Mo., 04.04.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Belgien: Das verwundete Land
Raus aus der Stadt, raus aus Brüssel – das ist das Ziel. Eine Erkundungsreise in Belgien. Manche sprechen mittlerweile von einem gescheiterten Staat. Ein gescheiterter Staat mitten in Europa? Wie sehen das wohl die Belgier?
Die erste Station ist Namur, die Hauptstadt der Wallonie. Auf den Märkten ist in diesen Tagen deutlich weniger los, erzählen die Händler. Eine weitere Folge der Anschläge: Die Belgier müssen sich – auch aus dem Ausland – anhören, in was für einem seltsamen Land sie da leben. Behörden, die nicht zusammenarbeiten, Ermittlungspannen. Keine Härte gegen Terroristen. Die Reaktion der Menschen: besonnen.
"Es stimmt, in Belgien ist der Staat so organisiert, dass er irgendwie auseinanderläuft. Das führt dazu, dass niemand mehr wirklich verantwortlich ist, jeder immer nur für einen kleinen Teil. Aber andererseits: In Frankreich ist das zentralisiert, und trotzdem sind sie auch nicht besser geschützt", sagt Marktfrau Nadine Schmit.
Kann die Bedrohung das Land vereinen?
"Es gibt schon eine gewisse Laxheit in Belgien, denke ich persönlich. Andere sagen das Gegenteil, aber ich glaube, es ist kein Zufall, dass der Boden für Terror hier so fruchtbar ist", fügt Henry de Frahan, ein Marktbesucher, hinzu. Und jetzt? Es ist sicher noch zu früh zu sagen, wie die Anschläge Belgien verändern werden – diesen Zusammenschluss aus Wallonie, Flandern und mittendrin Brüssel. Aber viele, mit denen wir sprechen, hoffen. "Ja, die Bedrohung könnte die Bevölkerung schon vereinen, Flamen und Wallonen. Wir sitzen alle im selben Boot. Das heißt, wir müssen uns zusammenreißen – auf der politischen Ebene, aber auch in der belgischen Bevölkerung", sagt Marktbesucherin Véronique Dancot.
Es geht weiter nach Flandern, wo manche Politiker davon träumen, Belgien zu spalten. Brüssel und der Terror scheinen weit weg. Doch auch hier kommt sie an, die heftige Kritik an Belgien. "Im Ausland ist das Image von Belgien wahrlich nicht gut. Die meisten haben eh keinen Bezug zu Belgien, und wenn sie dann hören, was passiert ist, was sollen die da Positives denken?", sagt Amber Van Vlem. Pieter Van Steenbergen erklärt: "Wir haben jetzt Pech gehabt, dass es bei uns passiert ist, meint er. Jetzt heißt es: Wie kann es sein, dass die Polizei sich nicht darum kümmert. Aber wenn es morgen in Spanien passiert, dann heißt es, dass die Regierung in Spanien nichts getan hat. Ich denke, die Menschen suchen einen Sündenbock. Und da ist es einfach, das auf die Regierung zu schieben.“
Es hätte überall passieren können
Es hätte überall passieren können, nicht nur in Belgien. Diesen Satz hören wir immer wieder. Wir sind verabredet mit Walter Van Mechelen. Der Chef eines Logistik-Unternehmens kennt Wirtschaft und Politik in seinem Land nur zu gut. Die Belgier sind ein kritisches Volk, sagt er – besonders gegenüber der eigenen Regierung. "Belgien ist ein sehr schönes nettes Land, wo die politische Lage sehr schwierig ist. Es ist sogar für Belgier ab und zu schwierig zu begreifen, wie die ganze Situation ist. Und ja, wir leben damit, aber das ist nicht immer einfach. Ab und zu ist es korrekt, dass wir kritisiert werden, aber ab und zu ist es auch übertrieben. Aber, es tut weh.“
Belgien – Momentaufnahme eines verwundeten Landes.
Autor: Christian Feld, ARD-Studio Brüssel
Stand: 11.07.2019 12:24 Uhr
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