So., 15.08.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Belarus: Migranten als Druckmittel
Vorerst gestrandet im Minsker Büro von Iraqi Airways: Drei Iraker hatten Hin- und Rückflug nach Belarus gebucht. Doch zurück nach Bagdad wollten sie nicht, sondern weiter nach Europa. Der 33-jährige Hussein Dachil fuhr von Minsk mit dem Taxi Richtung Grenze, lief fünf Tage zu Fuß – bis litauische Grenzbeamte ihn stoppten: "Als wir nach Litauen gekommen sind, wurden wir schlecht behandelt. Wir wurden geschlagen, hier an meinem Bein. Sie haben mir mein Geld abgenommen, meinen Pass zerrissen und mein Handy zerstört." Seine Menschenrechte seien verletzt worden. Auf die Reise nach Europa hat er sich begeben, weil er im Irak keine Arbeit finde. "Von der Fluchtroute habe ich auf Social Media erfahren, in Facebook-Gruppen."
Flüge vom Irak nach Belarus boomten in den vergangenen Monaten
Damit war er offenbar nicht alleine. Flüge vom Irak nach Belarus boomten in den vergangenen Monaten. Sieben Verbindungen pro Woche, Tausende Iraker flogen ein. In einem Reisebüro in Bagdad haben sie den Ansturm gemerkt, weil die Tickets nur noch gut halb so viel kosteten und weil die belarusischen Behörden die Flucht nach Europa erleichterten, sagt Reisebüro-Chef Ali El Gamili: “Früher hat man eine Person, bei der der Verdacht bestand, dass sie nach Europa auswandern will, sofort zurück nach Hause geschickt. Doch jetzt wurde es viel lockerer. Man hat ihnen schon am Flughafen gesagt, wo sie hinfliehen können." Die Reiseveranstalter brachten die Menschen in Drei-Sterne-Hotels in Minsk unter. Wer nach Europa wollte, fuhr dann weiter. Das Ziel: Die grüne Grenze im Waldim Westen von Belarus.
Dann wurden die Kontrollen auf EU-Seite verstärkt, auch Polen schützt seine Grenze jetzt mit Stacheldraht und lässt niemanden mehr rein. Eine Gruppe Iraker plötzlich eingesperrt im Niemandsland zwischen Belarus und den EU-Nachbarn. “Die Polizei hat mir nicht geholfen, sie haben mir kein Wasser gegeben. Es waren Kinder dabei, mehrere Familien, 30 Leute waren wir an der Grenze", erzählt Sejn Al-Awedi, Flüchtling aus dem Irak. Fünf Tage harrten sie dort aus, dann schickten die belarusischen Grenzschützer die Gruppe zurück nach Minsk. Für Sein Al-Awedi ist es der vierte Versuch, in die EU zu kommen – vorher immer über Griechenland, jetzt durch Belarus: "Ich will Asyl und mein Leben retten. Im Irak ist Krieg, da gehe ich nicht mehr hin. Seit zwei Jahren lebe ich schon in der Türkei. Aber da gibt es keine Arbeit, kein gutes Leben. Und ich will doch ein gutes Leben."
Iraqi Airways hat Flüge nach Belarus erstmal eingestellt
Dass die Route durch Belarus für Migranten wie Sein Al-Awedi so beliebt wurde, wäre ohne Zutun der belarusischen Regierung nicht denkbar. Ein von Litauen veröffentlichtes Video soll eine belarusische Grenzpatrouille zeigen, die Migranten in Grenznähe begleitet. Machthaber Lukaschenko droht wegen der Sanktionen gegen sein Land immer wieder damit, Migranten in die EU durchzulassen: "Ihr zwingt uns solche Bedingungen auf, dass wir reagieren müssen! Und wir reagieren so, wie wir es es halt können."
Iraqi Airways hat Flüge nach Belarus erstmal eingestellt, auf Druck der Europäischen Union. Doch Flugverbindungen mit Umstieg zum Beispiel in der Türkei gibt es weiter. Machthaber Lukaschenko könnte also immer noch versuchen, die EU mit Migranten unter Druck zu setzen.
Autor: Demian von Osten, ARD-Studio Moskau
Stand: 17.08.2021 17:04 Uhr
Kommentare