So., 27.11.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Mexiko: Lucha Libre – Catchen bedeutet Freiheit
Lucha Libre ist ein Volkssport in Mexiko, vergleichbar mit Wrestling in den USA. In fast jeder Stadt gibt es Stadien oder Freiluftarenen, in denen Kämpfer und Kämpferinnen gegeneinander antreten. Karin Zeiske aus Bonn ist wohl die einzige Deutsche, die beim Lucha Libre kämpft.
Wenn sie im Ring kämpft, ihre Gegnerinnen zu Boden wirft, dann fühlt sich Zeiske am wohlsten. Angekommen als wohl einzige deutsche Wrestlerin beim mexikanischen Volkssport Lucha libre. Wir sind in Ciudad Juarez. Die Grenzstadt ist Zwischenstation für Tausende Migranten Richtung USA – und berüchtigt für Gewalt und Drogenhandel. Ausgerechnet hier hat Zeiske ein neues Zuhause gefunden. Es ist später Vormittag. Noch hat sie Zeit, durchzuatmen. Ein Titelkampf steht an im Lucha libre. Mit Schminke und Kostüm verwandelt sich Kathrin in Miss Kath. "Am wichtigsten ist mein neues Outfit: Stiefel, Strumpfhosen. Und das hier ist meine Lizenz zum Töten." Ihr Partner ist ein Star in der Szene. Auf Reisen lernte Kathrin ihn kennen, weil ihr die Heimat Bonn zu eng war. Das Kämpfen ist für beide Lebensinhalt. Gerade in Ciudad Juarez, einem der gefährlichsten Orte der Welt. Hier schlägt sich Kathrin durch in einem Männer-Sport. Lucha libre sei auch gelebter Feminismus. "Das hoffe ich auch, dass Frauen dadurch in dieser krassen Stadt mehr Selbstbewusstsein erlangen, in den Kampfsport gehen."
Lucha libre: Volkssport und Ablenkung vor schwierigem Alltag
Als Deutsche wurde sie erst nicht ernstgenommen. Inzwischen bitten Jugendliche um Selfies mit ihr. Lucha libre ist Volkssport und Ablenkung von einem schwierigen Alltag. Die Kämpfer sind Vorbilder und Stars. "Lucha libre ist das, wo ich irgendwie am meisten Mexikanerin geworden bin. Das gehört zur Populärkultur, jedes Kind kennt die Masken und die moves", sagt Kathrin Zeiske. Und jeder kennt sie als Miss Kath, die für Stärke und Größe steht.
Die erste Gegnerin im Kampf um den Titel wartet schon. Privat mögen sich Miss Kath und Universis, aber im Ring gibt es kein Mitleid. Die Masken und prächtigen Kostüme sollen die Gegner einschüchtern. Kathrin hat in vielen Städten gekämpft, aber die kleinen Arenen mag sie am liebsten kämpfen: "Mir geht nirgendwo mehr das Herz auf, als wenn ich irgendwo in einer Arena kämpfe und begeisterte Familien sehe, dass Leute Spaß haben und alles raushauen an Schimpfwörtern, was geht."
In Ciudad Juarez sollen die Show-Kämpfe einst entstanden sein. Weil Zeiske davon allein nicht leben kann, schreibt sie als Journalistin über ihre Stadt. Ciudad Juarez erzähle viel über die Welt. Auf mexikanischer Seite wird in Fabriken billig für die USA produziert. Die Migranten, die in die USA flüchten – ein alltägliches Bild. Schicksale, über die sie in ihren Texten berichtet. Sie sagt: "In Deutschland lebt es sich in so einer Blase und man kriegt eben nichts mit. Wie hängt eigentlich so mein eigenes Leben, mein eigener Konsum mit allem, was draußen passiert zusammen. Hier hast du eine Fabrik von Bosch stehen, dann hast du hier diese unsägliche Mauer. Und alles ist so direkt vor der Haustür verknüpft."
Sie kämpft für Veränderung, mit Freunden – und mit kleinen Schritten. Zusammen haben sie einen Altbau gekauft, renoviert, ein Kultur-Zentrum gegründet. Ein Treffpunkt für soziale Gruppen, Umweltschützer, Künstler. Im Keller baut eine Fahrrad-Gruppe Räder zusammen. Die Einzelteile sind gespendet. Die fertigen Fahrräder wollen sie Migranten schenken, damit die sich bewegen können. Neben den hässlichen habe die Stadt auch schöne Seiten. Vor allem Menschen, die abseits krimineller Strukturen ihren Alltag meistern. "Mir ist wichtig, dass es Plätze wie diesen gibt, wo man ohne viel Geld zusammen sein kann und ohne daran zu denken, wie man Geld verdienen kann. Sondern, es soll einfach ums Wohlergehen von allen gehen."
Vision für junge Frauen und Männer aus der Unterschicht
Lucha libre bleibt der wichtigste Teil ihres Alltags. Sie genießt selbst das anstrengende Training. Heute übt Kathrin mit Universis. Auch sie hat im Kämpfen ihren Weg gefunden: Weg von Problemen der Familie. Aggressionen lasse sie im Ring. Sie wolle andere inspirieren, zeigen, dass alles möglich ist: "Es gibt derzeit viel Gewalt gegen Frauen. Wir zeigen hier im Ring: Du schaffst das, du kannst dich verteidigen, streng dich an – es gibt einen Ausweg."
Beim Kampf um den Titel geht es inzwischen in die entscheidende Runde. Doch dann fliegt Miss Kath plötzlich raus. Den Sieg holt sich eine andere. "Ich hätte sehr gerne die Championchip mit nach Hause genommen. Aber meistens ist es eben so: sekundenschnelle Entscheidung – und alles kann passieren." Aber das hat sie beim Lucha libre und in Ciudad Juarez gelernt. Aufstehen und weitermachen – scheitern gehöre einfach dazu. "Lucha libre ist hier eben ein großer kultureller Ausdruck und so ist es eine Möglichkeit, eine Vision für junge Frauen und Männer aus der Unterschicht, wo sie sagen: Ah, ich könnte auch Lucha-Star werden. Und dann am Wochenende eben einmal schminken, einmal Star sein und im Ring stehen – und dann wieder Koffer packen und nach Hause gehen."
Autorin: Marie-Kristin Boese, ARD-Studio Mexiko City
Stand: 27.11.2022 20:15 Uhr
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