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Jamaika: Nach dem Tod der Queen: Wer will den neuen König?

Jamaika: Nach dem Tod der Queen: Wer will den neuen König?  | Bild: NDR

Als der britische Thronfolger Prinz William im Frühjahr nach Jamaika reiste, wurde er vom jamaikanischen Premierminister Andrew Holness sehr undiplomatisch mit dem politischen Vorhaben konfrontiert, dass Jamaika aus dem Commonwealth austreten will: "Wir bewegen uns weiter", äußerte der Premierminister in einer Pressekonferenz. Die Karibikinsel plant, sich von der britischen Monarchie zu trennen. Nach dem Tod der Queen hat dieses politische Vorhaben noch einmal mehr Schwung bekommen.

Staceyann Chin ist wütend, empört – und gießt ihre Gefühle in einen Text.: "Fuck you zur sexistischen, rassistischen, homophoben, mörderischen Geschichte der britischen Monarchie." Die Poetin fordert eine Entschuldigung – für Kolonialismus, für Ausbeutung. Für alles, was Großbritannien reich und ihr Land Jamaika arm gemacht habe – und worüber die Queen lieber schwieg. "Fucking King Charles. Sie haben unsere Körper und die unserer Kinder benutzt, um ihren Wohlstand aufzubauen."

"Jedes Mal, wenn in der Monarchie etwas passiert, kommt diese Frage auf: Nach der Relevanz und der Rechtmäßigkeit der Monarchie", sagt Staceyann Chin. Sie steht für eine junge Generation, die kritisch auf die britische Krone blickt – und ein neues Jamaika will. Gerade über die Rolle der Queen streitet sie oft mit ihrer Mutter.   
Mutter: "Ich denke, sie ist eine wundervolle Frau. Sie hat so viel gemacht."  
Staceyann: "Was ist mit den Menschen, die gestorben sind…?"
Mama: "Die Queen hat damit nichts zu tun"  
Staceyann: "Aber Mama, sie hat all das Geld geerbt."  

Forderung nach Entschädigungen durch Großbritannien

Demonstrantin mit einem Plakat
Der Druck auf die Monarchie wächst. | Bild: NDR

Geld, das auch in Kingston, früher ein Sklaven-Umschlagplatz, erarbeitet wurde. Die ehemalige Kolonie, damals noch wertvoll für die Briten, ist heute arm. Im März dieses Jahres sind Prinz William und Herzogin Kate zu Besuch. Nicht alle wollen dem Paar zujubeln.  Demonstranten fordern Entschädigungen – auch Staceyann Chin ist dabei. "Deren Zeiten sind vorbei, die Monarchie ist ein Relikt. Wir sollten das hinter uns lassen – und nach vorne schauen." 

Die Folgen der Kolonialzeit sind immer noch spürbar, sagt Ricardo Burke von der Nichtregierungsorganisation "Yutes 4 Change". Im täglichen Überlebenskampf aber denke fast keiner über die Queen nach. Er zeigt uns Orte, die die Queen nie besucht hat: Armut, kaputte Familien – darunter leiden sie hier. Burke organisiert Hausaufgaben-Hilfe mit einfachen Mitteln. Wiedergutmachung fände er wichtig: Es müssten in Pfund Milliarden sein, weil sie uns so viele Ressourcen geraubt haben. Aber es gibt dafür bisher keine Entschädigungen – und nach 70 Jahren keine Entschuldigung."  

Der Druck auf die Monarchie wächst

Die jüngere Generation stelle immerhin Fragen: Warum Jamaika eine weiße Königin hatte – und künftig einen König. "Wenn sie unser Staatsoberhaupt ist, warum wählen wir überhaupt eine Regierung. Ist sie nur symbolisch oder hat sie Macht? Und wenn sie nur symbolisch ist – warum haben wir sie dann noch?", sagt Studentin Annalease Nolan.

Der Druck auf die Monarchie wächst - von jungen Anwältinnen wie Danielle Archer und Aktivisten. Per offenem Brief fordern sie, die koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten und listen Gründe auf, warum eine Entschädigung überfällig sei. "Unsere heutigen wirtschaftlichen Bedingungen sind eine Folge des Kolonialismus. Unsere psychologischen Probleme sind Folge davon. Unsere fehlende Entwicklung ist eine direkte Folge des Kolonialismus", erklärt Danielle Archer vom Advocates Network Jamaica. Denn die Gewinne flossen ins Empire ab. Zurück blieb eine unterentwickelte Wirtschaft. Selbst als die Sklaverei abgeschafft wurde, entschädigte die Krone nur die ehemaligen Sklavenhalter. "Die Nachkommen des Sklaven bekamen keinen Cent, weil wir wie Eigentum behandelt wurden. Es gibt Geschichten darüber, dass afrikanische Sklaven von den Schiffen geworfen wurden, damit die Besitzer eine Entschädigung für das verlorene 'Eigentum' erhielten. Ihr habt unseren Wert damals bemessen. Also sag heute nicht, dass du nicht weißt, wie viel Du zahlen sollst. Das ist lächerlich", sagt Archer.

"Die Queen ist nicht jamaikanisch"

Ihre Tochter Zuri, sagt Poetin Staceyann Chin, ist nun die nächste Generation, die definitiv ein anderes Jamaika erleben soll – ohne weißen König, mit einem Staatsoberhaupt von hier: "Die Menschen, die Macht haben, sollten Menschen sein, die wir wählen. Ich möchte, dass wir jamaikanische Anführer haben. Die Queen ist nicht jamaikanisch. Wieso war sie hier eine Führungsfigur." Und die Zeit der Prinzessinnen sei auch vorbei. "Alle Prinzessinnen in Disney-Filmen sind so königlich, alles, was sie tun, ist aufstehen – dann machen andere Leute alles für sie. Prinzessinnen wirken so hilflos", sagt Zuri.

Sie solle selbstbewusst in eine neue Zukunft gehen. Dazu, sagt Staceyann, gehört ein Kampf um Symbole. Und der fängt gerade erst richtig an. Die Forderung: "Geben Sie jetzt alles zurück, was Sie ohne Zustimmung genommen haben. Es ist 2022. Wer braucht da einen verdammten König?"

Autorin: Marie-Kristin Boese, ARD-Studio Mexiko

Stand: 18.09.2022 18:58 Uhr

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