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Russland: Ukrainische Flüchtlinge im Grenzgebiet

Russland: Ukrainische Flüchtlinge im Grenzgebiet | Bild: NDR

Sie kommen an im eigentlich verfeindeten Russland – doch die Ukrainerinnen und Ukrainer aus Mariupol sind froh, in der Stadt Taganrog erstmal sicher zu sein vor den Bomben. Das Erlebte sprudelt aus Ihnen heraus: "Wir haben in Kellerräumen gelebt. Alles wurde abgestellt. Erst der Strom, dann die Heizung. Es gab kein Netz, überhaupt keins. Du hörst nichts, du weißt nichts, du sitzt, wartest und horchst auf die Kampfjets, wie sie heranfliegen und wieder wegfliegen. Dann Panzer, Grad-Raketen, Granatwerfer. Bomben“, sagt eine junge Frau. Eine andere ergänzt: "Überall lagen abgedeckte Leichen. Unsere Stadt existiert nicht mehr. Ich habe gedacht: Es kann doch nicht sein, dass man uns im Stich gelassen hat, die haben uns vergessen! Und es gab einfach kein Wasser!" Ein Mann sagt: "Wir haben Wasser aus der Heizung abgelassen und das getrunken. Rostiges Heizungswasser! Und daraus Suppe und Brei zubereitet. Stellen Sie sich das vor!"

Auf der Flucht haben Menschen ihre Angehörigen verloren

Menschen in einer Turnhalle auf Feldbetten.
Eine Turnhalle dient als Zwischenstation in andere Unterkünfte. | Bild: NDR

Viele der nach Russland geflohenen Einwohner stammen aus den östlichen Stadtteilen Mariupols – jenen, die besonders früh von russischen und pro-russischen Truppen eingenommen wurden. Auf dem Weg durch pro-russische Rebellengebiete haben viele spezielle Sicherheitschecks durchlaufen, ihre Telefon-Kontakte zeigen müssen. In Russland dürfen sich Ukrainerinnen und Ukrainer drei Monate ohne Visum aufhalten, sie dürfen das Lager verlassen, auch selbstständig weiterreisen, wenn sie dafür Geld haben.
Für die übrigen sind die Turnhallen eine Zwischenstation in andere Unterkünfte. "Die Menschen sind hier nicht länger als einen Tag. Sie kommen in der Regel zwischen acht Uhr abends und fünf Uhr morgens. Tagsüber werden sie weggebracht. Es werden Gruppen zusammengestellt, um sie in verschiedene Regionen unseres Landes zu schicken. Dort bekommen sie dann gute Lebensbedingungen", sagt Sergej Gundarew vom Flüchtlingsaufnahmezentrum Taganrog.

Viele Kinder sind in Taganrog, ältere und kranke Menschen wurden offenbar priorisiert über die Grenze gebracht. Auf der Flucht haben zahlreiche ihre Angehörigen verloren und suchen sie nun. Ihre Wohnungen in Mariupol sind zerstört, ihr ganzes Hab und Gut in wenigen Taschen, manche haben aber ihre Haustiere gerettet. Frage: "Warum sind sie ausgerechnet hierher nach Russland geflüchtet?" "Uns hat niemand anderes gerettet. Ukrainische Soldaten in Mariupol haben uns gesagt, wir seien wie sie jetzt Geiseln in der Stadt. Wir würden zusammen sterben. Wir sind dann einfach losgerannt, egal wohin, egal zu wem, Hauptsache raus aus dieser Hölle", sagt eine ältere Dame. "Es ist so furchtbar, wenn vor deinen Augen Menschen in Stücke zerrissen werden."

Viele hoffen, nach Mariupol zurückkehren zu können

Anders als draußen, sind wir hier nicht allein. Eine freiwillige Helferin filmt unsere Interviews im Innern des Sportzentrums mit dem Handy mit. Sie und die Pressesprecherin begleiten uns. Dennoch empfinden wir die Geschichten der Menschen weitestgehend als authentisch. Sie erzählen uns, dass sie von russischen und pro-russischen Truppen nach Russland gebracht wurden. Ohne dass sie eine Wahl hatten. "Uns haben Tschetschenen evakuiert. Die waren schon in unserem Haus. Sie haben uns in das Dorf Wynogradnoe gebracht und dann weiter zu einem Checkpoint", erzählt eine junge Frau. Eine ältere Dame: "Es kamen Aufständische aus der Donezker Volksrepublik und sie haben uns weggebracht, haben uns geholfen. Wir wussten gar nicht, wo man uns hinbringt."
In welche Region in Russland sie nun gebracht werden, erfahren sie erst am Tag der Abfahrt. Heute geht ein Zug nach Kasan, anderthalb Tage dauert die Reise – die Busse bringen sie zum Bahnhof. Viele hoffen, einmal in ihre Heimatstadt Mariupol zurückkehren zu können, wenn sie wieder aufgebaut ist. Doch das scheint bisher ein Traum in sehr weiter Ferne zu sein.

"Die russische Armee bombardiert keine friedliche Bevölkerung"

Auf der Uferpromenade in Taganrog, nur ein paar Kilometer entfernt, herrscht Wochenendstimmung. Die Russinnen und Russen hier leben in einer anderen Welt. "Die russische Armee bombardiert keine friedliche Bevölkerung. Eindeutig", wird gesagt. Oder: "Die ukrainische Regierung ist sehr schlecht, furchtbar. Sie versteht nicht, was das eigene Volk will". Eine Frau meint: "Das ist hier unser Leben. Das was bei denen passiert, das sind deren Probleme. Die wollten das so."

Mariupol und Taganrog. Zwei Städte am Asowschen Meer in derzeit zwei völlig unterschiedliche Welten.

Autor: Demian von Osten, ARD-Studio Moskau

Stand: 05.04.2022 17:10 Uhr

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