kaputt, aber auch vieles wird heute wieder aufgebaut. Natürlich fragt man sich – hier im Ahrtal, genauso wie in Australien – lohnt es sich eigentlich, hier an der gleichen Stelle dasselbe wieder aufzubauen?“
Menschen müssen ihr Leben ins Trockene bringen
Sandra Ratzow: Ich besuche eine kleine Stadt, die auch Monate später noch nach so etwas wie Normalität sucht. Viele Geschäfte sind noch geschlossen. Menschen müssen ihr Leben ins Trockene bringen. Kylie O’Reilly, im März 2022 betroffen, holt noch immer Schutt aus dem Raum hervor, der mal ihre Küche war. Wie viele andere Nachbarn lebt sie seit Monaten im Wohnwagen. Vom Staat gab es eine Entschädigung, aber die reicht bei weitem. Eine Versicherung hatte sie nicht. "Wie viele Menschen in unserer Gemeinde – ich würde sagen so 70 oder 80 Prozent – haben wir keine Versicherung", sagt Kylie O’Reilly. "Die ist entweder viel zu teuer oder du kannst gar keine abschließen, weil wir in einem Überflutungsgebiet leben."
Sandra Ratzow: Viele Menschen hier in Lismore fragen sich in der Tat: Wie soll es weitergehen, wenn man ganz genau weiß, das die nächsten Wassermassen ganz sicher kommen. Bei Russel Brown standen die Fluten bis fast unters Dach und er hat zumindest für sich eine ganz klare Antwort gefunden, wie es in der Zukunft weitergehen soll. Russel Brown packt - alles, was er vor dem Wasser retten konnte. Jahrelang hat er hier gewohnt, aber nun ist Schluss. Als Mieter kann er es sich erlauben zu gehen. "Es hat mich bis ins Mark erschüttert. Mein Sohn und ich haben hier so lange gelebt. Die Überschwemmungen haben uns immer Verluste gekostet, jeden, der hier lebt. Aber die letzte Flut, wir sind hier in der zweiten Etage, hat alles zerstört." Russell Brown verlässt nicht nur sein Haus, sondern Lismore. Er will eine Stunde weit wegziehen an einen höher gelegenen Ort. Der Klimawandel mache Lismore zu einer Stadt, die für ihn unbewohnbar wird.
Für Kylie kommt wegziehen nicht in Frage. Nur hier in der Gegend kann sie sich Eigentum leisten und unabhängig sein. Deswegen hat sie einen kühnen Plan für ihr Holzhaus: "Wir werden unser Haus anheben lassen auf 2,50 Meter. Wir bereiten gerade alles vor. Nächsten Monat ist es soweit. Wenn wir das geschafft haben, können wir endlich neustarten, wiederaufbauen und aus dem Wohnwagen ausziehen. Das wird dann etwas bequemer."
Kylie nimmt mich mit zu einer Bürgerversammlung. Sie hat eine Selbsthilfegruppe gegründet. Eine Untersuchungskommission hat den Behörden Versagen beim Katastrophenschutz nachgewiesen. Kylie und ihre Nachbarn kämpfen darum, dass sich das in Zukunft ändert. Ich habe Verzweiflung, Hoffnung und Mut in Lismore gesehen und Menschen, die mit einem großen Herz ihre Stadt vorm Ertrinken retten wollen.
Nicht die letzte Hochwasserkatastrophe
Karsten Schwanke: "Frau Storch, nichts erinnert mehr an die Katastrophe von damals, jetzt mehr als ein Jahr ist vergangen. Es ist alles neu, alles sieht toll aus. Wie ist denn die Stimmung aktuell jetzt hier im Dorf? Wie sind die Leute mit diesen Nachrichten? Wie lebt man heute ein Jahr danach?"
Christa Storch: "Es ist bei uns im Ort eigentlich recht optimistisch. Also wir wollen auch alle wiederaufbauen. Viele haben Probleme mit der Versicherung. Und hadern da. Und viele sind auch am Überlegen, wollen wir wieder aufbauen? Also bei uns im Ort geht es. Aber wir haben im Nachbarort welche, die sind die ganze Nacht auf dem Dach gesessen. Und da macht man sich schon Gedanken, ziehe ich da wieder hin? Das haben wir nicht gehabt. Also wir hatten nie das Gefühl, das ist nicht sicher. Aber so eine Nacht auf dem Dach…es ist dunkel…wenn Sie nicht wissen: Kommt das Wasser, steigt es noch, sinkt es schon? Dann ist das schon eine andere Perspektive."
Schwanke: "Wie blicken Sie in die Zukunft?"
Storch: "Also erstmal positiv. Wir sind immer optimistisch hier im Rheinland. Also wir sind erstmal positiv."
Schwanke: "Würden Sie das Ganze bei der nächsten Flut nochmal wieder aufbauen?"
Storch: "Also wir haben jetzt hier nach der ersten Flut eigentlich nie darüber nachgedacht, nicht mehr wieder aufzubauen. Aber ich glaube, wenn es nochmal kommen würde, dann würden wir es nicht mehr machen. Weil dann ist es zu viel."
Schwanke: Ich wurde von vielen Menschen nach der Ahrtal-Katastrophe gefragt, ob es so etwas wieder geben kann. Ob solche Hochwasser-Ereignisse häufiger werden, ob das nächste sogar noch stärker ausfallen kann. Das sind natürlich ganz schwierige Fragen. Aber in Zeiten des Klimawandels müssen wir wohl davon ausgehen. Britische Wissenschaftler haben im vergangenen Jahr eine Studio veröffentlicht und haben untersucht, wie sich diese Wetterlage, wir nennen sie "langsam ziehendes Tief Mitteleuropa", wie sich diese Wetterlage entwickeln und sie haben festgestellt, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit bis zum Ende des Jahrhunderts deutlich mehr davon geben wird. Und dass jedes Tief für sich auch mehr Regen bringen kann.
Es wird hier nicht die letzte Hochwasserkatastrophe gewesen sein. Und das zeigt auch, dass wir uns von der Begrifflichkeit „Jahrhundert-Hochwasser“ trennen müssen. Das nächste Hochwasser dieser Dimension wird nicht erst in 100 Jahren kommen. Das alles sind riesige Herausforderungen für die Politik, für den Katastrophenschutz und für uns alle, für unsere gesamte Gesellschaft."
Autor*innen: Susanne Glass, Carsten Schwanke, Sandra Ratzow, ARD-Studio Singapur
Stand: 30.10.2022 20:57 Uhr
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