Mo., 04.06.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Usbekistan: Der Kampf ums Wasser
Rostige Fischerboote sind die stillen Zeugen einer längst ausgelöschten Zeit. Sie erzählen vom himmelblauen Meer in der Wüste – vom Aralsee. Heute erstreckt sich nichts als Sand bis zum Horizont. Der Strom Amu-Darja füllte den Aralsee. Vadim Sokolow arbeitet für die Internationale Stiftung zur Rettung der Aralseeregion (IFAS). Aber an die Rettung des einst Blauen Meeres glaubt er nicht mehr. Usbekistan trocknet aus: "Wir Usbeken hängen vom Wasser der Nachbarn ab. Über 80 Prozent des Wassers, das wir nutzen, kommt von den Nachbarn. 1986 fuhr hier das letzte Schiff."
Mehr als 1.000 Konferenzen konnten eine der größten Naturkatastrophen der Welt nicht aufhalten. Viele Beschlüsse, sagt Vadim Sokolow, existierten nur auf dem Papier. Sein Ziel: Die Welt um Hilfe zu bitten, um die Region zumindest lebenswert zu machen.
Vom Kurort zum bitterarmen Landstrich
Muynak war einst ein Kurort, eine Insel im Aralsee. Heute ist es ein bitterarmer Landstrich. Erst seit einigen Monaten gibt es hier sauberes Trinkwasser. Dämme bauen. Das ist Vadim Sokolows Hauptaufgabe. Damit der letzte Rest des Flusses nicht im Sand versickert.
Pilot Wladimir Zuyew flog früher Badeurlauber in die einstige Sommerfrische Muynak. 15 Flüge täglich, erinnert er sich. Heute hilft er den Wissenschaftlern, die Katastrophe zu erforschen. Sie habe alles verändert, sagt er: die Routen der Zugvögel, das Klima: "Im Sommer haben wir Staub- und Sandstürme, und extreme Hitze, bis zu 60 Grad. Im Schatten 46, 47 Grad… Es schwankt total. Heute kalt, morgen schon 25 Grad."
Asthma, Nierensteine, Augenleiden – Krankheiten nehmen zu
Der feine Staub in der Luft ist mit den Augen kaum sichtbar – wie ein Nebel. Die Einwohner von Muynak atmen ihn jeden Tag ein. Jedes Fenster ist mit Folie abgeklebt. Seit der See weg ist, sind die Krankheiten gekommen. Asthma, Nierensteine, Augenleiden. Ein Arzt erzählt uns, als die Kamera aus ist, dass 20 Prozent der Kinder an Tuberkulose leiden. Offen spricht niemand darüber. Wie giftig der Staub des Seebodens ist, das ist in Usbekistan immer noch Verschlusssache. "In der Sowjetunion setzte man Pestizide ein für die Landwirtschaft. Diese Pestizide flossen mit dem Wasser weg. Aber jetzt ist der Aralsee trocken, und mit seinem Staub werden Pestizidreste und Abfälle aus Abwässern aufgewirbelt - und in alle Richtungen geweht", sagt Juldaschbai Dosimow, der im Krankenhaus Muynak arbeitet. Nicht nur das. Auf den Inseln des Aralsees testete die Sowjetunion auch biologische Kampfstoffe. Wasseringenieur Sokolow bestätigt das. Mehr darf er uns nicht sagen.
Zu Besuch beim Gebietschef Sailaubai Daniarov: Eine Antwort auf unsere Frage, wie es zur Austrocknung des Aralsees kommen konnte, fällt ihm sichtlich schwer. "Nun, vielleicht ist das eine viel zu komplizierte Frage für mich. Ich kann sie jetzt nicht beantworten." Wir sind von nun an im Visier. Ein Beamter verfolgt uns, unsere Fahrer werden angerufen und gefragt, wo wir sind, über was wir sprechen.
Großer Wasserverbrauch durch Baumwoll-Anbau
Um zu begreifen, warum der Aralsee austrocknete, fahren wir vom Westen in den Osten Usbekistans. Unser Ziel: das Fergana-Tal. Hier leben die meisten Usbeken. Ihr einziges Auskommen: die staatlich geplante Landwirtschaft. Noch speist ein riesiges Bewässerungsnetz ihre Felder. Wasser für die Baumwolle, das weiße Gold Usbekistans. Sowjet-Diktator Stalin machte aus Zentralasien eine gewaltige Baumwollplantage. Tausende Kolchosniki bauten Kanäle. Das Wasser der zwei Ströme Zentralasiens sollte dem Sozialismus dienen. Landwirtschaft in der Wüste – auf Kosten des Aralsees, der immer weiter schrumpfte. Heute sind nicht nur viele Kanäle marode. Auch kommt immer weniger Wasser in ihnen an. Baumwolle ist der Hauptdevisenbringer, vom Staat verordnet.
Alexey Volkow und Aziz Nurbekow, zwei Experten der Vereinten Nationen, beobachten, wie die Felder immer trockener werden: "Diese traditionelle Landwirtschaft in Usbekistan verbraucht sehr sehr viel Wasser. Wenn wir anders anbauen – so wie wir es vorschlagen – dann könnten wir riesige Mengen Wasser einsparen!"
Kampf um jeden Tropfen Wasser
Wasser sparen – ein Kampf gegen Windmühlen. "Die Bauern wollen sich nicht verändern. Sie wollen alles genau so machen, wie sie es schon immer gemacht haben. Was die hier gerade machen ist diese Erde umzubringen", sagt Volkow
Um jeden Tropfen Wasser müssen sich die Bauern im Ferghana-Tal streiten. Ihre Mandelbäumchen sind verkümmert. Die Baumwolle vom Vorjahr ist kaum gewachsen. Aus Ackerland ist Ödland geworden. "Mein Kollege hat kein Wasser. Er musste aufgeben. Sein Brunnen ist leer. Und auch in unserem Viertel haben wir manchmal kein Wasser. Wir haben einen Brunnen gegraben, 30 Meter tief. Aber nichts, kein Wasser", erzählt Kleinbauer Zailobedin.
"Erhalten, was noch geblieben ist"
Staubweisse, versalzene Felder, tote Erde: In der Aralseeregion mussten die Usbeken früher als im übrigen Land lernen, ohne Wasser zu leben, erklärt Vadim Sokolow. Die Folgen von Wasserverschwendung und falscher Landwirtschaft. Die einzige Pflanze, die auf der Salzerde wächst, ist der Saksaul-Busch. Er schützt vor den Staub- und Sandstürmen. "Wir pflanzen hier, um das Voranschreiten der Wüste zu stoppen. Dieser Busch hält den Sand, so dass er nicht verweht. Außerdem reinigt er die Luft, liefert Sauerstoff", sagt Vadim Sokolow von der Internationalen Aralsee-Stiftung.
Wasseringenieur Vadim Sokolow glaubt nicht, dass sich das blaue Meer einfach zurückholen lässt. Seine Aufgabe: erhalten, was noch geblieben ist. Ein normales Leben für die Bewohner dieses Katastrophengebiets. "Das Werk des Menschen hat zu dieser Tragödie geführt. Was nun? Wir müssen die Natur schützen. Uns zur Natur anders verhalten. Aber die Menschheit muss wohl erst aus ihren Fehlern lernen. Es ist traurig." Ohne internationale Hilfe, sagt er, sei sein Kampf gegen die Ausbreitung der Wüste in Usbekistan aussichtslos.
Autorin: Golineh Atai, ARD-Studio Moskau
Stand: 03.08.2019 18:09 Uhr
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