So., 16.08.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Belarus: Proteste gegen Lukaschenko gehen weiter
Der angeschlagene Präsident Lukaschenko und sein Regime geben sich reumütig: Der Innenminister hat sich für einige der Polizei-Übergriffe öffentlich entschuldigt. 1.000 Demonstranten, die verhaftet worden waren, sind wieder auf freiem Fuß. Aber die Menschen in Belarus demonstrieren weiter. Sie sind empört über die offensichtliche und dreiste Wahlfälschung. Die Weißrussen sind vor allem von den Berichten der Freigelassenen schockiert, weil sie von brutalen Verhören und Folter in den staatlichen Gefängnissen erzählen.
Brutale Gewalt im Gefängnis
Immer wenn die großen Transporter kommen, bangen sie. Vielleicht ist der Sohn da irgendwo drin, die Freundin, der Bruder? Manche warten hier seit Tagen auf ein Lebenszeichen. Die Transporter bringen Häftlinge aus den Polizeiwachen von Minsk in Untersuchungshaft. Sie fahren jeden Tag, seit einer Woche. 7.000 Menschen wurden in den vergangenen Tagen festegenommen – mindestens. Hier am Okrestina-Untersuchungsgefängnis ist so etwas wie eine Nachrichtenbörse. Sie haben sich auf eine lange Zeit eingerichtet. "Ich komme in der Hoffnung, dass ich irgendwas erfahre – dass sie meinen Freund freilassen, oder wenigstens um zu erfahren, dass er nicht im Krankenhaus ist, dass er in Ordnung ist. Es gibt so viele Fake News. Ich hoffe dass es Fake News sind, dass sie die Leute halbtot prügeln da drin, dass sie nichts zu essen kriegen", sagt Walerija vor dem Gefängnis.
Es sind keine Fake News. Im Gefängnis wird geschlagen: In der Nacht auf Freitag kamen die ersten Gefangenen frei. Und nahmen den Hoffenden alle Illusionen. Und wie dort geschlagen wird: Manche waren so geschwächt, dass sie gleich ins Krankenhaus kamen. Andere konnten nur mit Mühe laufen. Wie der 18 Jahre alte Jewgenij. Er wartete mit Freunden auf ein Taxi, als die Omon-Spezialpolizei kam. Man nahm sie fest, die Schläge begannen im Polizeitransporter. Später schlugen sie ihn auf der Wache und dann auf dem Weg ins Gefängnis. Aber das Schlimmste sind für ihn nicht die Schläge: "Das Aller-Allerschlimmste: Ich weiß nicht, was mit meinem Freund ist. Auf ihn haben sie den ganzen Weg über im Auto eingeschlagen. Und ich hab ihn seitdem nicht mehr gesehen."
"Schiwje belarus" – es lebe Belarus
Jewgenij wohnt in dem kleinen Dorf Aronowo Sloboda bei Minsk. Es geht ihm schon besser, sagt er. Fußballspielen geht noch nicht, aber die Beine tun nicht mehr so weh. Mehr als zehn Stunden musste er in der Haft knien, die Hände hinter dem Kopf. Mit Knüppeln haben sie auf die Beine geschlagen. Festgenommen haben sie ihn nicht bei einer Demo, sagt er – aber er hat schon einige mitgemacht. "Hier vor der Dorfschule hatten wir neulich auch eine, aber die Omon-Polzei kam und hat die Leute eingesackt. Manche haben sie aus ihren Autos gezogen und mitgenommen. Und trotzdem: Die Leute haben jetzt Hoffnung, irgendeine Zukunft", sagt der junge Mann. Wenn sie ihm noch einmal bei einer Demo erwischen, haben sie ihm gesagt, drohen ihm 15 Jahre Haft. "Ich gehe trotzdem wieder, denn alles andere ist nicht richtig. Man muss doch bis zum Ende stehen. Es ist nicht richtig, wenn das eigene Volk geschlagen wird. Wenn die Polizei einen schlägt, statt zu beschützen. Das ist doch kein Land."
Nichts ist mehr wie früher in Belarus. Auch im Nachbardorf demonstrieren sie jetzt. Weiß und rot sind die Farben der Opposition. Was sie in Minsk können, können sie hier auch. "Schiwje belarus" rufen sie, hier wie überall im Land: "Es lebe Belarus".
Autorin: Ina Ruck, ARD-Studio Moskau
Stand: 24.09.2020 21:06 Uhr
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