So., 22.01.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
USA: Überleben mit ein-Dollar-Läden
Im Oktober erreichte die Inflationsrate in den USA ein 40-Jahres-Hoch. Inzwischen scheint die Zinspolitik der Zentralbank zu wirken, im Dezember lag sie bei 6,5 Prozent. Doch Lebensmittelpreise sind weiterhin hoch, und die Folgen für US-amerikanische Familien noch immer spürbar. Sie müssen genau hinsehen, was sie ausgeben. Wie wird diese Versorgungssicherheit in ländlichen Gegenden der Vereinigten Staaten gewährleistet? Ein Ehepaar aus Minnesota hat sich für ihre 600-Einwohner-Gemeinde etwas einfallen lassen.
Familiengeführter Supermarkt mit Mitgliedern
"Mit der Inflation ist es immer wieder ein kleiner Preisschock, wenn wir jede Woche unsere Warenbestellungen aufgeben. So wie die Preise schwanken", sagt Caileen Ostenson und Ehemann Alex Ostenson ergänzt: "Ein Blumenkohl hat mal 3,99 Dollar gekostet. Aber vor ein, zwei Monaten sollte ein einziger Blumenkohl auf einmal 19 Dollar kosten." Also gab es eine zeitlang keinen Blumenkohl. Im kleinen Laden von Alex und Caileen Ostenson.
Sie wagen dort zu öffnen, wo Supermärkte normalerweise schließen. Auf dem Land. Wo es seit Jahren keinen Lebensmittelladen mehr gibt. Genau dort gründen sie nicht nur einen Laden, sondern wollen auch faire Preise anbieten. Eine Herausforderung: "Als ich gemerkt habe, dass mein Mann es ernst meint, haben wir uns gefragt, ob das mit einem traditionellen Modell überhaupt funktionieren würde oder ob wir das ganze anders aufziehen müssen. Und so kam Alex auf eine etwas andere Idee", erzählt Caileen Ostenson.
Die Lösung: Außer ihrer Familie gibt es kein Personal in ihrem Main Street Market – mitten auf dem Land, im 600-Seelen-Ort Evansville, im ländlichen Minnesota. Drei Tage die Woche haben sie dort für Laufkundschaft geöffnet. Angemeldete Mitglieder aber kommen rund um die Uhr rein – mit einer App auf dem Handy, für 75 Dollar im Jahr. So schafft das junge Ehepaar es überhaupt den Laden am Laufen zu halten. Und das Leben ihrer Kunden, der Einwohner in der Kleinstadt wesentlich zu erleichtern. "Unsere Lebensmittelrechnungen, ob zu Hause oder auf der Arbeit sind um 30, 40 Prozent gestiegen. Und die Löhne sind nicht mitgezogen. Wenn man heute essen will, muss man sich wirklich überlegen, was man kocht. Die Preise sind so hoch, das hat eine große Auswirkung", sagt Kunde Brandon Bergstrom.
Zeiten werden schwieriger
Für viele US-Amerikanerinnen und -Amerikaner geht es inzwischen um jeden Dollar. Fast alle im Ort berichten, dass die Zeiten immer schwieriger werden. Ein geregeltes Einkommen, Ersparnisse auf dem Konto und bei einigen kaum genug, um über die Runden zu kommen – niemand hier hätte sich das vorstellen können. "Vor allem in diesen Tagen, in denen auch das Benzin so teuer ist und ich sonst immer eine halbe Stunde zum nächsten Laden fahren müsste. Da ist es wirklich wichtig, dass ich hierher kommen und einkaufen kann", sagt Kundin Deb Berry.
Ein paar Blocks weiter wohnt Deb gemeinsam mit ihrer 85-jährigen Mutter. Sie sind beide frustriert, nicht mehr so unbeschwert wie früher leben zu können: "Einige Dinge, die vorher normal waren, mussten wir ändern. Und somit auch, was man einkauft, was man isst. Natürlich würde ich meiner Mutter und mir gerne jeden Tag der Woche Fleisch zubereiten, aber das ist nicht mehr möglich. Noch nicht mal mehr ein Mal die Woche." Sie sagen zwar auch es gehe ihnen noch gut genug. Doch trotzdem hoffen Deb und ihre Mutter auf bessere Zeiten.
Inflationsrate sinkt - Rezessionsgefahr bleibt
Und es gibt Grund zur Hoffnung. Hier, wie in den ganzen USA. Die Inflationsrate sinkt. Die Arbeitslosenzahlen sind niedrig. Doch die Rezessionsgefahr bleibt – genauso wie die hohen Lebensmittelkosten. In ländlichen Regionen, sogenannten Food Desserts, macht dies die Lage noch herausfordernder. Schon viele Jahre kämpfen die Menschen damit, dass sie zum Einkaufen weite, oft zu weite Strecken auf sich nehmen müssen. Auch im von Evansville zwanzig Minuten entfernten Hoffman drohte der letzte Supermarkt nun zu schließen. Das konnten die Ostensons aber nicht zulassen: "Wir hatten nicht geplant, so schnell einen zweiten Laden zu eröffnen. Aber dann rief mich ein Freund an und sagte: 'Hey, in einem Nachbarort gibt es einen Laden, der geschlossen werden soll.' Also sind wir her und haben geschaut, ob wir das hinbekommen", erzählt Alex Ostenson.
Und es klappt: Mit finanzieller Hilfe eines regionalen Förderprogramms können sie das Projekt angehen. Und klar, sie wollen auch generell Geld machen mit ihren Kleinstadt-Supermärkten. Vielleicht sogar noch weiter expandieren. Doch im Vordergrund steht für sie, der Gemeinde etwas Gutes zu tun. Alex Ostenson: "Wir hätten niemals gedacht, dass wir einmal Supermarkt-Besitzer werden würden. Wir sahen aber den Bedarf. Und als Problemlöser, die wir sind, haben wir einen Weg gefunden. Schon interessant, wie es dazu gekommen ist." Ihr Projekt, mit dem sie hoffen, auch ihren Kindern eine Zukunft auf dem Land zu garantieren.
Autor: Jan Koch, ARD-Studio Washington
Stand: 22.01.2023 19:48 Uhr
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