So., 30.05.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Hongkong/China: Wie das nationalen Sicherheitsgesetz Hongkong verändert
Das nationale Sicherheitsgesetz - seit Juli 2020 in Kraft – hat die Protestbewegung in Hongkong extrem geschwächt und das Leben in der Sieben-Millionen-Metropole nachhaltig verändert. Die Proteste von Hunderttausenden gegen den wachsenden Einfluss Pekings, die 2019 begannen, sind vorbei. Viele sitzen in Haft oder sind ins Ausland geflohen. Abgeordnete des demokratischen Lagers haben das Hongkonger Regionalparlament demonstrativ verlassen. Wer jedoch laut Kritik äußert, gerät sofort ins Visier der Behörden.
Hausdurchsuchung vor laufender Kamera
Weltoffen, immer ging es voran – doch Hongkong und sein Leben haben sich verändert. Herbert Chow ist im Visier der Behörden. Politischer Protest ist nach Einführung des Sicherheitsgesetzes hochriskant geworden. Nur wenige trauen sich das zu kritisieren. "Es ist lächerlich, immer mehr Menschen ärgern sich, immer weniger respektieren, was auf Grundlage des Sicherheitsgesetzes passiert. In Hongkong galt immer Redefreiheit, man konnte seine Stimme erheben und seine Meinung öffentlich äußern. Doch es gibt jetzt einige, die deswegen festgenommen wurden", sagt der Unternehmer. Er steht unter Beobachtung. Herbert Chow gehört eine Bekleidungskette, in seinen Läden stellt er nebenbei Symbole der Demokratiebewegung zur Schau, die den Protest gegen den wachsenden Einfluss Pekings verkörpern, so wie "Lady Liberty", die Freiheitsstatue mit Tränengasmaske.
Vor drei Wochen kam es dannvor laufenden Kameras zu einer Hausdurchsuchung: Der Hongkonger Regierungssender zeigt wie Beamte der im vergangenen Jahr neu gegründeten Sicherheitspolizei sein Geschäft durchsuchen. Bilder einer Razzia, die wohl auch abschrecken sollen: "Sie wollten damit unseren Mitarbeitern und Lieferanten drohen und zeigen, wer so etwas macht, wird die Aufmerksamkeit der Nationalen Sicherheitsbehörde auf sich ziehen. Ich denke, ihr Ziel war es Menschen einzuschüchtern und daran zu hindern Dinge zu tun, die ich für normal halte", so Chow. Er sagt, die Statue ist ein Kunstobjekt und will sich nicht einschüchtern lassen.
Unterdrückung durch die Behörden
Der 28-jährige Ah Nam kann sich nur im Stadtteil Shum Shui Po zwei kleine Zimmer leisten. Er war Mitglied bei der demokratischen Partei "Demosisto", so wie auch Hongkongs prominentester Aktivist Joshua Wong. Der sitzt nun in Haft, wie viele, die vor zwei Jahren für mehr Freiheit protestierten. "Angesichts der Unterdrückung durch die Behörden müssen wir uns nach sicheren Orten umgucken, wo wir in Frieden leben können. Anstatt hier ein großes Risiko einzugehen", saht Ah Nam. Die Proteste sind Vergangenheit, seine Zukunft wohl im Ausland. Ah Nam verdient als Bürogehilfe nicht viel und muss jetzt alles fürs Auswandern sparen. Flug, Visum, Krankenkasse und Unterkunft – mindestens 20.000 Euro braucht er dafür.
Lehrer werden unter Druck gesetzt
Auch Lehrinnen und Lehrer stehen unter Druck. Wir treffen einen, den wir "John" nennen. Er will nicht erkannt werden, zu riskant. Denn selbst im Unterricht müsse er jetzt auf jedes Wort achten: "Die Stimmung in den Schulen hat sich stark verändert. Früher konnten wir Lehrer offen über gesellschaftliche Konflikte reden, aber jetzt lassen wir das. Wir sagen kein einziges Wort mehr über gesellschaftliche und politische Probleme." Er traut sich nur noch streng nach Schulbuch zu unterrichten. Doch dort wird das autoritäre China als "demokratisch" beschrieben mit politischer Bürgerbeteiligung. "Alles muss doch auf Fakten basieren. Wenn man die Fakten nur aus politischen Gründen verdreht, um das Narrativ zu ändern, ist das einfach nicht richtig", sagt John.
Lehrer werden unter Druck gesetzt – auch durch Peking-treue Moderatoren wie Cua Chiu-Fai. In seinem Bildungs-Podcast "Help Our Next Generation" wettert er gegen diejenigen, die mit demokratischen Ideen die Jugend vergifteten, fordert Eltern auf, solche Lehrer zu melden: "Die Situation in Hongkong war einfach zu ernst, einschließlich der Bildungsprobleme und Überzeugungen einiger Lehrer. Sie förderten bei Schülern nicht Dankbarkeit und Akzeptanz, sondern Gewalt und Hass. Das ist nicht richtig, deswegen gab es viele Beschwerden von Eltern."
Zehntausende Hongkonger haben Stadt bereits verlassen
Wer mit Peking nicht auf Linie ist, hat es schwer an Hongkongs Schulen. Wohl deshalb hören wir vor der Kamera von Eltern kaum Kritik. Ah Nam glaubt nicht mehr an ein freies Leben in Hongkong. Eine Zukunft wie er sie sich wünscht, kann er sich hier nicht mehr vorstellen. Wahrscheinlich wird er versuchen, nach Großbritannien auszuwandern und ganz neu anzufangen – so wie es Zehntausende Hongkonger in den vergangenen Monaten vor ihm gemacht haben. "Niemand will den Ort verlassen, an dem er geboren wurde und aufgewachsen ist. Vor allem, wenn man niemals zurückkehren kann. Aber die politische Situation hat sich seit dem Inkrafttreten des Sicherheitsgesetzes vergangenes Jahr verschlechtert und das, was vom demokratischen System übrig war, wurde untergraben", sagt Ah Nam. Ein weltoffenes Hongkong, das war einmal. Heute gilt: Wer hier leben will, muss sich Pekings Normen unterwerfen – oder für immer gehen!
Autor: Daniel Satra, ARD Peking
Stand: 30.05.2021 20:23 Uhr
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