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Mexiko: Angst vor Corona-Pandemie – Rückzug der Indigenen

Mexiko: Angst vor Corona-Pandemie – Rückzug der Indigenen | Bild: NDR

Sie sind einfache indigene Landwirte, bekannt für ihr Kunsthandwerk. Sie leben im abgelegenen Bundesstaat Oaxaca, von vielen Landsleuten als rückständig belächelt. Doch in Corona-Zeiten sind sie plötzlich im Vorteil, denn sie leben mit der Natur und können sich selbst versorgen. Eigenes Geschirr, Wasser aus dem Fluss, Essen, Heilpflanzen. In Mexiko heißt es oft: Entweder wir sterben an Hunger oder wir sterben an Covid. Diese Angst haben die indigenen Landwirte in Oaxaca nicht.

Der Lehm ist kalt, aber doch formbar. Der Blick und die Hände von Mutter und Tochter sind geübt. Schon als Mädchen hat Margarita Cortez-Cruz das Handwerk von ihrer Großmutter gelernt: "Sie sagte, solange wir hier leben, sind wir mit dieser Erde verwurzelt. Wir bearbeiten die Erde damit sie uns Essen schenkt und auch meinen Lehm erhalte ich aus dieser Erde. Wir sind mit ihr verwurzelt." Was es für das neue Geschirr braucht ist allein Erde und Feuer. Daraus seien auch sie alle hier gemacht - aus Erde und Feuer. Es ist Regenzeit und das Wetter unberechenbar. "Wenn es stark regnet ist alles verloren, alles umsonst", sagt Abelino Ortiz. Doch das Wetter war gut zu Margaritas Familie, heftiger Regen blieb aus. Krug, Topf, Schale – alles brandheiß und gelungen, und zum Schluss besprenkelt mit Sud aus Eichenrinde.

Corona-Zeiten – Zeiten des Rückzugs

Ein Mann an einer offenen Feuerstelle.
"Man muss die Natur respektieren, sie soll nur produzieren, was wir wirklich brauchen." | Bild: NDR

Es sind Corona-Zeiten – Zeiten des Rückzugs. Die Familie schöpft nahezu alles was sie braucht aus eigenem Anbau. Und vieles schenkt die Natur ganz von selbst, man muss es nur wissen: "Die Heuschrecken haben Proteine", sagt Margarita Cortez-Cruz. Übermaß gibt es nicht und Abwechslung bringen die Jahreszeiten. Im Einklang mit der Natur leben heißt für Margarita geben und nur ein bisschen davon zurücknehmen: "Wir brauchen nicht viel zum Leben. Man muss die Natur respektieren, sie soll nur produzieren, was wir wirklich brauchen. Es geht nicht um Ausbeutung." Der Garten bietet eine kleine Hausapotheke als erste Hilfe: Pflanzen, um Fieber zu mildern und andere gegen wunde Augen.

Anders als in Mexikos-Städten, wo die Angst umgeht, wie man in der Krise finanziell überleben soll, verlässt man sich auf dem Land auf den nie verlorenen Kontakt zur Natur. So wie Margaritas Familie leben viele Nachbarn in den abgeschiedenen Tälern im Südwesten Mexikos. Ihr Leben gilt vielen Mexikanern als arm, anstrengend und unmodern, doch dass der Fortschritt sie nie erreicht hat, genau das scheint jetzt ihre Stärke.

Das Leben in der Stadt verändert den Menschen

Gregoria Cruz-Peralta bereitet etwas Proviant vor, um ihre Schwester Demetria Cruz-Peralta zu besuchen, und um ihr Ton-Geschirr zu verkaufen. Eine Stunde wird sie laufen. Die Mühe ist Gregoria egal, aber nur ungern lässt sie ihre Tiere allein, für sie ein Verhältnis auf Augenhöhe: "Ich denke, es muss eine Balance zwischen Menschen und Tieren geben, es geht nicht darum sie zu dominieren. Ich muss ihr Leben respektieren."

Demetria Cruz-Peralta macht sich in Covid-Zeiten Gedanken über den Umgang von Mensch, Tier und Umwelt. Sie ist neugierig über das moderne Deutschland zu erfahren. "Macht es euch auch so fröhlich, wenn ihr die Tiere rennen seht? Sie spielen viel. Ein Pferd macht manchmal eine Art Handstand, sehr ihr das? Oder Stiere, wenn sie kämpfen, oder wenn sie spielen, weil sie spielen viel. Seht ihr das?" Dass Tiere zu Tausenden in Ställen leben überrascht Demetria: "Stell dir mal vor die Menschen müssten so leben wie die Tiere. Dass wir alle auf einem Haufen leben müssten. Wir würdest du dich fühlen." Einmal hat Demetria die Hauptstadt Mexikos besucht. Überall Beton, Autos, Plastikmüll. Das Leben in der Stadt verändere den Menschen. "Mein Gefühl ist, die Menschen sind alle in Eile. Ihr bewegt euch wenig. Ihr genießt nicht die Umgebung. Man drückt für alles einen Knopf. Ihr benutzt Aufzüge und Rolltreppen."

Ein einfaches Leben mit einfachen Dingen

Geschirr aus Ton.
Erde und Feuer – mehr braucht es nicht für das Geschirr. | Bild: NDR

Fleisch ist ein sehr großes Geschenk, für besondere Anlässe, alle paar Monate bestenfalls. Immerhin geht ein Tier, das mit seinen Eiern der Familie half und ein neues wächst nur langsam heran. Naiv ist Demetria nicht. Der errungene Fortschritt ist wertvoll und sie hätte gerne auch etwas mehr davon. Nur, wäre ein Schritt zurück zur Natur, jetzt nicht ein Schritt nach vorne? "Wir müssen auf uns aufpassen und auf alles was uns umgibt. Ich denke, dass ist eine Gelegenheit, um nachzudenken. Dass die Natur nicht mehr so missbraucht wird."

Demetria ist auch Geschäftsfrau. Sie hat sich mit ihren Nachbarn zusammengeschlossen. Heute wird ihr Tongeschirr abgeholt, um es in den Städten zu verkaufen. Auch Demetrias Schwester ist nach einer Stunde Fußmarsch angekommen. Ihr Handwerk ist gefragt, weil es nicht Plastik, sondern ein natürliches Produkt ist.

Ein einfaches Leben mit einfachen Dingen. So wie sie immer lebten, so wollen sie durch die Pandemie gehen, die Menschen aus Erde und Feuer.

Autorin: Xenia Böttcher, ARD-Studio Mexiko-City

Stand: 24.09.2020 21:06 Uhr

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