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Das Erste
Iran: Drogensucht im Gottesstaat
Shirin verdient ihren Lebensunterhalt durch Handarbeiten. Ihre Ware verkauft sie auf der Straße. Noch vor wenigen Jahren wäre das undenkbar gewesen. Denn Shirin war drogensüchtig. Acht Jahre war sie abhängig von Heroin. Schon ihr Vater war drogensüchtig und fand nichts dabei, Shirin bereits als Grundschülerin Alkohol anzubieten: "Ich kann mich erinnern als ich ein Kind war, hatte mein Vater damals selber Wein gemacht. Er hat mir zum ersten Mal als ich sechs war ein Glas Wein gegeben. Mir war dann schwindelig und es war sehr komisch, dann habe ich getanzt: Von da hat es bei mir geklickt, das war wohl der Anfang von meiner Sucht."
"Es ist sehr leicht, an Drogen und Alkohol zu kommen"
Als Erwachsene war es für Shirin kein Problem, an Drogen zu kommen, obwohl die im Gottesstaat selbstverständlich ebenso wie Alkohol verboten sind. "Du bekommst überall alles, Drogen und auch Alkohol. Unsere Jugendlichen fangen erst mit Trinken an und dann kommen die Drogen. Es ist sehr leicht, an Drogen und Alkohol zu kommen. Es gibt sehr viele Drogendealer, besonders im Süden von Teheran, aber auch im Zentrum, erzählt Shirin.
Jahrzehntelang hatte die Regierung versucht das Suchtproblem zu ignorieren – ohne Erfolg. Nie war es leichter an Suchtmittel zu gelangen und nie war die Zahl der Süchtigen in der Islamischen Republik höher als jetzt. Die Zahlen sind so alarmierend, dass sich sogar ein ehemaliger Polizeichef in einem öffentlichen Brief zu Wort meldete und verlangte, dieses Problem endlich publik zu machen. Und tatsächlich: Mittlerweile berichtet sogar das iranische Staatsfernsehen über die fast 3.000 Drogentoten im Jahr. Die ehemals abhängige Shirin wurde als Talkshowgast eingeladen – früher undenkbar.
Offiziell sind mehr als eine Millionen Iraner abhängig. Die inoffizielle Zahl soll weit höher liegen. Inzwischen hat das Gesundheitsministerium zwar auch Entzugskliniken eröffnet. Doch häufig werden Drogensüchtige noch immer einfach weggesperrt, erzählen uns Betroffene.
Nichtregierungsorganisationen helfen
Beachtenswert ist hingegen das Engagement von nichtstaatlicher Seite: Im Süden Teherans kümmert sich eine Hilfsorganisation um die vielen Abhängigen, die häufig auf der Straße leben müssen. Die Freiwilligen bieten nicht nur eine warme Mahlzeit: "Unser Ziel ist es nicht die Bäuche der Menschen, die gezwungen sind auf der Straße leben, satt zu machen. Wir nutzen das Essen, um Kontakt zu Drogenabhängigen zu bekommen, dass wir ihr Vertrauen gewinnen. Ihnen Hoffnung geben, dass jemand für sie da ist", sagt Safa Abedi von der Hilfsorganisation Toloue Bineshan. Auf diese Weise holten sie schon viele von der Straße, und halfen ihnen beim Entzug. Einmal im Jahr feiern sie die Menschen, die den Entzug meisterten. "Ich bin seit zehn Monaten und zehn Tagen clean. Ich hätte nie gedacht, dass ich es schaffe", erzählt Neda.
Hier treffen wir auch Shirin wieder. Sie möchte die Hilfe, die sie hier selbst erfahren hat weitergeben: "Es gibt noch sehr viele Menschen, die Hilfe brauchen – besonders innerhalb der ärmeren Schicht. Aber auch in der Mittelschicht. Leider gibt es auch sehr viele Frauen, mit den ich besonders eng zusammenarbeite. Viele konsumieren, weil sie nicht wirklich aufgeklärt sind, viele, weil sie neugierig sind." Aus ihrer Hilfe für andere schöpft Shirin viel Kraft und Selbstvertrauen. Und das braucht sie auch, um nicht selbst wieder in die Fänge der Sucht zu geraten.
Autorin: ARD-Korrespondentin Natalie Amiri
Stand: 02.08.2019 05:01 Uhr
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