So., 30.10.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
USA: Vor den Midterm-Wahlen - Die Angst der Demokraten
Straßenwahlkampf ist Fleißarbeit. 250 Türen schafft Joey Van Deurzen an guten Tagen. Er will für die Demokraten ins Landesparlament von Wisconsin einziehen. Dafür kämpft der 20-Jährige um jede einzelne Stimme. "Wir haben nicht immer die höchste Wahlbeteiligung, vor allem nicht bei Zwischenwahlen, aber dieses Mal steht so viel auf dem Spiel. Wir müssen jeden mobilisieren."
Für die ersten 3.000 Türen gibt es 3.000 Dollar
2.000 Dollar Startkapital hat er von seiner Partei bekommen. Für die ersten 3.000 Türen kommen 3.000 Dollar dazu. An jedem freien Wochenende zieht der Student los. Eine App auf seinem Handy zeigt ihm, wo Wähler der Demokraten wohnen. An Türen von Republikanern zu klopfen macht keinen Sinn. Sie kann er ohnehin nicht überzeugen. Umso wichtiger ist die eigene Basis. Doch deren Frust ist groß – gerade bei jüngeren Wählern. Das bekommt auch Joey zu spüren. Vor allem der amtierende Präsident wird im Wahlkampf zum Klotz am Bein. Joe Biden hat viele Stammwähler der Demokraten enttäuscht. "Die demokratische Partei braucht definitiv jemand anderen. Beim letzten Mal hatten wir die Wahl zwischen Pest und Cholera, aber definitiv nicht den besten Kandidaten, den wir haben", sagt eine Frau an einer Tür.
Mit einem Erlass von Studiengebührenkrediten hat Joe Biden zuletzt versucht, bei den Jungen zu punkten. Davon würde auch Joey profitieren. 60.000 Dollar hat ihn sein IT-Studium bislang gekostet. "Ich hoffe, das bringt viele junge Wähler an die Urne. Darauf haben viele gewartet. Joe Biden hat es versprochen. Nicht auszudenken, was passiert, wenn er das jetzt nicht halten kann", sagt van Deurzen.
Studierende sine entscheidende Wählendengruppe
Das fragt sich auch Tammy Baldwin. Sie sitzt für die Demokraten im Senat in Washington und ist gekommen, um Kandidaten wie Joey Mut für den Wahlkampf-Schlussspurt zu machen. Er soll ihr helfen, die Stimmen der Jungen zu gewinnen. Auf sie ist ihre Partei angewiesen. Muss sie nur einen Sitz im Senat abgeben, ist die Mehrheit im Kongress für Joe Biden verloren. "Wir versuchen die 18-Jährigen zu erreichen, die zum ersten Mal wählen dürfen!", sagt die Senatorin.
Vor allem die 120.000 Studierenden in Wisconsin sind eine entscheidende Wählendengruppe. "In Wisconsin kann man selbst bestimmen, ob man da wählen möchte, wo man aufgewachsen ist oder lieber hier, wo man studiert. Dafür werben wir", erklärt Tammy Baldwin.
Hannah Beauchamp-Pope ist selbst noch Studentin. Gleichzeitig kandidiert auch sie zum ersten Mal für die Demokraten in Wisconsin. Im Wohnheim ihrer Universität wirbt sie schon früh am Sonntagmorgen um die Stimmen ihrer Kommilitonen. Für viele hier ist die 21-Jährige ein Vorbild, weil sie jung, weiblich und schwarz ist. Das genaue Gegenteil von Joe Biden. "Die ältere Generation nimmt uns Jüngeren oft nicht ernst. Wenn Sie dann sehen, dass wir uns auch engagieren, sind sie beeindruckt. Das macht mir Mut", sagt eine Studentin.
Junge Wählende fühlen sich nicht gut vertreten
Viele junge Wählende fühlen sich von dem ältesten Präsidenten in der Geschichte Amerikas nicht vertreten. Sie wünschen sich einen personellen Neuanfang. "Jemand, der noch keine 80 ist, wäre schon nett. Vor allem jemand, der versteht, was die Amerikaner wirklich wollen. Joe Biden tut doch nur so", sagt eine andere Studentin.
Vielleicht sieht die Zukunft ja wie Hannah aus. Sie will auf jeden Fall weitermachen – egal wie die Wahl ausgeht: "Hier an der Universität fangen viele Studenten erst an, sich mit den Problemen der Welt zu beschäftigen – und fühlen sich dann hilflos oder gelähmt. Wenn sie dann jemand Jüngeren sehen, der wenigstens versucht, etwas zu ändern, macht ihnen das Hoffnung."
Gut eine Woche bleibt Joey und Hannah noch, um möglichst viele junge Wähler zu überzeugen. Joe Biden und die Demokraten sind auf sie angewiesen – nicht nur in Wisconsin.
Autor: Torben Börgers, ARD-Studio Washington
Stand: 30.10.2022 20:57 Uhr
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