Mo., 04.04.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Taiwan: Moderne Sklaverei – Misshandlung von Hausmädchen
Folterkammer Küche – das Opfer: Solekah, 22 Jahre, aus Indonesien. Monatelange Qualen muss sie erleiden, bis ihr die Idee mit dem Video kommt – zum Beweis. Die Peinigerin steht jetzt vor Gericht. Und Solekah flieht in ein Heim für misshandelte Gastarbeiter.
Sie kam nach Taiwan der Arbeit und des Geldes wegen, wollte ihre Eltern unterstützen. Doch sie landete in der Hölle: "Ich sollte mich um diese alte Frau kümmern. Ich wohnte auch bei ihr. Aber nach einer Woche mochte sie mich nicht mehr. Sie wurde oft böse, hat mich geschlagen, Dinge nach mir geworfen oder mir ins Gesicht gekniffen."
Moderner Menschenhandel – eine Milliardengeschäft
Die Vermittlung billiger Arbeitskräfte aus Südostasien ist ein Milliardengeschäft. Moderner Menschenhandel samt Gewalt, Willkür, Ausbeutung. Haushaltshilfen fallen nicht unter das taiwanische Arbeitsrecht, eine Einladung zum Missbrauch.
Mila und Eiyah haben den Horror hinter sich: Die eine 55, die andere 32, beide weit weg von den Liebsten. Zwei Frauen, zwei Leidensgeschichten: Mila lebt wie eine Leibeigene, Eiyah soll ihrem Chef stets zu Diensten sein – in jeder Lage. Der Mann sieht in ihr eine persönliche Prostituierte. Er darf nun keine Maids mehr beschäftigen: "Er sagte: 'Du, leg Dich hier hin.' Dann hat er anzügliche Gesten gemacht, auch mit den Fingern. 'Das ist Dein Job.' Ich fragte: Wie meinen Sie das? Das verletzt mich! Aber er sagte nur: 'Das ist Dein Job'", erinnert sich Eiyah.
Ein freier Tag im Monat
"Es war wie Sklaverei. Ich konnte nicht arbeiten, ohne kontrolliert zu werden. Wenn ich in der Waschküche war, dann schrie sie, ob ich mich verstecke", erzählt Mila. Ein freier Tag im Monat für Mila, sonst Ausgangssperre. Sie leidet Hunger, und ständig wird der Lohn gekürzt. Philippiner arbeiten so demütig wie sie beten: Ertrage Dein Schicksal und danke dem Herrn. 20 Monate Schikane, Chauvinismus und Rassismus aber sind zuviel, erst ein Anruf bei einer Hilfsorganisation erlöst sie aus ihrem Gefängnis. Mit schlotternden Knien zeigt sie uns die Luxuswohnung des wohlhabenden Ehepaares, das sie drangsalierte: "Nie wieder will ich dort arbeiten. Ich hoffe, ich finde einen besseren Arbeitgeber. Jemand, der mich behandelt wie einen Menschen."
Ihre Knechtschaft ist eine Steilvorlage für die Medien: Denn das Drama spielt im Reich eines taiwanischen Tycoons. Offiziell arbeiten mehrere Frauen in einer seiner Fabriken, landen aber im Haushalt von Top-Managern - Mila bei seinem Schwiegersohn.
Fabrikarbeiter kosten weniger Steuern. Alles keine Einzel- oder Härtefälle. Deshalb gehen Taiwans Arbeitsmigranten jetzt zu Tausenden auf die Straße. In Taipeh auf einer Kundgebnung marschiert auch Solekah mit. Die Gewaltexzesse ihrer Hausherrin haben sie traumatisiert. Niemand soll mehr erleben, was sie erdulden musste: "Erst ganz zum Schluss habe ich mich bei der Arbeitsagentur beschwert, die mich vermittelt hat. Dass die Oma mich schlecht behandelt. Aber die Agentur sagte nur: 'Du hast ja keine Beweise, wir können nichts für Dich tun.' Ich war so hilflos - bis ich die Idee mit dem Video hatte."
Freie Agenturen kassieren ab
Der Fehler liegt im System. Taiwan überlässt die Vermittlung von Arbeitskräften freien Agenturen. Die kassieren Tausende von Dollar, schon im Heimatland. Viele Fremdarbeiter müssen sich dafür verschulden. Und im Zielland droht Ausbeutung, weil niemand kontrolliert. Oft ziehen Agentur oder Arbeitgeber auch noch die Pässe ein – illegal. Es gibt fast kein Entkommen: "Wer seine Schulden nicht bezahlt, bekommt sofort eine Mahnung von seiner Agentur. Danach wird er schon verklagt. Da heißt es dann: Beschwer' Dich nicht! Oder wir schicken Dich zurück. Viele arbeiten unter dauernder Bedrohung", sagt Lennon Wong von der nichtstaatlichen Hilfsorganisation Serve the People Association. So werden aus Opfern noch Kriminelle, sagt Lennon Wong, der auch Mila und Eiyah betreut. Er fordert: Das Agentursystem muss weg, es nutzt die Menschen nur aus.
Kritik an Notrufnummer des Arbeitsministeriums
Das Arbeitsministerium hat eine Notrufnummer installiert. Wenn das Opfer denn überhaupt telefonieren darf. Doch das Callcenter eines Ministeriums wird betrieben von einer privaten Firma. Es gibt Kritik an schlecht geschultem Personal, Sprachbarrieren, mangelndem Interesse an echter Hilfe: "Meistens geht es um Beratung. Beschwerden leiten wir weiter an die zuständigen Arbeitsbehörden vor Ort. Unsere Mitarbeiter versuchen meistens, die Gastarbeiter erst mal zu trösten. Denn bei einem Arbeitskonflikt gibt es ja immer zwei Meinungen", sagt John Chuang, Manager der Hotline. Gute Absichten, ernüchternde Zahlen: Nach eigenen Angaben erhält die Hotline 17.000 Anrufe im Monat, in 2.000 davon geht es um Missbrauch.
Solekahs Leidensweg ist vorerst beendet. Und damit sie nie wieder zu Boden geht, hat sie einen Entschluss gefasst: "Ich möchte hierbleiben und Geld verdienen. Aber in einer Fabrik, nicht bei jemandem Zuhause."
Autor: Uwe Schwerin, ARD-Studio Tokio
Stand: 11.07.2019 12:24 Uhr
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