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Das Erste
Ägypten: Wenn Polizisten ungestraft foltern dürfen
Ägypten und seine Polizei: Das ist eine ganz besondere Geschichte. Eine Geschichte von Macht, Erniedrigung und Angst. Eine Geschichte, wie sie Safwat Nessim erzählt. Er hat lange in Deutschland gelebt. Auf der Anrichte steht ein Foto vom Bruder, mehrfacher Sieger bei paralympischen Meisterschaften.
Wegen der alten Mutter kommt Safwat zurück in die Heimat. Vergangenen September landet er mit seinem Sohn im Gefängnis. Jemand beschuldigt ihn falsch, das wird schnell klar. Die Polizei hält ihn trotzdem sechs Tage lang fest. "Sie haben mich mit 70, 80, manchmal 120 Leute in eine Zelle gesteckt, ich habe viel Geld bezahlt, um an der Tür zu schlafen, um Luft zu bekommen. Sie haben meinen Sohn vor meinen Augen geschlagen. Sie haben mich nur zwei Mal geschlagen", erinnert sich Safwat Nessim. Die Mutter bedrückt, was sie hört. Safwat ist Diabetiker, braucht täglich Medikamente. Die Polizei verweigerte sie ihm im Gefängnis. "Wer hat keine Angst vor der Polizei? Nur die Polizei-Chefs oder Offizier von Armee oder große Beamte, die haben keine Angst. Aber normale Menschen müssen Angst haben!", sagt Safwat Nessim.
Gefängnis ohne Tatvorwurf
Geld für einen Platz an der Tür – das ist Korruption. Sechs Tage Gefängnis ohne Tatvorwurf – das ist Willkür. Aber das schlimmste ist die Gewalt: Eine regimekritische Online-Zeitung in Kairo. Hier arbeiten junge Journalisten. Seit der Revolution 2011 fordern sie mehr Demokratie. Einer berichtet von einer Demonstration, wird festgenommen und kommt erst nach sechs Monaten Gefängnis frei. Den zweiten hält die Polizei 72 Tage fest, wegen angeblicher Bildung einer verbotenen Vereinigung. "Es waren drei oder vier Polizisten. Sie haben uns beim Verhör zwei Stunden ununterbrochen geschlagen, bis sie nicht mehr konnten. Wenn die Polizisten müde waren, haben sie eine Pause gemacht, wir mussten so lange auf einem Bein stehen und die Arme heben, erzählt der Journalist Abdel Basset Kamel.
"Ein Polizist hat mir bei der Befragung die Pistole an den Kopf gesetzt und gesagt: 'Jetzt töte ich dich, ich habe Anweisung von oben.' Ich habe das islamische Glaubensbekenntnis gebetet und gedacht: Der bringt mich wirklich um. Dann hat er abgedrückt – drei Mal", erinnert sich Journalist Mahmoud El Saqqa.
Ägypten ist ein Staat in der Polizei
"Ägypten ist kein Polizeistaat, Ägypten ist ein Staat in der Polizei. Das trifft es eher. Polizei, Geheimpolizei, Armee - das ist der wirkliche Staat. Wir sind nur ein kleiner Teil davon", sagt Abdel Basset Kamel. Gewalt bei der Polizei ist nicht neu: Vor der Revolution filmten Polizisten ihre Taten selbst. Sie hatten keine Angst. Nach der Revolution hat sich daran wenig geändert. "Natürlich haben wir diese Probleme noch immer, sie sind längst nicht gelöst. Die Korruption ist noch da und es gibt auch Übergriffe durch die Polizei", sagt Mohammed Abdel Rahman, Polizist im Ruhestand.
Nach der Revolution versuchte er, die Polizei von innen zu reformieren. Sie haben ihn mit 50 in den Ruhestand geschickt. Es gibt ehrliche Polizisten, versichert er seinem Sohn. Doch die haben keine Chance gegen das, was er den tiefen Staat aus der Mubarak-Zeit nennt: ein Netzwerk von korrupten Polizisten, Beamten, Politikern. "Jeder freie Mensch sollte sich dagegen erheben, wenn jemand erniedrigt oder ungerecht behandelt wird. Ich bin gegen diese Übergriffe. Das Opfer könnte doch auch mein Vater oder mein Bruder sein, oder ich selbst.“
"Wir sind eure Herren"
Ärztestreik. Sie protestieren dagegen, dass auch sie Opfer der Polizei sind. Was war passiert? Ein Polizist war mit einer Behandlung nicht zufrieden, schlug auf zwei Ärzte ein und fuchtelte mit der Pistole herum. Als die Mediziner eine Anzeige machen wollen, lachen die Polizisten sie nur aus. "Sie haben gesagt: Wir sind eure Herren – ihr macht, was wir wollen und haltet die Klappe", erzählt der Arzt Momen Abdel Azim.
Jeden Tag behandeln die Ärzte Menschen, die von einer Polizeistation kommen. Oft sind die Leute, die von der Polizei kommen, schwer verletzt. Vieles passiert in der Zelle. Die Polizei verhindert Gewalt unter Gefangenen offenbar nicht. "Es sind immer schwere Stich- oder Schnittwunden. Jemand kommt zu mir und hat sein abgeschnittenes Ohr in der Hand. Oder die ganze Nase ist abgetrennt", sagt Momen Abdel Azim.
Menschenrechtler sprechen von systematischer Folter
Gewalt, Korruption, Willkür: Ägyptens Polizei hat ein Problem. Menschenrechtler sprechen von systematischer Folter. Der Deutsch-Ägypter Safwat Nessim sagt: Für die Polizei gelten andere Gesetze als für normale Bürger. Seine Probleme haben mit einem Haus zu tun: Er hat ein paar Wohnungen gekauft, sich dann mit dem Bauunternehmer wegen nicht fertiggestellter Arbeiten überworfen. Nichts besonderes in Ägypten. Ein Handwerker zeigt ihn an, er habe ihn verprügelt – wenig später nimmt der Mann den Vorwurf zurück. Aber fünf Polizisten stecken Safwat Nessim trotzdem für sechs Tage ins Gefängnis.
Wer soll da noch helfen? Safwat Nessim ruft nach Präsident Sissi – der müsse die Ägypter vor ihrer Polizei beschützen. "Ich hoffe, dass Präsident Sisi ein Auge auf die Polizei hat. Sie sind schlimmer als vor Präsident Mubarak. Noch schlimmer und noch härter, kein Respekt vor Menschen oder Menschenrechten. Sie machen, was sie wollen."
Wir hätten gerne gewusst, was das Innenministerium auf all die Vorwürfe erwidert. Unsere Anfrage blieb unbeantwortet.
Autor: Volker Schwenck, ARD-Studio Kairo
Stand: 11.07.2019 12:24 Uhr
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