Mo., 04.06.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Argentinien: Hilfe in den gefährlichen Armenvierteln von Buenos Aires
Sie gehen dorthin, wo sich kein regulärer Krankenwagen hinwagt: die freiwilligen Helfer des "Corriente Villera" aus Buenos Aires. In den Villas Miserias – den Armenvierteln Argentiniens – trauen sich die Fahrer des staatlichen Gesundheitsdienstes SAME seit Jahren nicht mehr hinein. Deswegen gründeten Aktivisten den "Corriente Villera", einen Freiwilligendienst derjenigen, die Slumbewohner nicht allein lassen wollten. Ihre Krankenwagen, auf denen das Konterfei Che Guevaras prangt, gehören zu einer Ambulanz-Kollektive, die unabhängig vom staatlichen System die Gesundheitsversorgung in den Außenbezirken von Buenos Aires sicherstellen. Gestartet als ehrenamtliche Initiative, unterstützt der Staat mittlerweile den Corriente Villera finanziell.
"Wir aber gehen rein – schnell und zupackend"
Ihre Dankbarkeit kann sie kaum ausdrücken. Wenn es die Helfer vom "Corriente Villera" nicht geben würde, käme Susana Castillo gar nicht erst aus dem Haus. Seit ihrem Sturz – auf dem Weg zur Arbeit – ist Susana auf den kostenlosen Transport des "Corriente Villera" angewiesen. Sie sind Helden für die Menschen hier, in den Armenvierteln von Buenos Aires. "Ich kann mir keinen anderen Krankentransport leisten. Als Putzfrau arbeite ich schwarz. Jetzt, mit gebrochenem Fuß, habe ich kein Einkommen", erzählt Susana Castillo.
Bajo Flores ist eine der größten Armensiedlungen am Rande von Buenos Aires. Und – wie viele sagen – eine der gefährlichsten. Marcos Palacios arbeitet abends als Kellner, tagsüber fährt er die Che-Guevara-Ambulanz. "In diese Viertel traut sich die staatliche Ambulanz nicht hinein. Und wenn, dann nur mit Polizeischutz. Wir aber gehen rein – schnell und zupackend", sagt er. Gute ärztliche Versorgung gibt es in den Krankenhäusern in wohlhabenden Stadtteilen. Nach der Behandlung holt die Che-Guevara-Ambulanz die Patientin auch wieder ab.
Nachbarschaftskooperative wird vom Staat unterstützt
Zum "Corriente Villera" gehört auch ein Feuerwehrwagen, denn auch bei Feuer kommt oft keine staatliche Hilfe nach Bajo Flores. "Der Staat hat Angst, in die Slums zu gehen – wegen der Überfälle und der Armut. Also haben wir uns organisiert und unsere eigene Notfall-Ambulanz ins Leben gerufen", sagt Marcos Palacios. In einem Lagerhaus schlägt das Herz der Nachbarschaftskooperative: Die einen zimmern Tische, die anderen kochen für die Nachbarn. Eine warme Mahlzeit für die vielen Menschen, die in Bajo Flores unter der Armutsgrenze leben. Dann übernehmen Valeria und Romina. Die Krankenschwestern arbeiten sonst in einem staatlichen Krankenhaus. Ihr freiwilliger Dienst hier bringt ihnen ein Zubrot. Denn: Seit Kurzem unterstützt sogar der Staat das Nachbarschaftsprojekt mit Geldern.
Der arbeitslose Matías Baltasar kann seit einer Not-OP nur am Stock gehen: "Ich hatte einen Tumor im Kopf. Der hat meine linke Körperhälfte gelähmt. Jetzt muss ich jede Woche zur Therapie, um alles neu zu erlernen." Einen Monat lang konnte Matías nicht sprechen, sich nicht bewegen. Er war ans Bett gefesselt. Die Che-Guevara-Ambulanz hilft ihm, Schritt für Schritt zurück ins Leben zu finden.
Helfen für ein würdevolles Leben
Überall in Bajo Flores zeigt die Polizei zwar Präsenz, doch das Sagen haben Drogengangs. Am Rand der Hauptstraße liegen Crack-Süchtige. Auch um sie kümmern sich die Freiwilligen: "Hier gibt es viele Überfälle. Wir werden dann gerufen, wenn es zu Verletzungen durch Messer und Waffen kommt. Da müssen wir schnell ausrücken", erzählt Valeria Chaparro.Immer wieder geben einzelne Schicksale den Helfern Kraft. Einmal die Woche besuchen sie einen Patienten, der ihnen ans Herz gewachsen ist. Das jüngste von vier Kindern von Gabriela Acosta leidet an einer unheilbaren Nervenkrankheit. Als Octavio Cesani zwei Jahre alt war, begannen seine spastischen Lähmungen. Der "Corriente Villera" besucht den 20-Jährigen regelmäßig und fährt ihn zur Therapie, damit sich sein Zustand nicht weiter verschlechtert. "Als er einen Anfall hatte, kamen sie mit einem Ärzteteam und fuhren ihn sogar in drei verschiedene Krankenhäuser. Das war großartig!“, erinnert sich Mutter Gabriela Acosta.
Für ein etwas würdevolleres Leben ist sie unterwegs – dort wo Hilfe nicht selbstverständlich ist. Die "Che-Guevara-Ambulanz" in Buenos Aires.
Autor: Matthias Ebert, ARD Studio Südamerika
Stand: 03.08.2019 18:09 Uhr
Kommentare