Mo., 26.03.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Neuseeland: Immobilienkrise zwingt Familien in Garagen
Wohin nur mit der ganzen Wäsche? Sera Kelamete lebt mit ihrer Familie in einem Obdachlosenheim. In zwei Zimmern türmt sich der ganze Hausstand. Vor einem Jahr mussten sie aus ihrer Wohnung raus. Die Miete wurde unbezahlbar, verschlang plötzlich Dreiviertel ihres Einkommens. Ein paar Nächte im Auto, dann nahmen sie Verwandte auf, die selbst zu wenig Platz hatten. Die Zusage vom Obdachlosenheim vor ein paar Wochen wie ein Sechser im Lotto: "Wir sind total glücklich, dass wir alles hinter uns lassen konnten und hier ein paar Quadratmeter für uns allein haben. Das ist nicht viel, aber doch besser als in einer überfüllten Wohnung zu übernachten."
Das Obdachlosenheim für Familien kann sich vor Anfragen kaum retten. Es gibt viel zu wenig Sozialwohnungen. Für viele Familien mit kleinem Einkommen ist eine Wohnung auf dem freien Markt aber unbezahlbar. Sera arbeitet zeitweise als Sozialarbeiterin, ihr Mann schuftet 40 Stunden und mehr auf dem Bau. Sie haben versucht, wenigstens eine Zwei-Zimmer-Wohnung zu finden, die ins Budget passt. Keine Chance. "Ich kann ja die Vermieter nicht anlügen. Wenn ich aber ehrlich sage, dass wir zu sechst sind, bekommen wir die Wohnung nicht. Sorry, heißt es dann. Das wäre illegal, gegen das Gesetz. Suchen sie sich woanders was Größeres. Aber wir können uns nun mal nicht mehr leisten", sagt Sera Kelamete.
Wohungsnot: Garagen werden vermietet
Nur einem von zehn Obdachlosen in Neuseeland kann geholfen werden geholfen. Und Obdachlosigkeit hat in Auckland viele versteckte Gesichter: So werden Garagen zu Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmern. Legal ist das nicht, aber mehr als die Miete für eine Garage können manche Familien nicht aufbringen – selbst mit Vollzeit-Jobs. Die Mieten sind in den vergangenen Jahren um 25 Prozent gestiegen, die Löhne nur um 14 Prozent.
Vielen ist es unangenehm, darüber zu sprechen. Ein zweifache Familienvater arbeitet als Gabelstaplerfahrer. Umgerechnet 2.800 Euro verdient er im Monat. 1.000 Euro gehen für die Miete der Garage drauf, Toilette und Dusche nutzen sie im Haus. "Wir haben ja auch andere Ausgaben, müssen von irgendwas leben. Ich kann nur hoffen, dass ich mal einen besser bezahlten Job finde", erzhält er.
Preise für Immobilien besonders in Auckland stark angestiegen
In Auckland ist die Situation besonders prekär. Vergangenes Jahr kamen 70.000 Einwanderer nach Neuseeland, etwa 40 Prozent blieben in der boomende Großstadt. In den vergangenen zehn Jahren ist Aucklands Bevölkerung um fast die Hälfte gewachsen. Die Folge: Die Preise für Immobilien schnellten in die Höhe. Hausbesichtigung in einer der besseren Gegenden der Stadt. Der chinesisch stämmige Makler führt eine Familie herum. Asiaten sind hier Premiumkunden. Vor allem Chinesen lieben das kleine, saubere Land am Ende der Welt.
Von den chinesischen Kunden ist Immobilienmaklerin Heather Walton begeistert. Sie seien meist schnell entschlossen und nicht so kritisch wie alt eingesessene Neuseeländer. Natürlich habe das die Preise in die Höhe getrieben. Aber es kämen auch genauso viele Briten ins Land. Über die rede nur keiner. Die Regierung will es jetzt ausländischen Investoren generell schwerer machen, zu kaufen.
"Viele Leute verlassen Auckland"
Der neuseeländische Traum vom eigenen Häuschen mit kleinem Garten sei für viele junge Mittelschichts-Familien in Auckland inzwischen völlig unrealistisch, sagt Heather Walton, die schon seit Jahrzehnten mit Immobilien handelt. "Viele Leute verlassen Auckland, weil Immobilien einfach unerschwinglich sind. Gerade für Familien ist es zu hart, wenn die Eltern nur noch arbeiten und arbeiten, um den Kredit abzuzahlen und ihre Kinder nicht mehr sehen. Was ist das auch für ein Leben? Chinesen empfinden das offenbar anders", sagt die Maklerin.
Zurück im Obdachlosenheim: Einst hatte Neuseeland einen Sozialstaat zum Vorzeigen. Doch es gab drastische Einschnitte. Sera Kelamates Familie gehört dabei zu den Verlierern. Sie selbst kam als Kleinkind mit ihren Eltern aus Samoa, um hier ihr Glück zu suchen. Die Rechnung ist nie ganz aufgegangen. "Wir können nicht wählerisch sein. Es gibt so viele, die auf ein Zuhause hoffen. Wir müssen halt warten, bis wir dran sind. Stellen Sie sich vor: Eine Familie lebt schon seinem Jahr hier und hat immer noch nichts gefunden." 5.500 Wohnungen fehlen derzeit allein in Auckland.
Leben im Obdachlosenheim
Seras Mann kommt nicht zum Abendessen. Ihm ist es peinlich, dass er mit seiner Familie hier leben muss. Daher will er lieber nicht vor die Kamera. "Ich hoffe, dass es meinen Kindern mal besser geht. Sie wissen, dass wir im Moment nicht viele Wünsche erfüllen können. Und sie sollen in der Schule Gas geben. Denn sie halten ihre Zukunft selbst in der Hand", sagt Sera Kelamete. Lea, Waitangi und Lafi sprechen ihr Abendgebet. Seid dankbar, für das, was ihr habt, predigt ihnen ihre Mutter. Eine Tischdecke aus altem Zeitungspapier, ein Alltag zwischen hochgestellten Stühlen im Obdachlosenheim. Die Kelametes wissen im Moment nicht, ob sie dieses Leben irgendwann hinter sich lassen können.
Autorin: Sandra Ratzow, ARD-Studio Singapur
Stand: 02.08.2019 00:27 Uhr
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